Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Antoine Watteau

und durch seine Feste heidnischer Wnldgötter den Anlaß zu Watteaus galanten
Festen gegeben hat.

Durch Gillvt, mit dem Dichter, Schriftsteller und andre Schöngeister ver¬
kehrten, lernte Watteau auch eine andre Gesellschaft kennen, als die war, in
der er sich bisher bewegt hatte. Einen umfassenderen Einblick in das Leben
der vornehmen Kreise erhielt er aber erst, als er in die Dienste des Dekorations¬
malers Claude Audrau, des Inspektors des Luxembonrgpalastes, trat, in dessen
ornamentale Kompositionen er menschliche und Tierfiguren hineinmalte. Er
gewann als Mensch und Künstler zugleich, da er mit Muße die im Schlosse
befindlichen Bilder der Medicigalerie von dem ihm stammverwandten Rubens
studiren konnte und so zum erstenmale mit echter, großer Kunst in nahe Be-
rührung kam. "Er wohnt im Luxembourg; er hat im Innern des Schlosses
die robusten, vlämischen Figuren vor Angen, und im Parke des Schlosses
verkehrt die elegante französische Gesellschaft jener Zeit. Er hat hier zu der¬
selben Zeit eine Natur und eine Kunst vor Augen, die modernsten Menschen
und eine Kunst, mit deren Puls sein eigner, kraft einer nationalen Verwandt¬
schaft, im gleichen Takte schlug. Er fängt an, von einer Darstellungsform zu
träumen und sich in eine Dnrstellnngswcise hineinzuleben, die langsam zu seinem
Ideal heranreift. Nach und nach entwickelt er sich als Franzose, und gleich¬
zeitig wird er jeden Augenblick an seine vlämische Herkunft, an seine vlämischen
Sympathien erinnert, die er nie vergessen hat." An jenen Gemälden von Rubens
bildete Watteau seinen malerischen Stil, der bis dahin noch keine feste Grund¬
lage hatte. Wenn übrigens Hannover von diesen Bildern sagt, daß sie "Atelier¬
arbeiten ohne die Klarheit, Feinheit und Leuchtkraft der Farbe gewesen seien,
ale die eignen Arbeiten des Antwerpener Meisters auszeichnen," und daß sie
"größtenteils von Rubens Schülern, Justus von Egmont, Jacob Jordaens,
Simon de Bos, Suhders, van Aber und andern herrührten," so irrt er in
^'erschiedner Beziehung. Die Namen der beteiligten Schüler hat er wohl mir
auf Treu und Glauben dem. sehr flüchtig gearbeiteten Lvuvrekatalog nachge¬
schrieben; denn Jordaens, Snyders und van Aber sind keine Schüler von Rubens
gewesen, die beiden letztern uur seine Mitarbeiter, und der de Vos, der mit
Rubens zusammen arbeitete, hieß nicht Simon, sondern Paulus. Auch hat
Rubens nach seiner eignen Aussage die ganze Bilderreihe an ihrem Aufstellungs¬
orte mit Rücksicht auf die Beleuchtung übergangen, sodaß der Anteil der
Schülerhände sich nicht mehr feststellen läßt, und einer seiner Briefe berechtigt
s"gar zu dein Schlüsse, daß das Bild "Glück der Regentschaft der Maria von
Medici" von Rubens ganz eigenhändig in Paris gemalt worden sei, weil man
ein andres Bild als politisch anstößig ans der Reihe ausgeschieden hatte.
Watteau hatte also in diesen Gemälden Werke vor Augen, an denen er
Rubens eigne Malweise sehr wohl studiren konnte.

Das zweitemal, wo Watteau "in seinem Leben gleichzeitig die Kunst und die


Grenzboten I 1390 2S
Antoine Watteau

und durch seine Feste heidnischer Wnldgötter den Anlaß zu Watteaus galanten
Festen gegeben hat.

Durch Gillvt, mit dem Dichter, Schriftsteller und andre Schöngeister ver¬
kehrten, lernte Watteau auch eine andre Gesellschaft kennen, als die war, in
der er sich bisher bewegt hatte. Einen umfassenderen Einblick in das Leben
der vornehmen Kreise erhielt er aber erst, als er in die Dienste des Dekorations¬
malers Claude Audrau, des Inspektors des Luxembonrgpalastes, trat, in dessen
ornamentale Kompositionen er menschliche und Tierfiguren hineinmalte. Er
gewann als Mensch und Künstler zugleich, da er mit Muße die im Schlosse
befindlichen Bilder der Medicigalerie von dem ihm stammverwandten Rubens
studiren konnte und so zum erstenmale mit echter, großer Kunst in nahe Be-
rührung kam. „Er wohnt im Luxembourg; er hat im Innern des Schlosses
die robusten, vlämischen Figuren vor Angen, und im Parke des Schlosses
verkehrt die elegante französische Gesellschaft jener Zeit. Er hat hier zu der¬
selben Zeit eine Natur und eine Kunst vor Augen, die modernsten Menschen
und eine Kunst, mit deren Puls sein eigner, kraft einer nationalen Verwandt¬
schaft, im gleichen Takte schlug. Er fängt an, von einer Darstellungsform zu
träumen und sich in eine Dnrstellnngswcise hineinzuleben, die langsam zu seinem
Ideal heranreift. Nach und nach entwickelt er sich als Franzose, und gleich¬
zeitig wird er jeden Augenblick an seine vlämische Herkunft, an seine vlämischen
Sympathien erinnert, die er nie vergessen hat." An jenen Gemälden von Rubens
bildete Watteau seinen malerischen Stil, der bis dahin noch keine feste Grund¬
lage hatte. Wenn übrigens Hannover von diesen Bildern sagt, daß sie „Atelier¬
arbeiten ohne die Klarheit, Feinheit und Leuchtkraft der Farbe gewesen seien,
ale die eignen Arbeiten des Antwerpener Meisters auszeichnen," und daß sie
"größtenteils von Rubens Schülern, Justus von Egmont, Jacob Jordaens,
Simon de Bos, Suhders, van Aber und andern herrührten," so irrt er in
^'erschiedner Beziehung. Die Namen der beteiligten Schüler hat er wohl mir
auf Treu und Glauben dem. sehr flüchtig gearbeiteten Lvuvrekatalog nachge¬
schrieben; denn Jordaens, Snyders und van Aber sind keine Schüler von Rubens
gewesen, die beiden letztern uur seine Mitarbeiter, und der de Vos, der mit
Rubens zusammen arbeitete, hieß nicht Simon, sondern Paulus. Auch hat
Rubens nach seiner eignen Aussage die ganze Bilderreihe an ihrem Aufstellungs¬
orte mit Rücksicht auf die Beleuchtung übergangen, sodaß der Anteil der
Schülerhände sich nicht mehr feststellen läßt, und einer seiner Briefe berechtigt
s»gar zu dein Schlüsse, daß das Bild „Glück der Regentschaft der Maria von
Medici" von Rubens ganz eigenhändig in Paris gemalt worden sei, weil man
ein andres Bild als politisch anstößig ans der Reihe ausgeschieden hatte.
Watteau hatte also in diesen Gemälden Werke vor Augen, an denen er
Rubens eigne Malweise sehr wohl studiren konnte.

Das zweitemal, wo Watteau „in seinem Leben gleichzeitig die Kunst und die


Grenzboten I 1390 2S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206846"/>
          <fw type="header" place="top"> Antoine Watteau</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> und durch seine Feste heidnischer Wnldgötter den Anlaß zu Watteaus galanten<lb/>
Festen gegeben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_550"> Durch Gillvt, mit dem Dichter, Schriftsteller und andre Schöngeister ver¬<lb/>
kehrten, lernte Watteau auch eine andre Gesellschaft kennen, als die war, in<lb/>
der er sich bisher bewegt hatte.  Einen umfassenderen Einblick in das Leben<lb/>
der vornehmen Kreise erhielt er aber erst, als er in die Dienste des Dekorations¬<lb/>
malers Claude Audrau, des Inspektors des Luxembonrgpalastes, trat, in dessen<lb/>
ornamentale Kompositionen er menschliche und Tierfiguren hineinmalte. Er<lb/>
gewann als Mensch und Künstler zugleich, da er mit Muße die im Schlosse<lb/>
befindlichen Bilder der Medicigalerie von dem ihm stammverwandten Rubens<lb/>
studiren konnte und so zum erstenmale mit echter, großer Kunst in nahe Be-<lb/>
rührung kam.  &#x201E;Er wohnt im Luxembourg; er hat im Innern des Schlosses<lb/>
die robusten, vlämischen Figuren vor Angen, und im Parke des Schlosses<lb/>
verkehrt die elegante französische Gesellschaft jener Zeit.  Er hat hier zu der¬<lb/>
selben Zeit eine Natur und eine Kunst vor Augen, die modernsten Menschen<lb/>
und eine Kunst, mit deren Puls sein eigner, kraft einer nationalen Verwandt¬<lb/>
schaft, im gleichen Takte schlug. Er fängt an, von einer Darstellungsform zu<lb/>
träumen und sich in eine Dnrstellnngswcise hineinzuleben, die langsam zu seinem<lb/>
Ideal heranreift.  Nach und nach entwickelt er sich als Franzose, und gleich¬<lb/>
zeitig wird er jeden Augenblick an seine vlämische Herkunft, an seine vlämischen<lb/>
Sympathien erinnert, die er nie vergessen hat." An jenen Gemälden von Rubens<lb/>
bildete Watteau seinen malerischen Stil, der bis dahin noch keine feste Grund¬<lb/>
lage hatte. Wenn übrigens Hannover von diesen Bildern sagt, daß sie &#x201E;Atelier¬<lb/>
arbeiten ohne die Klarheit, Feinheit und Leuchtkraft der Farbe gewesen seien,<lb/>
ale die eignen Arbeiten des Antwerpener Meisters auszeichnen," und daß sie<lb/>
"größtenteils von Rubens Schülern, Justus von Egmont, Jacob Jordaens,<lb/>
Simon de Bos, Suhders, van Aber und andern herrührten," so irrt er in<lb/>
^'erschiedner Beziehung.  Die Namen der beteiligten Schüler hat er wohl mir<lb/>
auf Treu und Glauben dem. sehr flüchtig gearbeiteten Lvuvrekatalog nachge¬<lb/>
schrieben; denn Jordaens, Snyders und van Aber sind keine Schüler von Rubens<lb/>
gewesen, die beiden letztern uur seine Mitarbeiter, und der de Vos, der mit<lb/>
Rubens zusammen arbeitete, hieß nicht Simon, sondern Paulus.  Auch hat<lb/>
Rubens nach seiner eignen Aussage die ganze Bilderreihe an ihrem Aufstellungs¬<lb/>
orte mit Rücksicht auf die Beleuchtung übergangen, sodaß der Anteil der<lb/>
Schülerhände sich nicht mehr feststellen läßt, und einer seiner Briefe berechtigt<lb/>
s»gar zu dein Schlüsse, daß das Bild &#x201E;Glück der Regentschaft der Maria von<lb/>
Medici" von Rubens ganz eigenhändig in Paris gemalt worden sei, weil man<lb/>
ein andres Bild als politisch anstößig ans der Reihe ausgeschieden hatte.<lb/>
Watteau hatte also in diesen Gemälden Werke vor Augen, an denen er<lb/>
Rubens eigne Malweise sehr wohl studiren konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> Das zweitemal, wo Watteau &#x201E;in seinem Leben gleichzeitig die Kunst und die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1390 2S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] Antoine Watteau und durch seine Feste heidnischer Wnldgötter den Anlaß zu Watteaus galanten Festen gegeben hat. Durch Gillvt, mit dem Dichter, Schriftsteller und andre Schöngeister ver¬ kehrten, lernte Watteau auch eine andre Gesellschaft kennen, als die war, in der er sich bisher bewegt hatte. Einen umfassenderen Einblick in das Leben der vornehmen Kreise erhielt er aber erst, als er in die Dienste des Dekorations¬ malers Claude Audrau, des Inspektors des Luxembonrgpalastes, trat, in dessen ornamentale Kompositionen er menschliche und Tierfiguren hineinmalte. Er gewann als Mensch und Künstler zugleich, da er mit Muße die im Schlosse befindlichen Bilder der Medicigalerie von dem ihm stammverwandten Rubens studiren konnte und so zum erstenmale mit echter, großer Kunst in nahe Be- rührung kam. „Er wohnt im Luxembourg; er hat im Innern des Schlosses die robusten, vlämischen Figuren vor Angen, und im Parke des Schlosses verkehrt die elegante französische Gesellschaft jener Zeit. Er hat hier zu der¬ selben Zeit eine Natur und eine Kunst vor Augen, die modernsten Menschen und eine Kunst, mit deren Puls sein eigner, kraft einer nationalen Verwandt¬ schaft, im gleichen Takte schlug. Er fängt an, von einer Darstellungsform zu träumen und sich in eine Dnrstellnngswcise hineinzuleben, die langsam zu seinem Ideal heranreift. Nach und nach entwickelt er sich als Franzose, und gleich¬ zeitig wird er jeden Augenblick an seine vlämische Herkunft, an seine vlämischen Sympathien erinnert, die er nie vergessen hat." An jenen Gemälden von Rubens bildete Watteau seinen malerischen Stil, der bis dahin noch keine feste Grund¬ lage hatte. Wenn übrigens Hannover von diesen Bildern sagt, daß sie „Atelier¬ arbeiten ohne die Klarheit, Feinheit und Leuchtkraft der Farbe gewesen seien, ale die eignen Arbeiten des Antwerpener Meisters auszeichnen," und daß sie "größtenteils von Rubens Schülern, Justus von Egmont, Jacob Jordaens, Simon de Bos, Suhders, van Aber und andern herrührten," so irrt er in ^'erschiedner Beziehung. Die Namen der beteiligten Schüler hat er wohl mir auf Treu und Glauben dem. sehr flüchtig gearbeiteten Lvuvrekatalog nachge¬ schrieben; denn Jordaens, Snyders und van Aber sind keine Schüler von Rubens gewesen, die beiden letztern uur seine Mitarbeiter, und der de Vos, der mit Rubens zusammen arbeitete, hieß nicht Simon, sondern Paulus. Auch hat Rubens nach seiner eignen Aussage die ganze Bilderreihe an ihrem Aufstellungs¬ orte mit Rücksicht auf die Beleuchtung übergangen, sodaß der Anteil der Schülerhände sich nicht mehr feststellen läßt, und einer seiner Briefe berechtigt s»gar zu dein Schlüsse, daß das Bild „Glück der Regentschaft der Maria von Medici" von Rubens ganz eigenhändig in Paris gemalt worden sei, weil man ein andres Bild als politisch anstößig ans der Reihe ausgeschieden hatte. Watteau hatte also in diesen Gemälden Werke vor Augen, an denen er Rubens eigne Malweise sehr wohl studiren konnte. Das zweitemal, wo Watteau „in seinem Leben gleichzeitig die Kunst und die Grenzboten I 1390 2S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/201>, abgerufen am 23.07.2024.