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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Wohnungsfrage

Man sieht, beide Vereine wollen in gleicher Weise vorgehen. Sie wollen
den Irrtum bekämpfen, daß sich ein Haus mit Wohnungen für Arbeiter nicht
genügend verzinse. Sollte es denn aber wirklich ein solcher Irrtum sein,
was die Erbauung von Häusern dieser Art in größerm Maßstabe bisher ge¬
hindert hat? Erwägt man, wie spürsam im allgemeinen das Kapital nach
nutzbringenden Anlagen ist, und daß sich diese Spürsamkeit in jüngster Zeit
durch die ungeheure Fülle des vorhandnen Kapitals, das nach Anlage sucht,
noch gesteigert hat, so kann man nicht umhin, der gestellten Frage zweifelnd
gegenüberzutreten. In Wahrheit dürfte sich jene Erscheinung noch ans andern
(Gründen erklären. Bei jeder Kapitalanlage kommt nicht bloß die Hohe der
Verzinsung, sondern auch die Mühe nud Last in Betracht, die dem Kapitalisten
die Verwaltung des Kapitals und die Erhebung des Zinses macht. Nun hat der
Rechtsverkehr mit einer großen Menge von Mietern, die den niedern Ständen
angehören, sicherlich nichts Angenehmes. Es giebt ja gewiß auch uuter diesen
ordentliche Leute. Manche sind aber auch minder ordentlich, und dann machen
sie dem Vermieter das Leben sauer. Sie schonen die Wohnung nicht und
lassen sie durch Unreinlichkeit verkommen. Sie geraten in Streitigkeiten unter
einander, deren Ausbrüchen daun der Hausherr entgegentreten muß. Sie be¬
zahle" den Mietzins nicht regelmäßig und nötigen den Hausherrn zu einer müh¬
seligen Buchführung, unter Umständen auch zur Klage. Sie sind vielleicht,
wenn es zur Auspfändung kommt, nicht einmal pfändbar. Und schließlich
muß der Hausherr froh sein, wenn er sie nnr wieder aus dem Hause los ist.
Dabei mögen auch vielfach Unbilden der Hanseigentümer, die ja auch oft rohe
und eigennützige Menschen sind, vorkommen. Im allgemeinen aber bietet eine
solche Mietkaserne mit allen ihren verschiedenartigen Insassen für den, der sie
zu verwalten hat, kein erfreuliches Verhältnis. Wer sich nicht persönlich diesem.
Verkehr aussetzen will, der ist genötigt, einen Hausmeister anzunehmen, der
strenge Ordnung hält. Ein solcher ist aber nicht immer zu haben. Er will
auch gut bezahlt sein, und dadurch mindert sich wieder das Erträgnis der Mieter.

Aus diese" Umständen erklärt es sich zur Genüge, daß Häuser, die
selbständig zur Vermietung an kleine Leute bestimmt wären, so gut wie gar
nicht neu gebaut werden. Höchstens werden bei Neubauten Nebenräume
^ Hinterhäuser, Kellerwohnungen u. s. w. -- für kleine Leute eingerichtet.
Außerdem müssen diese ihre Wohnungen in ältern, meist zurückgekommenen
Häusern suche". Wer nun ein solches Haus besitzt, das sich nur zur Ver¬
mietung an kleine Leute eignet, der will für die Unannehmlichkeiten und Ge¬
fahren, denen er sich unterzieht, auch bezahlt sein. Er fordert also für die
kleinen Wohnungen hohe Preise, vielleicht weit über deren Bauwerk hinaus.
Und er erhält sie auch bezahlt, weil es an solchen Wohnungen mangelt. Der
ordentliche Mietsmann leidet darunter ebenso wie der minder ordentliche. Um
nun diesen hohen Preisen zu entgehen, sucht jeder sich in seiner Wohnung


Die Wohnungsfrage

Man sieht, beide Vereine wollen in gleicher Weise vorgehen. Sie wollen
den Irrtum bekämpfen, daß sich ein Haus mit Wohnungen für Arbeiter nicht
genügend verzinse. Sollte es denn aber wirklich ein solcher Irrtum sein,
was die Erbauung von Häusern dieser Art in größerm Maßstabe bisher ge¬
hindert hat? Erwägt man, wie spürsam im allgemeinen das Kapital nach
nutzbringenden Anlagen ist, und daß sich diese Spürsamkeit in jüngster Zeit
durch die ungeheure Fülle des vorhandnen Kapitals, das nach Anlage sucht,
noch gesteigert hat, so kann man nicht umhin, der gestellten Frage zweifelnd
gegenüberzutreten. In Wahrheit dürfte sich jene Erscheinung noch ans andern
(Gründen erklären. Bei jeder Kapitalanlage kommt nicht bloß die Hohe der
Verzinsung, sondern auch die Mühe nud Last in Betracht, die dem Kapitalisten
die Verwaltung des Kapitals und die Erhebung des Zinses macht. Nun hat der
Rechtsverkehr mit einer großen Menge von Mietern, die den niedern Ständen
angehören, sicherlich nichts Angenehmes. Es giebt ja gewiß auch uuter diesen
ordentliche Leute. Manche sind aber auch minder ordentlich, und dann machen
sie dem Vermieter das Leben sauer. Sie schonen die Wohnung nicht und
lassen sie durch Unreinlichkeit verkommen. Sie geraten in Streitigkeiten unter
einander, deren Ausbrüchen daun der Hausherr entgegentreten muß. Sie be¬
zahle» den Mietzins nicht regelmäßig und nötigen den Hausherrn zu einer müh¬
seligen Buchführung, unter Umständen auch zur Klage. Sie sind vielleicht,
wenn es zur Auspfändung kommt, nicht einmal pfändbar. Und schließlich
muß der Hausherr froh sein, wenn er sie nnr wieder aus dem Hause los ist.
Dabei mögen auch vielfach Unbilden der Hanseigentümer, die ja auch oft rohe
und eigennützige Menschen sind, vorkommen. Im allgemeinen aber bietet eine
solche Mietkaserne mit allen ihren verschiedenartigen Insassen für den, der sie
zu verwalten hat, kein erfreuliches Verhältnis. Wer sich nicht persönlich diesem.
Verkehr aussetzen will, der ist genötigt, einen Hausmeister anzunehmen, der
strenge Ordnung hält. Ein solcher ist aber nicht immer zu haben. Er will
auch gut bezahlt sein, und dadurch mindert sich wieder das Erträgnis der Mieter.

Aus diese» Umständen erklärt es sich zur Genüge, daß Häuser, die
selbständig zur Vermietung an kleine Leute bestimmt wären, so gut wie gar
nicht neu gebaut werden. Höchstens werden bei Neubauten Nebenräume
^ Hinterhäuser, Kellerwohnungen u. s. w. — für kleine Leute eingerichtet.
Außerdem müssen diese ihre Wohnungen in ältern, meist zurückgekommenen
Häusern suche». Wer nun ein solches Haus besitzt, das sich nur zur Ver¬
mietung an kleine Leute eignet, der will für die Unannehmlichkeiten und Ge¬
fahren, denen er sich unterzieht, auch bezahlt sein. Er fordert also für die
kleinen Wohnungen hohe Preise, vielleicht weit über deren Bauwerk hinaus.
Und er erhält sie auch bezahlt, weil es an solchen Wohnungen mangelt. Der
ordentliche Mietsmann leidet darunter ebenso wie der minder ordentliche. Um
nun diesen hohen Preisen zu entgehen, sucht jeder sich in seiner Wohnung


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[0180] Die Wohnungsfrage Man sieht, beide Vereine wollen in gleicher Weise vorgehen. Sie wollen den Irrtum bekämpfen, daß sich ein Haus mit Wohnungen für Arbeiter nicht genügend verzinse. Sollte es denn aber wirklich ein solcher Irrtum sein, was die Erbauung von Häusern dieser Art in größerm Maßstabe bisher ge¬ hindert hat? Erwägt man, wie spürsam im allgemeinen das Kapital nach nutzbringenden Anlagen ist, und daß sich diese Spürsamkeit in jüngster Zeit durch die ungeheure Fülle des vorhandnen Kapitals, das nach Anlage sucht, noch gesteigert hat, so kann man nicht umhin, der gestellten Frage zweifelnd gegenüberzutreten. In Wahrheit dürfte sich jene Erscheinung noch ans andern (Gründen erklären. Bei jeder Kapitalanlage kommt nicht bloß die Hohe der Verzinsung, sondern auch die Mühe nud Last in Betracht, die dem Kapitalisten die Verwaltung des Kapitals und die Erhebung des Zinses macht. Nun hat der Rechtsverkehr mit einer großen Menge von Mietern, die den niedern Ständen angehören, sicherlich nichts Angenehmes. Es giebt ja gewiß auch uuter diesen ordentliche Leute. Manche sind aber auch minder ordentlich, und dann machen sie dem Vermieter das Leben sauer. Sie schonen die Wohnung nicht und lassen sie durch Unreinlichkeit verkommen. Sie geraten in Streitigkeiten unter einander, deren Ausbrüchen daun der Hausherr entgegentreten muß. Sie be¬ zahle» den Mietzins nicht regelmäßig und nötigen den Hausherrn zu einer müh¬ seligen Buchführung, unter Umständen auch zur Klage. Sie sind vielleicht, wenn es zur Auspfändung kommt, nicht einmal pfändbar. Und schließlich muß der Hausherr froh sein, wenn er sie nnr wieder aus dem Hause los ist. Dabei mögen auch vielfach Unbilden der Hanseigentümer, die ja auch oft rohe und eigennützige Menschen sind, vorkommen. Im allgemeinen aber bietet eine solche Mietkaserne mit allen ihren verschiedenartigen Insassen für den, der sie zu verwalten hat, kein erfreuliches Verhältnis. Wer sich nicht persönlich diesem. Verkehr aussetzen will, der ist genötigt, einen Hausmeister anzunehmen, der strenge Ordnung hält. Ein solcher ist aber nicht immer zu haben. Er will auch gut bezahlt sein, und dadurch mindert sich wieder das Erträgnis der Mieter. Aus diese» Umständen erklärt es sich zur Genüge, daß Häuser, die selbständig zur Vermietung an kleine Leute bestimmt wären, so gut wie gar nicht neu gebaut werden. Höchstens werden bei Neubauten Nebenräume ^ Hinterhäuser, Kellerwohnungen u. s. w. — für kleine Leute eingerichtet. Außerdem müssen diese ihre Wohnungen in ältern, meist zurückgekommenen Häusern suche». Wer nun ein solches Haus besitzt, das sich nur zur Ver¬ mietung an kleine Leute eignet, der will für die Unannehmlichkeiten und Ge¬ fahren, denen er sich unterzieht, auch bezahlt sein. Er fordert also für die kleinen Wohnungen hohe Preise, vielleicht weit über deren Bauwerk hinaus. Und er erhält sie auch bezahlt, weil es an solchen Wohnungen mangelt. Der ordentliche Mietsmann leidet darunter ebenso wie der minder ordentliche. Um nun diesen hohen Preisen zu entgehen, sucht jeder sich in seiner Wohnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/180>, abgerufen am 25.08.2024.