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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Grmid und Boden vielfach bestimmt. Dieser Entstehungsursache entsprach der
Umstand, daß diese Güter nicht etwa von den Eigentümern bewirtschaftet,
sondern verpachtet wurden. Die Optionsbewegung und der damit verbundne
Güterschacher hat im ganzen keine bedeutende Verschiebung des Besitzes zu¬
stande gebracht. Der erste Besitzwechsel ist vielfach rückgängig geworden, oder
der Besitz ist in den Händen französischer Güterhändler geblieben, während die
Strohmänner, die sogenannten xröt>s-N0in8, wieder verschwanden, wie sie auf¬
getaucht waren. Nach langjährigen Beobachtungen können wir wohl die Be¬
hauptung aufstellen, daß, wenn wir vom Waldbesitze absehen (etwa 26 Prozent
der Flache, zumeist in Händen des Staates, der Gemeinden oder öffentlichen
Anstalten), wohl ein Drittel des der Landwirtschaft gewidmeten Bodens von
Lothringen -- große und kleine Güterparzellen u. f. w. zusammengerechnet --
heute noch Eigentum französischer Staatsangehörigen ist, die bei der Option
oder Auswanderung, sei es der schlechten Güterpreise wegen, sei es in der
Hoffnung auf baldige Rückkehr, ihre Güter oder Parzellen nicht veräußert
hatten. Wenn wir die größern Güter gesondert betrachten, so können wir nach
ungefährer Schätzung annehmen, daß in Lothringen, wo überhaupt fast acht
Zehntel aller größer" Güter des Reichslaudes liegeu, während sich der Rest
auf Unter- und Oberelsaß beinahe gleich verteilt, weit mehr als die Hülste der
größern Güter in den Händen von Franzosen oder doch von Einheimischen ist,
deren Kinder nach Frankreich ausgewandert sind. Im Unterelsaß liegen die
Verhältnisse etwas günstiger für die deutsche Sache, doch durften die Güter
noch immer zur Hälfte in den Händen von Franzosen sein, während im Ober-
^saß der einheimische Besitz überwiegt. So waren z. B. noch vor wenigen
wahren etwa sechzig größere Güter des Landkreises Metz in den Händen
adlicher Familien, fast die Hülste des dortigen Großgrundbesitzes. Von diesen
sechzig Eigentümern waren fünfzig Franzosen, die übrigen Einheimische. An
dieser Sachlage dürfte sich seitdem wenig geändert haben. Wenn nun mich
aus den übrigen Landkreisen des Bezirks Lothringen nicht so viele Großgrund¬
besitzer auswanderten als ans der Umgegend von Metz, so bleibt doch die
Thatsache bestehen, daß weit mehr als die Hülste der größern Güter in Loth-
wigeu französischen Eigentümern gehört. Das ist ungefähr die heutige
Sachlage.

Die Unternehmung Preußens, in Posen eine deutsche Besiedelung anm-
ahnen, hat die Aufmerksamkeit wieder auf Lothringen, ans unsre westliche
Grenzmark gelenkt, und es ist nicht zu verwundern, daß vielfach die Vorstellung
zweete geworden ist, als ob in Lothringen ähnliche Verhältnisse wie in der
deutschen Ostmark vorlagen. Diese irrtümliche Vorstellung muß vor allem
'eseitigt werden. Lothringen ist zwar im ganzen und großen kein hoch ent¬
wickeltes Kulturland, aber die Besiedelung des Gebietes ist eine regelmäßige,
^'cum much die Bevölkerung dünn gesät ist. Während im Oberelsaß ans den
Gr


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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Grmid und Boden vielfach bestimmt. Dieser Entstehungsursache entsprach der
Umstand, daß diese Güter nicht etwa von den Eigentümern bewirtschaftet,
sondern verpachtet wurden. Die Optionsbewegung und der damit verbundne
Güterschacher hat im ganzen keine bedeutende Verschiebung des Besitzes zu¬
stande gebracht. Der erste Besitzwechsel ist vielfach rückgängig geworden, oder
der Besitz ist in den Händen französischer Güterhändler geblieben, während die
Strohmänner, die sogenannten xröt>s-N0in8, wieder verschwanden, wie sie auf¬
getaucht waren. Nach langjährigen Beobachtungen können wir wohl die Be¬
hauptung aufstellen, daß, wenn wir vom Waldbesitze absehen (etwa 26 Prozent
der Flache, zumeist in Händen des Staates, der Gemeinden oder öffentlichen
Anstalten), wohl ein Drittel des der Landwirtschaft gewidmeten Bodens von
Lothringen — große und kleine Güterparzellen u. f. w. zusammengerechnet —
heute noch Eigentum französischer Staatsangehörigen ist, die bei der Option
oder Auswanderung, sei es der schlechten Güterpreise wegen, sei es in der
Hoffnung auf baldige Rückkehr, ihre Güter oder Parzellen nicht veräußert
hatten. Wenn wir die größern Güter gesondert betrachten, so können wir nach
ungefährer Schätzung annehmen, daß in Lothringen, wo überhaupt fast acht
Zehntel aller größer» Güter des Reichslaudes liegeu, während sich der Rest
auf Unter- und Oberelsaß beinahe gleich verteilt, weit mehr als die Hülste der
größern Güter in den Händen von Franzosen oder doch von Einheimischen ist,
deren Kinder nach Frankreich ausgewandert sind. Im Unterelsaß liegen die
Verhältnisse etwas günstiger für die deutsche Sache, doch durften die Güter
noch immer zur Hälfte in den Händen von Franzosen sein, während im Ober-
^saß der einheimische Besitz überwiegt. So waren z. B. noch vor wenigen
wahren etwa sechzig größere Güter des Landkreises Metz in den Händen
adlicher Familien, fast die Hülste des dortigen Großgrundbesitzes. Von diesen
sechzig Eigentümern waren fünfzig Franzosen, die übrigen Einheimische. An
dieser Sachlage dürfte sich seitdem wenig geändert haben. Wenn nun mich
aus den übrigen Landkreisen des Bezirks Lothringen nicht so viele Großgrund¬
besitzer auswanderten als ans der Umgegend von Metz, so bleibt doch die
Thatsache bestehen, daß weit mehr als die Hülste der größern Güter in Loth-
wigeu französischen Eigentümern gehört. Das ist ungefähr die heutige
Sachlage.

Die Unternehmung Preußens, in Posen eine deutsche Besiedelung anm-
ahnen, hat die Aufmerksamkeit wieder auf Lothringen, ans unsre westliche
Grenzmark gelenkt, und es ist nicht zu verwundern, daß vielfach die Vorstellung
zweete geworden ist, als ob in Lothringen ähnliche Verhältnisse wie in der
deutschen Ostmark vorlagen. Diese irrtümliche Vorstellung muß vor allem
'eseitigt werden. Lothringen ist zwar im ganzen und großen kein hoch ent¬
wickeltes Kulturland, aber die Besiedelung des Gebietes ist eine regelmäßige,
^'cum much die Bevölkerung dünn gesät ist. Während im Oberelsaß ans den
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[0217] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen Grmid und Boden vielfach bestimmt. Dieser Entstehungsursache entsprach der Umstand, daß diese Güter nicht etwa von den Eigentümern bewirtschaftet, sondern verpachtet wurden. Die Optionsbewegung und der damit verbundne Güterschacher hat im ganzen keine bedeutende Verschiebung des Besitzes zu¬ stande gebracht. Der erste Besitzwechsel ist vielfach rückgängig geworden, oder der Besitz ist in den Händen französischer Güterhändler geblieben, während die Strohmänner, die sogenannten xröt>s-N0in8, wieder verschwanden, wie sie auf¬ getaucht waren. Nach langjährigen Beobachtungen können wir wohl die Be¬ hauptung aufstellen, daß, wenn wir vom Waldbesitze absehen (etwa 26 Prozent der Flache, zumeist in Händen des Staates, der Gemeinden oder öffentlichen Anstalten), wohl ein Drittel des der Landwirtschaft gewidmeten Bodens von Lothringen — große und kleine Güterparzellen u. f. w. zusammengerechnet — heute noch Eigentum französischer Staatsangehörigen ist, die bei der Option oder Auswanderung, sei es der schlechten Güterpreise wegen, sei es in der Hoffnung auf baldige Rückkehr, ihre Güter oder Parzellen nicht veräußert hatten. Wenn wir die größern Güter gesondert betrachten, so können wir nach ungefährer Schätzung annehmen, daß in Lothringen, wo überhaupt fast acht Zehntel aller größer» Güter des Reichslaudes liegeu, während sich der Rest auf Unter- und Oberelsaß beinahe gleich verteilt, weit mehr als die Hülste der größern Güter in den Händen von Franzosen oder doch von Einheimischen ist, deren Kinder nach Frankreich ausgewandert sind. Im Unterelsaß liegen die Verhältnisse etwas günstiger für die deutsche Sache, doch durften die Güter noch immer zur Hälfte in den Händen von Franzosen sein, während im Ober- ^saß der einheimische Besitz überwiegt. So waren z. B. noch vor wenigen wahren etwa sechzig größere Güter des Landkreises Metz in den Händen adlicher Familien, fast die Hülste des dortigen Großgrundbesitzes. Von diesen sechzig Eigentümern waren fünfzig Franzosen, die übrigen Einheimische. An dieser Sachlage dürfte sich seitdem wenig geändert haben. Wenn nun mich aus den übrigen Landkreisen des Bezirks Lothringen nicht so viele Großgrund¬ besitzer auswanderten als ans der Umgegend von Metz, so bleibt doch die Thatsache bestehen, daß weit mehr als die Hülste der größern Güter in Loth- wigeu französischen Eigentümern gehört. Das ist ungefähr die heutige Sachlage. Die Unternehmung Preußens, in Posen eine deutsche Besiedelung anm- ahnen, hat die Aufmerksamkeit wieder auf Lothringen, ans unsre westliche Grenzmark gelenkt, und es ist nicht zu verwundern, daß vielfach die Vorstellung zweete geworden ist, als ob in Lothringen ähnliche Verhältnisse wie in der deutschen Ostmark vorlagen. Diese irrtümliche Vorstellung muß vor allem 'eseitigt werden. Lothringen ist zwar im ganzen und großen kein hoch ent¬ wickeltes Kulturland, aber die Besiedelung des Gebietes ist eine regelmäßige, ^'cum much die Bevölkerung dünn gesät ist. Während im Oberelsaß ans den Gr enzlwten I 1890 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/217>, abgerufen am 23.07.2024.