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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Auswandererlied in den lothringischen Dörfern hören, dessen Beröffentlichnng
schon einmal Vertreter einer gewissen Verufsart zu einer Verwahrung wegen
der gefährdeten Standesehre veranlaßt hat. Dieses selbe Lied konnte man in
der ersten Hälfte der siebziger Jahre auf den Bahnhöfen in Deutsch-Lothringen
wieder hören. Wir verzichten darauf, es wiederzugeben. Die eben erwähnten
französische!? Unterhändler boten damals der bethörten Bevölkerung des Landes
alles; sie vermittelten Gelegenheiten zu Scheinoptivuen, Empfehlungen bei deu
Borständen der Vereine für Versorgung von Elsässeru und Lothringern in
Frankreich oder für deren Beförderung in die Fremdenlegion und in die
Gründungen des Grafen d'Haussonville in Algier, sie besorgten die sogenannten
"Reintegrationen," d. h. die mit ermäßigten Gebühren verbundene Wieder¬
aufnahme in den französischen Stnatsverband, eine Erfindung der juristischen
Fakultät in Rauch, sie bestellte" persönlich die o?'ärv8 as sonvoog-lion für die
Übungen der französischen Reserve und der Territorialarmee, kurz sie waren
stark begehrte Helfer in allen Noten, die durch die Trennung des Landes von
Frankreich entstanden waren. Wenn man je in Zweifel darüber sein konnte,
ob die Einführung des Paßzwanges gerade in Lothringen von Bedeutung und
Nutzen sein sollte, so wird die Hinweisung auf die Thätigkeit dieser Pferde¬
händler in ihren langen blauen leinenen Mitteln oder der feiner gekleideten
nig-relmnÄs cle terrW genügen, um jeden Zweifel darüber zu beseitigen. Etwas
Ruhe in dieser fieberhaften und künstlich durch Erregung der Kriegssurcht oder
der Hoffnung auf Frankreich genährten Bewegung trat ein, als Mitte der
siebziger Jahre kurz hinter einander einige bessere Ernten folgten, die mit einer
gewissen politischen Sammlung in Frankreich und mit einem Nachlasse des
Rachegeschreies zusammentrafen. Aber diese Ruhe hielt uicht an. Es war
ein Spiel des Zufalls, daß mit der Wiedererstarkung der französischen Nache-
bestrebungen die Einführung der deutschen Gerichtsgesetzgebung zusammenfiel.
Wie früher in den Rheinlanden, so wurde auch besonders in Lothringen die
Furcht vor den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Vorrechte der
Pfandgläubiger in der wüstesten Weise ausgebeutet. Es wurde eine Panik der
Gläubiger künstlich geschaffen, und die Gerichtsvollzieher hatten damals gute Tage;
die in Frankreich weilenden Eigentümer dehnten vergeblich die auch früher übliche
Langmut bei der Eintreibung der fälligen Pachtzinsen über das gewöhnliche Maß
aus. Wie sollten sie auch Pächter finden, die in die gewöhnlich nenn- oder acht¬
zehnjährige Pacht eingetreten wären und insbesondre, wie dies ortsüblich ist, Vieh
und Fahrnis mitgebracht hätte,?? Die Pachtverträge ans längere Zeit wurden
auch wegen der Höhe der Gebühre?? immer seltener. Das Endergebnis dieser
ganze?? Bewegung war, daß an der ersten Sachlage im gauzeu wenig geändert
war. Die Güter blieben meist in Händen der französischen Eigentümer. Die
französische Gesetzgebung über das eheliche Güterrecht, über die Verwaltung
von Mündelgütern u. s. w. hatte zur Erwerbung oder Beibehaltung von


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Auswandererlied in den lothringischen Dörfern hören, dessen Beröffentlichnng
schon einmal Vertreter einer gewissen Verufsart zu einer Verwahrung wegen
der gefährdeten Standesehre veranlaßt hat. Dieses selbe Lied konnte man in
der ersten Hälfte der siebziger Jahre auf den Bahnhöfen in Deutsch-Lothringen
wieder hören. Wir verzichten darauf, es wiederzugeben. Die eben erwähnten
französische!? Unterhändler boten damals der bethörten Bevölkerung des Landes
alles; sie vermittelten Gelegenheiten zu Scheinoptivuen, Empfehlungen bei deu
Borständen der Vereine für Versorgung von Elsässeru und Lothringern in
Frankreich oder für deren Beförderung in die Fremdenlegion und in die
Gründungen des Grafen d'Haussonville in Algier, sie besorgten die sogenannten
„Reintegrationen," d. h. die mit ermäßigten Gebühren verbundene Wieder¬
aufnahme in den französischen Stnatsverband, eine Erfindung der juristischen
Fakultät in Rauch, sie bestellte» persönlich die o?'ärv8 as sonvoog-lion für die
Übungen der französischen Reserve und der Territorialarmee, kurz sie waren
stark begehrte Helfer in allen Noten, die durch die Trennung des Landes von
Frankreich entstanden waren. Wenn man je in Zweifel darüber sein konnte,
ob die Einführung des Paßzwanges gerade in Lothringen von Bedeutung und
Nutzen sein sollte, so wird die Hinweisung auf die Thätigkeit dieser Pferde¬
händler in ihren langen blauen leinenen Mitteln oder der feiner gekleideten
nig-relmnÄs cle terrW genügen, um jeden Zweifel darüber zu beseitigen. Etwas
Ruhe in dieser fieberhaften und künstlich durch Erregung der Kriegssurcht oder
der Hoffnung auf Frankreich genährten Bewegung trat ein, als Mitte der
siebziger Jahre kurz hinter einander einige bessere Ernten folgten, die mit einer
gewissen politischen Sammlung in Frankreich und mit einem Nachlasse des
Rachegeschreies zusammentrafen. Aber diese Ruhe hielt uicht an. Es war
ein Spiel des Zufalls, daß mit der Wiedererstarkung der französischen Nache-
bestrebungen die Einführung der deutschen Gerichtsgesetzgebung zusammenfiel.
Wie früher in den Rheinlanden, so wurde auch besonders in Lothringen die
Furcht vor den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Vorrechte der
Pfandgläubiger in der wüstesten Weise ausgebeutet. Es wurde eine Panik der
Gläubiger künstlich geschaffen, und die Gerichtsvollzieher hatten damals gute Tage;
die in Frankreich weilenden Eigentümer dehnten vergeblich die auch früher übliche
Langmut bei der Eintreibung der fälligen Pachtzinsen über das gewöhnliche Maß
aus. Wie sollten sie auch Pächter finden, die in die gewöhnlich nenn- oder acht¬
zehnjährige Pacht eingetreten wären und insbesondre, wie dies ortsüblich ist, Vieh
und Fahrnis mitgebracht hätte,?? Die Pachtverträge ans längere Zeit wurden
auch wegen der Höhe der Gebühre?? immer seltener. Das Endergebnis dieser
ganze?? Bewegung war, daß an der ersten Sachlage im gauzeu wenig geändert
war. Die Güter blieben meist in Händen der französischen Eigentümer. Die
französische Gesetzgebung über das eheliche Güterrecht, über die Verwaltung
von Mündelgütern u. s. w. hatte zur Erwerbung oder Beibehaltung von


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[0216] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen Auswandererlied in den lothringischen Dörfern hören, dessen Beröffentlichnng schon einmal Vertreter einer gewissen Verufsart zu einer Verwahrung wegen der gefährdeten Standesehre veranlaßt hat. Dieses selbe Lied konnte man in der ersten Hälfte der siebziger Jahre auf den Bahnhöfen in Deutsch-Lothringen wieder hören. Wir verzichten darauf, es wiederzugeben. Die eben erwähnten französische!? Unterhändler boten damals der bethörten Bevölkerung des Landes alles; sie vermittelten Gelegenheiten zu Scheinoptivuen, Empfehlungen bei deu Borständen der Vereine für Versorgung von Elsässeru und Lothringern in Frankreich oder für deren Beförderung in die Fremdenlegion und in die Gründungen des Grafen d'Haussonville in Algier, sie besorgten die sogenannten „Reintegrationen," d. h. die mit ermäßigten Gebühren verbundene Wieder¬ aufnahme in den französischen Stnatsverband, eine Erfindung der juristischen Fakultät in Rauch, sie bestellte» persönlich die o?'ärv8 as sonvoog-lion für die Übungen der französischen Reserve und der Territorialarmee, kurz sie waren stark begehrte Helfer in allen Noten, die durch die Trennung des Landes von Frankreich entstanden waren. Wenn man je in Zweifel darüber sein konnte, ob die Einführung des Paßzwanges gerade in Lothringen von Bedeutung und Nutzen sein sollte, so wird die Hinweisung auf die Thätigkeit dieser Pferde¬ händler in ihren langen blauen leinenen Mitteln oder der feiner gekleideten nig-relmnÄs cle terrW genügen, um jeden Zweifel darüber zu beseitigen. Etwas Ruhe in dieser fieberhaften und künstlich durch Erregung der Kriegssurcht oder der Hoffnung auf Frankreich genährten Bewegung trat ein, als Mitte der siebziger Jahre kurz hinter einander einige bessere Ernten folgten, die mit einer gewissen politischen Sammlung in Frankreich und mit einem Nachlasse des Rachegeschreies zusammentrafen. Aber diese Ruhe hielt uicht an. Es war ein Spiel des Zufalls, daß mit der Wiedererstarkung der französischen Nache- bestrebungen die Einführung der deutschen Gerichtsgesetzgebung zusammenfiel. Wie früher in den Rheinlanden, so wurde auch besonders in Lothringen die Furcht vor den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Vorrechte der Pfandgläubiger in der wüstesten Weise ausgebeutet. Es wurde eine Panik der Gläubiger künstlich geschaffen, und die Gerichtsvollzieher hatten damals gute Tage; die in Frankreich weilenden Eigentümer dehnten vergeblich die auch früher übliche Langmut bei der Eintreibung der fälligen Pachtzinsen über das gewöhnliche Maß aus. Wie sollten sie auch Pächter finden, die in die gewöhnlich nenn- oder acht¬ zehnjährige Pacht eingetreten wären und insbesondre, wie dies ortsüblich ist, Vieh und Fahrnis mitgebracht hätte,?? Die Pachtverträge ans längere Zeit wurden auch wegen der Höhe der Gebühre?? immer seltener. Das Endergebnis dieser ganze?? Bewegung war, daß an der ersten Sachlage im gauzeu wenig geändert war. Die Güter blieben meist in Händen der französischen Eigentümer. Die französische Gesetzgebung über das eheliche Güterrecht, über die Verwaltung von Mündelgütern u. s. w. hatte zur Erwerbung oder Beibehaltung von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/216>, abgerufen am 23.07.2024.