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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Antoine Watteau

Maler erhoben. Zu diesen gehört er ebensowenig wie zu denen, die in Ver¬
gessenheit geraten dürfen. Er verdient es. daß man ihn kennen und lieben
lernt." Es ist Antoine Watteau, dem diese Worte gelten, der "Maler der
galanten Feste," nach dessen Hauptwerk, der Abfahrt nach der Insel Cythera.
die Schüler Davids im Louvre zu Anfang dieses Jahrhunderts mit Brot- und
Lehmkugeln warfen, um ihre gründliche Verachtung dieser Lotterkuust einer
entnervten Gesellschaft darzuthun, während heute dieses Bild in der Preisliste
der Liebhaber mit 300 000 Mark notirt wird. Was David und seine"
Schülern als Inbegriff der Unnatur galt, wird heute als Gipfel natürlicher
Anmut gepriesen, und im Einklang damit macht man die Beobachtung, daß
sich die Idealisten und die Naturalisten von heute wenigstens in dein einen
Glaubenssätze begegnen, daß sie beide den gleichen Abscheu gegen die gespreizte,
unnatürliche Darstellungsart des von David und seinen Schülern und Nach¬
ahmern vertretenen Pseudoklassizismus kundgeben.

Was ist Wahrheit? wird der Laie in seiner ästhetischen Bedrängnis fragen.
Und ist das Ideal der Schönheit nicht unverrückbar, von den Ergebnissen
öffentlicher Kunstauktionen unabhängig? Es wäre vermessen, auf diese Frage
eine runde Antwort geben zu wollen. Aber so viel darf man sich doch heraus¬
nehmen, zu behaupten, daß diejenigen Künstler sich das größte Anrecht
auf das Verständnis, die Wertschätzung und die Bewunderung aller Zeiten
erworben haben, die mit ihrer Kunst in dem Boden ihres Landes, ihres Volkes
und ihrer Zeit wurzeln. Das Dogma, daß die wahre, allgemeingiltige Kunst
international, d. h. ein über Ort und Zeit erhabenes, allen Völkern gleich-
verstündliches Wesen sein müsse, hat sich längst als leere Redensart erwiesen,
und der Empiriker Morelli ist in seinem neuesten Buche sogar soweit gegangen,
daß er den Grundsatz aufgestellt hat: "Nur diejenige Kunst, welche mit unsrer
eignen Kultur im innigsten Zusammenhang steht, können wir vollkommen ver¬
stehen und in uns aufnehmen." Wenn sich auch dieser Satz weder bestreiten
noch beweisen läßt, so scheint doch das eine festzustehen, daß Watteau, der
streng genommen keine eigentlich geniale, ursprüngliche, bahnbrechende Natur
besaß, den großen Eindruck und Einfluß auf seine Zeitgenossen und die über¬
triebene Schätzung in unsrer Zeit der historischen Kritik nur dadurch erreicht
hat, daß er den Geist seines Zeitalters begriff, die Neigungen seiner Zeit¬
genossen verstand und ihnen eine künstlerische Gestalt gab, die trotz ihrer
idealen Maskerade allgemein verstanden wurde. Was uns Watteau vorge¬
spielt hat, war die wirkliche Komödie seiner Zeit. David und seine Schüler
haben uns dagegen nur die Karrikaturen ihrer Zeit geschaffen, zu Riesen aus¬
einander gezerrte Geruegroße, deren wahre Bildnisse wir aus den gleichzeitigen
Flugblättern, den illustrirten Büchern, den Modekupfern und aus ähnlichem
Kleinkram der Kunst kennen lernen.

Der oben genannte Biograph Watteaus, der Düne EmilHnnnover, dessen Buch


Antoine Watteau

Maler erhoben. Zu diesen gehört er ebensowenig wie zu denen, die in Ver¬
gessenheit geraten dürfen. Er verdient es. daß man ihn kennen und lieben
lernt." Es ist Antoine Watteau, dem diese Worte gelten, der „Maler der
galanten Feste," nach dessen Hauptwerk, der Abfahrt nach der Insel Cythera.
die Schüler Davids im Louvre zu Anfang dieses Jahrhunderts mit Brot- und
Lehmkugeln warfen, um ihre gründliche Verachtung dieser Lotterkuust einer
entnervten Gesellschaft darzuthun, während heute dieses Bild in der Preisliste
der Liebhaber mit 300 000 Mark notirt wird. Was David und seine»
Schülern als Inbegriff der Unnatur galt, wird heute als Gipfel natürlicher
Anmut gepriesen, und im Einklang damit macht man die Beobachtung, daß
sich die Idealisten und die Naturalisten von heute wenigstens in dein einen
Glaubenssätze begegnen, daß sie beide den gleichen Abscheu gegen die gespreizte,
unnatürliche Darstellungsart des von David und seinen Schülern und Nach¬
ahmern vertretenen Pseudoklassizismus kundgeben.

Was ist Wahrheit? wird der Laie in seiner ästhetischen Bedrängnis fragen.
Und ist das Ideal der Schönheit nicht unverrückbar, von den Ergebnissen
öffentlicher Kunstauktionen unabhängig? Es wäre vermessen, auf diese Frage
eine runde Antwort geben zu wollen. Aber so viel darf man sich doch heraus¬
nehmen, zu behaupten, daß diejenigen Künstler sich das größte Anrecht
auf das Verständnis, die Wertschätzung und die Bewunderung aller Zeiten
erworben haben, die mit ihrer Kunst in dem Boden ihres Landes, ihres Volkes
und ihrer Zeit wurzeln. Das Dogma, daß die wahre, allgemeingiltige Kunst
international, d. h. ein über Ort und Zeit erhabenes, allen Völkern gleich-
verstündliches Wesen sein müsse, hat sich längst als leere Redensart erwiesen,
und der Empiriker Morelli ist in seinem neuesten Buche sogar soweit gegangen,
daß er den Grundsatz aufgestellt hat: „Nur diejenige Kunst, welche mit unsrer
eignen Kultur im innigsten Zusammenhang steht, können wir vollkommen ver¬
stehen und in uns aufnehmen." Wenn sich auch dieser Satz weder bestreiten
noch beweisen läßt, so scheint doch das eine festzustehen, daß Watteau, der
streng genommen keine eigentlich geniale, ursprüngliche, bahnbrechende Natur
besaß, den großen Eindruck und Einfluß auf seine Zeitgenossen und die über¬
triebene Schätzung in unsrer Zeit der historischen Kritik nur dadurch erreicht
hat, daß er den Geist seines Zeitalters begriff, die Neigungen seiner Zeit¬
genossen verstand und ihnen eine künstlerische Gestalt gab, die trotz ihrer
idealen Maskerade allgemein verstanden wurde. Was uns Watteau vorge¬
spielt hat, war die wirkliche Komödie seiner Zeit. David und seine Schüler
haben uns dagegen nur die Karrikaturen ihrer Zeit geschaffen, zu Riesen aus¬
einander gezerrte Geruegroße, deren wahre Bildnisse wir aus den gleichzeitigen
Flugblättern, den illustrirten Büchern, den Modekupfern und aus ähnlichem
Kleinkram der Kunst kennen lernen.

Der oben genannte Biograph Watteaus, der Düne EmilHnnnover, dessen Buch


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[0199] Antoine Watteau Maler erhoben. Zu diesen gehört er ebensowenig wie zu denen, die in Ver¬ gessenheit geraten dürfen. Er verdient es. daß man ihn kennen und lieben lernt." Es ist Antoine Watteau, dem diese Worte gelten, der „Maler der galanten Feste," nach dessen Hauptwerk, der Abfahrt nach der Insel Cythera. die Schüler Davids im Louvre zu Anfang dieses Jahrhunderts mit Brot- und Lehmkugeln warfen, um ihre gründliche Verachtung dieser Lotterkuust einer entnervten Gesellschaft darzuthun, während heute dieses Bild in der Preisliste der Liebhaber mit 300 000 Mark notirt wird. Was David und seine» Schülern als Inbegriff der Unnatur galt, wird heute als Gipfel natürlicher Anmut gepriesen, und im Einklang damit macht man die Beobachtung, daß sich die Idealisten und die Naturalisten von heute wenigstens in dein einen Glaubenssätze begegnen, daß sie beide den gleichen Abscheu gegen die gespreizte, unnatürliche Darstellungsart des von David und seinen Schülern und Nach¬ ahmern vertretenen Pseudoklassizismus kundgeben. Was ist Wahrheit? wird der Laie in seiner ästhetischen Bedrängnis fragen. Und ist das Ideal der Schönheit nicht unverrückbar, von den Ergebnissen öffentlicher Kunstauktionen unabhängig? Es wäre vermessen, auf diese Frage eine runde Antwort geben zu wollen. Aber so viel darf man sich doch heraus¬ nehmen, zu behaupten, daß diejenigen Künstler sich das größte Anrecht auf das Verständnis, die Wertschätzung und die Bewunderung aller Zeiten erworben haben, die mit ihrer Kunst in dem Boden ihres Landes, ihres Volkes und ihrer Zeit wurzeln. Das Dogma, daß die wahre, allgemeingiltige Kunst international, d. h. ein über Ort und Zeit erhabenes, allen Völkern gleich- verstündliches Wesen sein müsse, hat sich längst als leere Redensart erwiesen, und der Empiriker Morelli ist in seinem neuesten Buche sogar soweit gegangen, daß er den Grundsatz aufgestellt hat: „Nur diejenige Kunst, welche mit unsrer eignen Kultur im innigsten Zusammenhang steht, können wir vollkommen ver¬ stehen und in uns aufnehmen." Wenn sich auch dieser Satz weder bestreiten noch beweisen läßt, so scheint doch das eine festzustehen, daß Watteau, der streng genommen keine eigentlich geniale, ursprüngliche, bahnbrechende Natur besaß, den großen Eindruck und Einfluß auf seine Zeitgenossen und die über¬ triebene Schätzung in unsrer Zeit der historischen Kritik nur dadurch erreicht hat, daß er den Geist seines Zeitalters begriff, die Neigungen seiner Zeit¬ genossen verstand und ihnen eine künstlerische Gestalt gab, die trotz ihrer idealen Maskerade allgemein verstanden wurde. Was uns Watteau vorge¬ spielt hat, war die wirkliche Komödie seiner Zeit. David und seine Schüler haben uns dagegen nur die Karrikaturen ihrer Zeit geschaffen, zu Riesen aus¬ einander gezerrte Geruegroße, deren wahre Bildnisse wir aus den gleichzeitigen Flugblättern, den illustrirten Büchern, den Modekupfern und aus ähnlichem Kleinkram der Kunst kennen lernen. Der oben genannte Biograph Watteaus, der Düne EmilHnnnover, dessen Buch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/199>, abgerufen am 23.07.2024.