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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Tandwirte in Lothringen

Quadratkilometer 130 Personen der Zivilbevölkerung kommen, im Unterelsaß
125, fallen auf Lothringen nur 76. Dieses Verhältnis entspricht aber der
extensiven Bewirtschaftung des Bodens. Die kleinen Landgemeinden sind vor¬
herrschend; 1880 wurden von den 754 Gemeinden des Bezirks 461 gezählt,
die weniger als 500 Seelen hatten; 215 Gemeinden hatten 500 bis 1000 Seelen,
73 Gemeinden durchschnittlich 1700 Seelen; abgesehen von Metz sind im ganzen
Bezirke nnr 4 Orte mit mehr als 5000 Seelen. Das Stenersoll der vier
direkten Laudessteuerm betrug 1883/84 in 551 vou 754 Gemeinden des Landes
weniger als 5000 Mark. Der Flächeninhalt von 727 Gemeinden ist geringer
als 2000 Hektare; nur 25 Gemeinden haben größere Flächen, die überhaupt
meist durch Wald gebildet sind. Die Fluren von 549 Gemeinden sind unter
1000 Hektaren. Wenn man aber meint, daß in Lothringen "mehrere größere
Lnnderkomplexe" zu erwerben seien, auf denen "praktische Kolonisation" ge¬
trieben werde" soll, oder daß in Lothringen noch Platz sei, um "deutsche
Sprachinseln oder Gemeinden im französischen Sprachgebiete" zu bilden, wie
es in einer hier im vorigen Jahre in Umlauf gesetzten Einladung zum Grund¬
erwerbe in Lothringen heißt, so beruht dies auf eiuer völligen Verkennung
des Sachverhalts. Großgrundbesitz, wie im preußischen Osten, ist in Loth¬
ringen nicht zu suchen. Was geschlossene größere Güter betrifft, so sind die
von Napoleon 1. geschaffenen Majorate, die nach dem Gesetze vom 12. Mai 1835
in der zweiten Geschlechtsfvlge in freies Eigen übergehen sollten, bis auf eins
verschwunden. Die alten Lehnsgüter des lothringischen und oberrheinischen
Adels im Lande sind schon während der endlosen Kriege des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts von den Eigentümern aufgegeben und zertrümmert,
vielfach unter Ludwig XIV. mit Beschlag belegt und verkauft worden. Die
Revolution hat an der Zerstörung der adlichen und der Klostergüter weiter
gearbeitet. Es ist überdies zu bemerken, daß einerseits die eidlichen Lehnsgüter
selten größere Wirtschaften hatten und den größeren Teil der Einkünfte aus
der Gerichtsbarkeit, den Zehnten und einer Reihe von Zinsen, Gulden und
Gefallen zogen, anderseits die Klöster, abgesehen von den an den Staat ge¬
fallenen Waldungen, selten geschlossenen größern Besitz hatten, sondern zerstreute
Hofgttter, die sie selbst bewirtschafteten oder in Erbpacht gaben. So erklärt
sichs, daß größere Besitze im Verhältnis zu der großen Anzahl der frühern
Lehen und des Besitzes in toter Hand selten sind. Nur die Güter der Patrizier
vou Metz, der sogenannten ?g.rAM8, haben sich in nächster Umgebung der
Stadt der Mehrzahl nach im alten Umfange erhalten, weil Frankreich dafür
sorgte, daß diese Güter an die Familien der Räte des 1633 errichteten Parla¬
ments von Metz verliehen wurden. In dem zum alten Herzogtume gehörigen
kleinsten Teile des Landes hatten die Herzoge, teils um den Trotz der zu den
alten Assisengeschlechteru gehörigen Araras vt xotits obovcmx als I^orraine zu
brechen, teils um Anhang gegenüber Frankreich zu gewinnen, eine Menge vou


Die Ansiedelung deutscher Tandwirte in Lothringen

Quadratkilometer 130 Personen der Zivilbevölkerung kommen, im Unterelsaß
125, fallen auf Lothringen nur 76. Dieses Verhältnis entspricht aber der
extensiven Bewirtschaftung des Bodens. Die kleinen Landgemeinden sind vor¬
herrschend; 1880 wurden von den 754 Gemeinden des Bezirks 461 gezählt,
die weniger als 500 Seelen hatten; 215 Gemeinden hatten 500 bis 1000 Seelen,
73 Gemeinden durchschnittlich 1700 Seelen; abgesehen von Metz sind im ganzen
Bezirke nnr 4 Orte mit mehr als 5000 Seelen. Das Stenersoll der vier
direkten Laudessteuerm betrug 1883/84 in 551 vou 754 Gemeinden des Landes
weniger als 5000 Mark. Der Flächeninhalt von 727 Gemeinden ist geringer
als 2000 Hektare; nur 25 Gemeinden haben größere Flächen, die überhaupt
meist durch Wald gebildet sind. Die Fluren von 549 Gemeinden sind unter
1000 Hektaren. Wenn man aber meint, daß in Lothringen „mehrere größere
Lnnderkomplexe" zu erwerben seien, auf denen „praktische Kolonisation" ge¬
trieben werde» soll, oder daß in Lothringen noch Platz sei, um „deutsche
Sprachinseln oder Gemeinden im französischen Sprachgebiete" zu bilden, wie
es in einer hier im vorigen Jahre in Umlauf gesetzten Einladung zum Grund¬
erwerbe in Lothringen heißt, so beruht dies auf eiuer völligen Verkennung
des Sachverhalts. Großgrundbesitz, wie im preußischen Osten, ist in Loth¬
ringen nicht zu suchen. Was geschlossene größere Güter betrifft, so sind die
von Napoleon 1. geschaffenen Majorate, die nach dem Gesetze vom 12. Mai 1835
in der zweiten Geschlechtsfvlge in freies Eigen übergehen sollten, bis auf eins
verschwunden. Die alten Lehnsgüter des lothringischen und oberrheinischen
Adels im Lande sind schon während der endlosen Kriege des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts von den Eigentümern aufgegeben und zertrümmert,
vielfach unter Ludwig XIV. mit Beschlag belegt und verkauft worden. Die
Revolution hat an der Zerstörung der adlichen und der Klostergüter weiter
gearbeitet. Es ist überdies zu bemerken, daß einerseits die eidlichen Lehnsgüter
selten größere Wirtschaften hatten und den größeren Teil der Einkünfte aus
der Gerichtsbarkeit, den Zehnten und einer Reihe von Zinsen, Gulden und
Gefallen zogen, anderseits die Klöster, abgesehen von den an den Staat ge¬
fallenen Waldungen, selten geschlossenen größern Besitz hatten, sondern zerstreute
Hofgttter, die sie selbst bewirtschafteten oder in Erbpacht gaben. So erklärt
sichs, daß größere Besitze im Verhältnis zu der großen Anzahl der frühern
Lehen und des Besitzes in toter Hand selten sind. Nur die Güter der Patrizier
vou Metz, der sogenannten ?g.rAM8, haben sich in nächster Umgebung der
Stadt der Mehrzahl nach im alten Umfange erhalten, weil Frankreich dafür
sorgte, daß diese Güter an die Familien der Räte des 1633 errichteten Parla¬
ments von Metz verliehen wurden. In dem zum alten Herzogtume gehörigen
kleinsten Teile des Landes hatten die Herzoge, teils um den Trotz der zu den
alten Assisengeschlechteru gehörigen Araras vt xotits obovcmx als I^orraine zu
brechen, teils um Anhang gegenüber Frankreich zu gewinnen, eine Menge vou


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/218>, abgerufen am 23.07.2024.