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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Antoine Watteau

kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienen ist,*) hat an zwei Stellen sehr
scharfsinnig dargelegt, durch welche Umstände Watteau dazu gelangt ist, das lüsterne
Leben seiner Zeit unter dem unschuldigen Sinnbild arkadischer Schäferspiele
widerzuspiegeln. Die allgemeine Atmosphäre war in deu letzten Regieruugs-
jahren Ludwigs XIV. vorbereitet worden. Wie ein Alp hatte die Despotie
heuchlerischer Frömmigkeit auf der französischen Gesellschaft gelastet. Mau
wünschte den Tod des Sonnenkönigs sehnsüchtig herbei, und als dieses Ereignis
endlich eintrat, schoß die gallische Ausgelassenheit im Verein mit der gallischen
Leichtfertigkeit und Sinnlichkeit in die Höhe wie der lange niedergehaltene Strahl
eines Springbrunnens. Während jener Zeit der Gährung und der Vorberei¬
tung lernte Watteau den ersten Abglanz der galanten Gesellschaft von ferne
kennen. Bis dahin hatte der junge Vlamländer, der aus seiner Geburtsstadt
Valenciennes im Jahre 1702 mit leerer Tasche und auch noch ziemlich leerem
Hirn nach Paris gewandert war, ein sehr kümmerliches Dasei" als Dutzeud-
arbeiter für Händler gefristet, welche die religiösen Bedürfnisse der Provinz¬
bewohner durch billige Andachtsbilder zu befriedigen suchten. Erst nach sechs
oder sieben Jahren rückte Watteau zu einer höhern Stufe in dieser Handlanger¬
arbeit empor, als zufällig Claude Gillvt auf seine Arbeiten, die sich etwas über
die Dutzendware erhoben, vielleicht auch nur durch ein lebhafteres Tempo in
der Schnellmalerei auffielen, aufmerksam wurde. Watteau trat nun in Gillots
Werkstatt, nicht bloß als Schüler, sondern auch als Gehilfe bei den dekora¬
tiven Arbeiten des vielbeschäftigten Meisters, und in dieser Eigenschaft mag
er, wie Hannover mit großer Wahrscheinlichkeit annimmt, die gru-medo und die
xstits sinMi'is, zwei Zimmer im Schlosse zu Chcmtillh, mit komischen Dar¬
stellungen aus dem Leben der Affen und aus ihrem Verkehr mit Menschen
nach Entwürfen Gillots ausgemalt haben. Einige Watteauforscher haben dem
Künstler auch die Erfindung dieser Dekorationen zugewiesen, andre haben ihm
auch die Ausführung abgesprochen. Demgegenüber weist Hannover im einzelnen
nach, daß man keine Ursache hat, auf diese Malereien, selbst wenn sie ganz und
gar von Watteau herrührten, in seinem Entwicklungsgange großen Wert zu
legen, da der Künstler in ihnen durchaus als Nachahmer Gillots erscheint.
Es ist ein weiteres Verdienst des Biographen, zuerst mit Nachdruck darauf hin¬
gewiesen zu haben, daß dieser Gillot ein "viel originellerer Charakter war, als
sein unleugbar weit feiner und in viel höherm Grade echt künstlerisch angelegter
und tief poetischer Schüler," und daß dieser trotz seines kurzen, nur einige
Monate währenden Aufenthalts bei Gillot sehr viel dem Meister zu verdanken hatte,
der zuerst Bilder aus dem Theater- und Schattspielerleben gemalt, der den
Grund zu dem später von Watteau weiter ausgebildeten Ornamentstil gelegt



Antoine Watteau von Emil Hannover. Aus dem Dänischen übersetzt von Alice
Hannover. Mit elf Abbildungen. Berlin, R. Oppenheim.
Antoine Watteau

kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienen ist,*) hat an zwei Stellen sehr
scharfsinnig dargelegt, durch welche Umstände Watteau dazu gelangt ist, das lüsterne
Leben seiner Zeit unter dem unschuldigen Sinnbild arkadischer Schäferspiele
widerzuspiegeln. Die allgemeine Atmosphäre war in deu letzten Regieruugs-
jahren Ludwigs XIV. vorbereitet worden. Wie ein Alp hatte die Despotie
heuchlerischer Frömmigkeit auf der französischen Gesellschaft gelastet. Mau
wünschte den Tod des Sonnenkönigs sehnsüchtig herbei, und als dieses Ereignis
endlich eintrat, schoß die gallische Ausgelassenheit im Verein mit der gallischen
Leichtfertigkeit und Sinnlichkeit in die Höhe wie der lange niedergehaltene Strahl
eines Springbrunnens. Während jener Zeit der Gährung und der Vorberei¬
tung lernte Watteau den ersten Abglanz der galanten Gesellschaft von ferne
kennen. Bis dahin hatte der junge Vlamländer, der aus seiner Geburtsstadt
Valenciennes im Jahre 1702 mit leerer Tasche und auch noch ziemlich leerem
Hirn nach Paris gewandert war, ein sehr kümmerliches Dasei» als Dutzeud-
arbeiter für Händler gefristet, welche die religiösen Bedürfnisse der Provinz¬
bewohner durch billige Andachtsbilder zu befriedigen suchten. Erst nach sechs
oder sieben Jahren rückte Watteau zu einer höhern Stufe in dieser Handlanger¬
arbeit empor, als zufällig Claude Gillvt auf seine Arbeiten, die sich etwas über
die Dutzendware erhoben, vielleicht auch nur durch ein lebhafteres Tempo in
der Schnellmalerei auffielen, aufmerksam wurde. Watteau trat nun in Gillots
Werkstatt, nicht bloß als Schüler, sondern auch als Gehilfe bei den dekora¬
tiven Arbeiten des vielbeschäftigten Meisters, und in dieser Eigenschaft mag
er, wie Hannover mit großer Wahrscheinlichkeit annimmt, die gru-medo und die
xstits sinMi'is, zwei Zimmer im Schlosse zu Chcmtillh, mit komischen Dar¬
stellungen aus dem Leben der Affen und aus ihrem Verkehr mit Menschen
nach Entwürfen Gillots ausgemalt haben. Einige Watteauforscher haben dem
Künstler auch die Erfindung dieser Dekorationen zugewiesen, andre haben ihm
auch die Ausführung abgesprochen. Demgegenüber weist Hannover im einzelnen
nach, daß man keine Ursache hat, auf diese Malereien, selbst wenn sie ganz und
gar von Watteau herrührten, in seinem Entwicklungsgange großen Wert zu
legen, da der Künstler in ihnen durchaus als Nachahmer Gillots erscheint.
Es ist ein weiteres Verdienst des Biographen, zuerst mit Nachdruck darauf hin¬
gewiesen zu haben, daß dieser Gillot ein „viel originellerer Charakter war, als
sein unleugbar weit feiner und in viel höherm Grade echt künstlerisch angelegter
und tief poetischer Schüler," und daß dieser trotz seines kurzen, nur einige
Monate währenden Aufenthalts bei Gillot sehr viel dem Meister zu verdanken hatte,
der zuerst Bilder aus dem Theater- und Schattspielerleben gemalt, der den
Grund zu dem später von Watteau weiter ausgebildeten Ornamentstil gelegt



Antoine Watteau von Emil Hannover. Aus dem Dänischen übersetzt von Alice
Hannover. Mit elf Abbildungen. Berlin, R. Oppenheim.
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[0200] Antoine Watteau kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienen ist,*) hat an zwei Stellen sehr scharfsinnig dargelegt, durch welche Umstände Watteau dazu gelangt ist, das lüsterne Leben seiner Zeit unter dem unschuldigen Sinnbild arkadischer Schäferspiele widerzuspiegeln. Die allgemeine Atmosphäre war in deu letzten Regieruugs- jahren Ludwigs XIV. vorbereitet worden. Wie ein Alp hatte die Despotie heuchlerischer Frömmigkeit auf der französischen Gesellschaft gelastet. Mau wünschte den Tod des Sonnenkönigs sehnsüchtig herbei, und als dieses Ereignis endlich eintrat, schoß die gallische Ausgelassenheit im Verein mit der gallischen Leichtfertigkeit und Sinnlichkeit in die Höhe wie der lange niedergehaltene Strahl eines Springbrunnens. Während jener Zeit der Gährung und der Vorberei¬ tung lernte Watteau den ersten Abglanz der galanten Gesellschaft von ferne kennen. Bis dahin hatte der junge Vlamländer, der aus seiner Geburtsstadt Valenciennes im Jahre 1702 mit leerer Tasche und auch noch ziemlich leerem Hirn nach Paris gewandert war, ein sehr kümmerliches Dasei» als Dutzeud- arbeiter für Händler gefristet, welche die religiösen Bedürfnisse der Provinz¬ bewohner durch billige Andachtsbilder zu befriedigen suchten. Erst nach sechs oder sieben Jahren rückte Watteau zu einer höhern Stufe in dieser Handlanger¬ arbeit empor, als zufällig Claude Gillvt auf seine Arbeiten, die sich etwas über die Dutzendware erhoben, vielleicht auch nur durch ein lebhafteres Tempo in der Schnellmalerei auffielen, aufmerksam wurde. Watteau trat nun in Gillots Werkstatt, nicht bloß als Schüler, sondern auch als Gehilfe bei den dekora¬ tiven Arbeiten des vielbeschäftigten Meisters, und in dieser Eigenschaft mag er, wie Hannover mit großer Wahrscheinlichkeit annimmt, die gru-medo und die xstits sinMi'is, zwei Zimmer im Schlosse zu Chcmtillh, mit komischen Dar¬ stellungen aus dem Leben der Affen und aus ihrem Verkehr mit Menschen nach Entwürfen Gillots ausgemalt haben. Einige Watteauforscher haben dem Künstler auch die Erfindung dieser Dekorationen zugewiesen, andre haben ihm auch die Ausführung abgesprochen. Demgegenüber weist Hannover im einzelnen nach, daß man keine Ursache hat, auf diese Malereien, selbst wenn sie ganz und gar von Watteau herrührten, in seinem Entwicklungsgange großen Wert zu legen, da der Künstler in ihnen durchaus als Nachahmer Gillots erscheint. Es ist ein weiteres Verdienst des Biographen, zuerst mit Nachdruck darauf hin¬ gewiesen zu haben, daß dieser Gillot ein „viel originellerer Charakter war, als sein unleugbar weit feiner und in viel höherm Grade echt künstlerisch angelegter und tief poetischer Schüler," und daß dieser trotz seines kurzen, nur einige Monate währenden Aufenthalts bei Gillot sehr viel dem Meister zu verdanken hatte, der zuerst Bilder aus dem Theater- und Schattspielerleben gemalt, der den Grund zu dem später von Watteau weiter ausgebildeten Ornamentstil gelegt Antoine Watteau von Emil Hannover. Aus dem Dänischen übersetzt von Alice Hannover. Mit elf Abbildungen. Berlin, R. Oppenheim.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/200>, abgerufen am 23.07.2024.