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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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dem fest durchgebildete Ansichten über Umfang und Zweck des Staates aus¬
gesprochen wurden waren, die eine ernste, unabhängige Gedankenarbeit
gewonnen hatte, war Friedrich, der große König von Preußen. Aber er stand
allein. Das ist das Eigentümliche dieses Zeitalters: die Gelehrten dachten
nicht daran, den Bahnen des Königs zu folgen, am wenigsten gerade die Kron-
nnd Staatsjuristen dieser Zeit; um nächsten hätte es noch den Stnatslenkern
selbst, hätte es seinen fürstlichen Zeitgenossen gelegen. Aber so viele auch
nnter deu deutschen Herren den großen König bewunderten, so manche ihm
nachahmten und gleich ihm in aufrichtigem Streben ihrem Staate allein ihr
Leben gewidmet hatten, sie blieben doch eben, und mit ihnen auch der edle und
vortreffliche Karl Friedrich von Baden, der bedeutendste nächst dem preußischen
König, nur Lnndesväter im besten Sinne, Praktiker ihres Jahrhunderts, ans
dessen Bahnen sie sich nicht erhoben; sie hatten niemals die staatlichen Dinge
wie er aus der Gedankeuruhe des bloßen Betrachters, des Philosophen
zu sehen vermocht. Friedrich blieb allein; er, der seinem Jahrhundert
den Namen gegeben hat, er hat mehr als den Besten seiner Zeit genng
gethan, hat das Jahrhundert' hinter den Flügen seines Geistes weit
zurückgelassen. So blieb dieses ganze geistig doch so lebhafte, so un-
endlich fördernde Zeitalter dem Staate völlig fern; die Abwendung vom
Staate blieb, und sie war um so vollständiger, als sie, wie betont werden
muß, meist unbewußt geschah. Nicht einmal das alles beherrschende
und regelnde Studium des Altertums erweckte die Beschäftigung mit der
modernen noT^si", nichts vermochte die stete Beziehung auf das vor
allem staatliche Volk der Römer; man kannte wohl aus deu Alten den Begriff
rs8 Mbliog. und wandte ihn auch an, wenn man in gelehrten Schriften eines
Ausdruckes für deu Staat bedürfte; aber niemals war weniger als gerade zu
dieser Zeit der Staat eine rv8 xribliou, gewesen. Und so kam es denn anch
dahin, daß man, weil der Staat keine öffentliche Angelegenheit war, des bis¬
her immer noch gedankenlos angewendeten Ausdruckes für ihn ebenso unab¬
sichtlich vergaß, und daß schließlich das Wort "Republik" in einen wirklichen
und dauernden Sprachgegensatz zu der eigentlichen Erscheinungsform des
Staates geriet.

Es waren ganz andre Dinge, von denen die ernsten und empfänglichen
Geister dieses Zeitalters bewegt wurden, in erster Linie die reichen Früchte,
die aus der schönen menschlichen Anwendung der neuen Freiheit des Glaubens
und des Gedankens erwachsen waren: das neue entdeckte Ich, die Erforschung
und die Ausbildung der Einzelpersönlichkeit lag aller geistigen Beschäftigung
zu Grunde, nahm allen Anteil für sich hinweg, und wo dieses Ich noch nicht
allein erfüllte und genügte, da gelangte doch darum der Gedanke nicht zu der
im Staate dargestellten Gruppe, da faud und erkannte mau nur eine einzige
Mehrzahl: alle Ich, die ganze den Erdball erfüllende Menschheit. Es lag


dem fest durchgebildete Ansichten über Umfang und Zweck des Staates aus¬
gesprochen wurden waren, die eine ernste, unabhängige Gedankenarbeit
gewonnen hatte, war Friedrich, der große König von Preußen. Aber er stand
allein. Das ist das Eigentümliche dieses Zeitalters: die Gelehrten dachten
nicht daran, den Bahnen des Königs zu folgen, am wenigsten gerade die Kron-
nnd Staatsjuristen dieser Zeit; um nächsten hätte es noch den Stnatslenkern
selbst, hätte es seinen fürstlichen Zeitgenossen gelegen. Aber so viele auch
nnter deu deutschen Herren den großen König bewunderten, so manche ihm
nachahmten und gleich ihm in aufrichtigem Streben ihrem Staate allein ihr
Leben gewidmet hatten, sie blieben doch eben, und mit ihnen auch der edle und
vortreffliche Karl Friedrich von Baden, der bedeutendste nächst dem preußischen
König, nur Lnndesväter im besten Sinne, Praktiker ihres Jahrhunderts, ans
dessen Bahnen sie sich nicht erhoben; sie hatten niemals die staatlichen Dinge
wie er aus der Gedankeuruhe des bloßen Betrachters, des Philosophen
zu sehen vermocht. Friedrich blieb allein; er, der seinem Jahrhundert
den Namen gegeben hat, er hat mehr als den Besten seiner Zeit genng
gethan, hat das Jahrhundert' hinter den Flügen seines Geistes weit
zurückgelassen. So blieb dieses ganze geistig doch so lebhafte, so un-
endlich fördernde Zeitalter dem Staate völlig fern; die Abwendung vom
Staate blieb, und sie war um so vollständiger, als sie, wie betont werden
muß, meist unbewußt geschah. Nicht einmal das alles beherrschende
und regelnde Studium des Altertums erweckte die Beschäftigung mit der
modernen noT^si«, nichts vermochte die stete Beziehung auf das vor
allem staatliche Volk der Römer; man kannte wohl aus deu Alten den Begriff
rs8 Mbliog. und wandte ihn auch an, wenn man in gelehrten Schriften eines
Ausdruckes für deu Staat bedürfte; aber niemals war weniger als gerade zu
dieser Zeit der Staat eine rv8 xribliou, gewesen. Und so kam es denn anch
dahin, daß man, weil der Staat keine öffentliche Angelegenheit war, des bis¬
her immer noch gedankenlos angewendeten Ausdruckes für ihn ebenso unab¬
sichtlich vergaß, und daß schließlich das Wort „Republik" in einen wirklichen
und dauernden Sprachgegensatz zu der eigentlichen Erscheinungsform des
Staates geriet.

Es waren ganz andre Dinge, von denen die ernsten und empfänglichen
Geister dieses Zeitalters bewegt wurden, in erster Linie die reichen Früchte,
die aus der schönen menschlichen Anwendung der neuen Freiheit des Glaubens
und des Gedankens erwachsen waren: das neue entdeckte Ich, die Erforschung
und die Ausbildung der Einzelpersönlichkeit lag aller geistigen Beschäftigung
zu Grunde, nahm allen Anteil für sich hinweg, und wo dieses Ich noch nicht
allein erfüllte und genügte, da gelangte doch darum der Gedanke nicht zu der
im Staate dargestellten Gruppe, da faud und erkannte mau nur eine einzige
Mehrzahl: alle Ich, die ganze den Erdball erfüllende Menschheit. Es lag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/18>, abgerufen am 23.07.2024.