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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Verlegenheiten in Spanien

Wie in dein benachbarten republikanischen Frankreich -- stark nach dem Einflüsse
der Partei zu richten Pflegen, die sich gerade am Ruder des Staatsschiffes be¬
findet, so ist es kein Wunder, daß sich Sagasta die äußerste Mühe giebt, seiue
Stelle der jetzigen seit vier Jahren bestehenden Landesvertretung gegenüber zu
behaupten, sei es auch mit einigen Opfern um seiner Überzeugung, dnrch Ver¬
ständigung über ein Kompromiß mit einigen der Parteigenossen, die ihm den
Rücken gekehrt haben, wobei er aber wiederum Gefahr läuft, einige der poli¬
tischen Freunde zu verlieren, die bisher mit ihm durch dick und dünn gegangen
sind. In dieser Verlegenheit sprach man schon von einem einstweiligen Kabinet,
das mit seiner Zustimmung und Beihilfe gebildet werden, zu gleichen Teilen
aus Politikern seiner Farbe und ans andersgesinnteil Liberalen bestehen und
entweder Alonzo Martinez oder den Marschall Campos zum Vorsitzenden und
Führer erhalten sollte. Man glaubte, daß Leute wie Senjor Martos, der vor
einiger Zeit unerwartet von seiner Stellung als Sprecher der Cortes verdrängt
worden war *) General Lopez Dominguez und Senjor Gcimazo sich bewegen
lassen würden, in einem derartigen gemischten Ministerium Posten anzunehmen,
das vornehmlich zu dem Zwecke geschaffen werden sollte, die Konservativen von
den höchsten Ämtern fern zu halten. Bis jetzt ist aber ans keiner der Ab¬
sichten etwas geworden, die dem Premier zugeschrieben wurden, nachdem er
am 3. Januar dem Wunsche der Regentin nachgegeben hatte, das Ministerium
mit den Trümmern eines zerfallenen neu zu bilden. Die Ministerkrisis dauert
fort, nur haben die bisherigen Minister eingewilligt, angesichts einer nen auf¬
getauchten Gefahr die Geschäfte vorläufig weiterzuführen.

Es ist nun nicht unmöglich, daß das bisherige Zögern der liberalen
Parteigruppen sich zuletzt zu freundlichem Einvernehmen herbeiläßt, wenn es
auch nur ein vorläufiges, ein Notbehelf sein sollte. Diese Hoffnung gründet
sich vorzüglich auf die Beängstigung, die durch die schwere Erkrankung des
Königs unter allen monarchischen Parteien Spaniens hervorgerufen worden
ist, und die nach den letzten Nachrichten zwar eine Wendung zum Besfern
genommen hat, aber eine Wiederkehr gefährlicher Zustände befürchten läßt.
Wir haben in der letzten Woche erfahren, daß "alle Bemühungen, zu einer
Äsung der Ministerkrisis zu gelangen, infolge der Krankheit Sr. Majestät bis
auf weiteres eingestellt worden seien, da die ganze Aufmerksamkeit der Königin
Christine gegenwärtig voll der Sorge um ihren Sohn und dessen Pflege in
Anspruch genommen werde." Das Madrider Königsschloß steht weit von uus,
und was jetzt darin vorgeht, würde uns unter andern Umständen nicht be¬
sonders berühren. Aber das Schauspiel des schon vor seiner Geburt des Vaters
beraubten Königssohnes und Thronerben, der unbewußt mit dem Tode um
seine Krone ringt, und noch mehr die unter diesem Schauspiel leidende Mutter,



*) Dieser ist den neuesten Nachrichten zufolge jetzt mit der Neubildung des Kabinets
betraut, soll aber so wenig Aussicht ans Erfolg haben mis Sagasta.
Verlegenheiten in Spanien

Wie in dein benachbarten republikanischen Frankreich — stark nach dem Einflüsse
der Partei zu richten Pflegen, die sich gerade am Ruder des Staatsschiffes be¬
findet, so ist es kein Wunder, daß sich Sagasta die äußerste Mühe giebt, seiue
Stelle der jetzigen seit vier Jahren bestehenden Landesvertretung gegenüber zu
behaupten, sei es auch mit einigen Opfern um seiner Überzeugung, dnrch Ver¬
ständigung über ein Kompromiß mit einigen der Parteigenossen, die ihm den
Rücken gekehrt haben, wobei er aber wiederum Gefahr läuft, einige der poli¬
tischen Freunde zu verlieren, die bisher mit ihm durch dick und dünn gegangen
sind. In dieser Verlegenheit sprach man schon von einem einstweiligen Kabinet,
das mit seiner Zustimmung und Beihilfe gebildet werden, zu gleichen Teilen
aus Politikern seiner Farbe und ans andersgesinnteil Liberalen bestehen und
entweder Alonzo Martinez oder den Marschall Campos zum Vorsitzenden und
Führer erhalten sollte. Man glaubte, daß Leute wie Senjor Martos, der vor
einiger Zeit unerwartet von seiner Stellung als Sprecher der Cortes verdrängt
worden war *) General Lopez Dominguez und Senjor Gcimazo sich bewegen
lassen würden, in einem derartigen gemischten Ministerium Posten anzunehmen,
das vornehmlich zu dem Zwecke geschaffen werden sollte, die Konservativen von
den höchsten Ämtern fern zu halten. Bis jetzt ist aber ans keiner der Ab¬
sichten etwas geworden, die dem Premier zugeschrieben wurden, nachdem er
am 3. Januar dem Wunsche der Regentin nachgegeben hatte, das Ministerium
mit den Trümmern eines zerfallenen neu zu bilden. Die Ministerkrisis dauert
fort, nur haben die bisherigen Minister eingewilligt, angesichts einer nen auf¬
getauchten Gefahr die Geschäfte vorläufig weiterzuführen.

Es ist nun nicht unmöglich, daß das bisherige Zögern der liberalen
Parteigruppen sich zuletzt zu freundlichem Einvernehmen herbeiläßt, wenn es
auch nur ein vorläufiges, ein Notbehelf sein sollte. Diese Hoffnung gründet
sich vorzüglich auf die Beängstigung, die durch die schwere Erkrankung des
Königs unter allen monarchischen Parteien Spaniens hervorgerufen worden
ist, und die nach den letzten Nachrichten zwar eine Wendung zum Besfern
genommen hat, aber eine Wiederkehr gefährlicher Zustände befürchten läßt.
Wir haben in der letzten Woche erfahren, daß „alle Bemühungen, zu einer
Äsung der Ministerkrisis zu gelangen, infolge der Krankheit Sr. Majestät bis
auf weiteres eingestellt worden seien, da die ganze Aufmerksamkeit der Königin
Christine gegenwärtig voll der Sorge um ihren Sohn und dessen Pflege in
Anspruch genommen werde." Das Madrider Königsschloß steht weit von uus,
und was jetzt darin vorgeht, würde uns unter andern Umständen nicht be¬
sonders berühren. Aber das Schauspiel des schon vor seiner Geburt des Vaters
beraubten Königssohnes und Thronerben, der unbewußt mit dem Tode um
seine Krone ringt, und noch mehr die unter diesem Schauspiel leidende Mutter,



*) Dieser ist den neuesten Nachrichten zufolge jetzt mit der Neubildung des Kabinets
betraut, soll aber so wenig Aussicht ans Erfolg haben mis Sagasta.
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[0163] Verlegenheiten in Spanien Wie in dein benachbarten republikanischen Frankreich — stark nach dem Einflüsse der Partei zu richten Pflegen, die sich gerade am Ruder des Staatsschiffes be¬ findet, so ist es kein Wunder, daß sich Sagasta die äußerste Mühe giebt, seiue Stelle der jetzigen seit vier Jahren bestehenden Landesvertretung gegenüber zu behaupten, sei es auch mit einigen Opfern um seiner Überzeugung, dnrch Ver¬ ständigung über ein Kompromiß mit einigen der Parteigenossen, die ihm den Rücken gekehrt haben, wobei er aber wiederum Gefahr läuft, einige der poli¬ tischen Freunde zu verlieren, die bisher mit ihm durch dick und dünn gegangen sind. In dieser Verlegenheit sprach man schon von einem einstweiligen Kabinet, das mit seiner Zustimmung und Beihilfe gebildet werden, zu gleichen Teilen aus Politikern seiner Farbe und ans andersgesinnteil Liberalen bestehen und entweder Alonzo Martinez oder den Marschall Campos zum Vorsitzenden und Führer erhalten sollte. Man glaubte, daß Leute wie Senjor Martos, der vor einiger Zeit unerwartet von seiner Stellung als Sprecher der Cortes verdrängt worden war *) General Lopez Dominguez und Senjor Gcimazo sich bewegen lassen würden, in einem derartigen gemischten Ministerium Posten anzunehmen, das vornehmlich zu dem Zwecke geschaffen werden sollte, die Konservativen von den höchsten Ämtern fern zu halten. Bis jetzt ist aber ans keiner der Ab¬ sichten etwas geworden, die dem Premier zugeschrieben wurden, nachdem er am 3. Januar dem Wunsche der Regentin nachgegeben hatte, das Ministerium mit den Trümmern eines zerfallenen neu zu bilden. Die Ministerkrisis dauert fort, nur haben die bisherigen Minister eingewilligt, angesichts einer nen auf¬ getauchten Gefahr die Geschäfte vorläufig weiterzuführen. Es ist nun nicht unmöglich, daß das bisherige Zögern der liberalen Parteigruppen sich zuletzt zu freundlichem Einvernehmen herbeiläßt, wenn es auch nur ein vorläufiges, ein Notbehelf sein sollte. Diese Hoffnung gründet sich vorzüglich auf die Beängstigung, die durch die schwere Erkrankung des Königs unter allen monarchischen Parteien Spaniens hervorgerufen worden ist, und die nach den letzten Nachrichten zwar eine Wendung zum Besfern genommen hat, aber eine Wiederkehr gefährlicher Zustände befürchten läßt. Wir haben in der letzten Woche erfahren, daß „alle Bemühungen, zu einer Äsung der Ministerkrisis zu gelangen, infolge der Krankheit Sr. Majestät bis auf weiteres eingestellt worden seien, da die ganze Aufmerksamkeit der Königin Christine gegenwärtig voll der Sorge um ihren Sohn und dessen Pflege in Anspruch genommen werde." Das Madrider Königsschloß steht weit von uus, und was jetzt darin vorgeht, würde uns unter andern Umständen nicht be¬ sonders berühren. Aber das Schauspiel des schon vor seiner Geburt des Vaters beraubten Königssohnes und Thronerben, der unbewußt mit dem Tode um seine Krone ringt, und noch mehr die unter diesem Schauspiel leidende Mutter, *) Dieser ist den neuesten Nachrichten zufolge jetzt mit der Neubildung des Kabinets betraut, soll aber so wenig Aussicht ans Erfolg haben mis Sagasta.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/163>, abgerufen am 23.07.2024.