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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Verlegenheiten in Spanien

gesicherte Wohlfahrt und Ruhe Spaniens erscheinen, als unter den jetzigen
Umständen voll Verlegenheit und Gefahr in den Kreisen der Negierung. Die
Lage war schon vorher außerordentlich ernst geworden; vor den Krämpfen, die
das Leben des königlichen Knaben bedrohten, kündigte" sich Krämpfe politischer
Art an, Spaltungen und Streitigkeiten der Parteien, und die Regierungs-
mnschiue war im Begriff, stillzustehen. Es war wieder einmal eine Probe
gegeben von den Segnungen des parlamentarischen Regiments nach französischem
Muster, mit dem man auch Spanien zu beglücken versucht, aber nur unsicher
und schwach auf den Beinen gemacht hat. Der Regierungsstillstand, der vor
kurzem in Madrid eintrat, indem gewisse Meinungsverschiedenheiten die liberale
Partei spalteten und das von Sagasta geleitete Ministerium seiner Mehrheit
in deu,Cortes beraubten, wird von der spanischen Presse fast einstimmig als
die furchtbarste Schwierigkeit bezeichnet, der die Königin-Regentin und ihre
dermaligen Ratgeber seit dem frühzeitigen Ableben ihres Gemahls Alfonso XII.
ins Gesicht zu sehen berufen gewesen sind. Vor etwa zwei Wochen entschloß
sich Senhor Sagasta, indem er die Unmöglichkeit anerkannte, der mächtigen
Opposition mit Erfolg zu widerstehen, die seiner Wirtschaftspolitik jetzt in
Gestalt einer Vereinigung von Liberalen und Konservativen in den Weg
trat, die Königin Christine um die Erlaubnis zu bitten, von seinem Posten
zurückzutreten, und dasselbe Gesuch erging vonseiten seiner Amtsgenossen. Die
Regentin erteilte ihm die Versicherung, daß er trotz der Weigerung einiger
seiner einflußreichsten parlamentarischen Anhänger, ihn ferner zu unterstützen,
sich noch immer im Besitze ihres ungeschwächten Vertrauens befinde, und er¬
suchte ihn, die Bildung eines neuen Kabinets zu unternehmen. Der Führer
der liberalen Partei Spaniens versprach dies, jedoch unter der Bedingung, daß
es ihm gelinge, eine Aussöhnung der Abgefalleneu mit seinen treugebliebnen
Anhängern zu stände zu bringen. Ohne Verzug eröffnete er dann mit den
erstern Verhandlungen, die eifrig fortgesetzt wurden, aber bis zur Stunde kein
praktisches Ergebnis gehabt haben. Infolge dessen galt es einige Tage für
wahrscheinlich, daß die Königin sich genötigt sehen werde, nach dem hoch-
konservativen und ultramontanen Exminister Canovas del Castillo zu senden
und die Zügel der Regierung in seine Hände zu legen, eine Maßregel, die die
Notwendigkeit eingeschlossen hätte, die Cortes aufzulösen und, wie die Redens¬
art lautet, die Meinung und den Willen des Volkes einzuholen, d. h. in
Wirklichkeit durch Neuwahlen festzustellen, welche Partei von den im Publikum
vorhandnen zur Zeit die zahlreichste ist. Die Konservativen bilden nämlich in
dem gegenwärtigen spanischen Parlament nicht die Mehrheit und könnten nicht
mehr auf den Beistand der von Sagasta abgefallenen Mitglieder der gemäßigt
liberalen Partei zählen, wenn es sich um Ausführung ihres eignen Programms
handelte, während sie sehr bereit sind, mit ihnen gegen die Politik des Mini¬
steriums Sagasta zu stimmen. Da sich nun die Wahlen in Spanien -- ganz


Verlegenheiten in Spanien

gesicherte Wohlfahrt und Ruhe Spaniens erscheinen, als unter den jetzigen
Umständen voll Verlegenheit und Gefahr in den Kreisen der Negierung. Die
Lage war schon vorher außerordentlich ernst geworden; vor den Krämpfen, die
das Leben des königlichen Knaben bedrohten, kündigte» sich Krämpfe politischer
Art an, Spaltungen und Streitigkeiten der Parteien, und die Regierungs-
mnschiue war im Begriff, stillzustehen. Es war wieder einmal eine Probe
gegeben von den Segnungen des parlamentarischen Regiments nach französischem
Muster, mit dem man auch Spanien zu beglücken versucht, aber nur unsicher
und schwach auf den Beinen gemacht hat. Der Regierungsstillstand, der vor
kurzem in Madrid eintrat, indem gewisse Meinungsverschiedenheiten die liberale
Partei spalteten und das von Sagasta geleitete Ministerium seiner Mehrheit
in deu,Cortes beraubten, wird von der spanischen Presse fast einstimmig als
die furchtbarste Schwierigkeit bezeichnet, der die Königin-Regentin und ihre
dermaligen Ratgeber seit dem frühzeitigen Ableben ihres Gemahls Alfonso XII.
ins Gesicht zu sehen berufen gewesen sind. Vor etwa zwei Wochen entschloß
sich Senhor Sagasta, indem er die Unmöglichkeit anerkannte, der mächtigen
Opposition mit Erfolg zu widerstehen, die seiner Wirtschaftspolitik jetzt in
Gestalt einer Vereinigung von Liberalen und Konservativen in den Weg
trat, die Königin Christine um die Erlaubnis zu bitten, von seinem Posten
zurückzutreten, und dasselbe Gesuch erging vonseiten seiner Amtsgenossen. Die
Regentin erteilte ihm die Versicherung, daß er trotz der Weigerung einiger
seiner einflußreichsten parlamentarischen Anhänger, ihn ferner zu unterstützen,
sich noch immer im Besitze ihres ungeschwächten Vertrauens befinde, und er¬
suchte ihn, die Bildung eines neuen Kabinets zu unternehmen. Der Führer
der liberalen Partei Spaniens versprach dies, jedoch unter der Bedingung, daß
es ihm gelinge, eine Aussöhnung der Abgefalleneu mit seinen treugebliebnen
Anhängern zu stände zu bringen. Ohne Verzug eröffnete er dann mit den
erstern Verhandlungen, die eifrig fortgesetzt wurden, aber bis zur Stunde kein
praktisches Ergebnis gehabt haben. Infolge dessen galt es einige Tage für
wahrscheinlich, daß die Königin sich genötigt sehen werde, nach dem hoch-
konservativen und ultramontanen Exminister Canovas del Castillo zu senden
und die Zügel der Regierung in seine Hände zu legen, eine Maßregel, die die
Notwendigkeit eingeschlossen hätte, die Cortes aufzulösen und, wie die Redens¬
art lautet, die Meinung und den Willen des Volkes einzuholen, d. h. in
Wirklichkeit durch Neuwahlen festzustellen, welche Partei von den im Publikum
vorhandnen zur Zeit die zahlreichste ist. Die Konservativen bilden nämlich in
dem gegenwärtigen spanischen Parlament nicht die Mehrheit und könnten nicht
mehr auf den Beistand der von Sagasta abgefallenen Mitglieder der gemäßigt
liberalen Partei zählen, wenn es sich um Ausführung ihres eignen Programms
handelte, während sie sehr bereit sind, mit ihnen gegen die Politik des Mini¬
steriums Sagasta zu stimmen. Da sich nun die Wahlen in Spanien — ganz


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[0162] Verlegenheiten in Spanien gesicherte Wohlfahrt und Ruhe Spaniens erscheinen, als unter den jetzigen Umständen voll Verlegenheit und Gefahr in den Kreisen der Negierung. Die Lage war schon vorher außerordentlich ernst geworden; vor den Krämpfen, die das Leben des königlichen Knaben bedrohten, kündigte» sich Krämpfe politischer Art an, Spaltungen und Streitigkeiten der Parteien, und die Regierungs- mnschiue war im Begriff, stillzustehen. Es war wieder einmal eine Probe gegeben von den Segnungen des parlamentarischen Regiments nach französischem Muster, mit dem man auch Spanien zu beglücken versucht, aber nur unsicher und schwach auf den Beinen gemacht hat. Der Regierungsstillstand, der vor kurzem in Madrid eintrat, indem gewisse Meinungsverschiedenheiten die liberale Partei spalteten und das von Sagasta geleitete Ministerium seiner Mehrheit in deu,Cortes beraubten, wird von der spanischen Presse fast einstimmig als die furchtbarste Schwierigkeit bezeichnet, der die Königin-Regentin und ihre dermaligen Ratgeber seit dem frühzeitigen Ableben ihres Gemahls Alfonso XII. ins Gesicht zu sehen berufen gewesen sind. Vor etwa zwei Wochen entschloß sich Senhor Sagasta, indem er die Unmöglichkeit anerkannte, der mächtigen Opposition mit Erfolg zu widerstehen, die seiner Wirtschaftspolitik jetzt in Gestalt einer Vereinigung von Liberalen und Konservativen in den Weg trat, die Königin Christine um die Erlaubnis zu bitten, von seinem Posten zurückzutreten, und dasselbe Gesuch erging vonseiten seiner Amtsgenossen. Die Regentin erteilte ihm die Versicherung, daß er trotz der Weigerung einiger seiner einflußreichsten parlamentarischen Anhänger, ihn ferner zu unterstützen, sich noch immer im Besitze ihres ungeschwächten Vertrauens befinde, und er¬ suchte ihn, die Bildung eines neuen Kabinets zu unternehmen. Der Führer der liberalen Partei Spaniens versprach dies, jedoch unter der Bedingung, daß es ihm gelinge, eine Aussöhnung der Abgefalleneu mit seinen treugebliebnen Anhängern zu stände zu bringen. Ohne Verzug eröffnete er dann mit den erstern Verhandlungen, die eifrig fortgesetzt wurden, aber bis zur Stunde kein praktisches Ergebnis gehabt haben. Infolge dessen galt es einige Tage für wahrscheinlich, daß die Königin sich genötigt sehen werde, nach dem hoch- konservativen und ultramontanen Exminister Canovas del Castillo zu senden und die Zügel der Regierung in seine Hände zu legen, eine Maßregel, die die Notwendigkeit eingeschlossen hätte, die Cortes aufzulösen und, wie die Redens¬ art lautet, die Meinung und den Willen des Volkes einzuholen, d. h. in Wirklichkeit durch Neuwahlen festzustellen, welche Partei von den im Publikum vorhandnen zur Zeit die zahlreichste ist. Die Konservativen bilden nämlich in dem gegenwärtigen spanischen Parlament nicht die Mehrheit und könnten nicht mehr auf den Beistand der von Sagasta abgefallenen Mitglieder der gemäßigt liberalen Partei zählen, wenn es sich um Ausführung ihres eignen Programms handelte, während sie sehr bereit sind, mit ihnen gegen die Politik des Mini¬ steriums Sagasta zu stimmen. Da sich nun die Wahlen in Spanien — ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/162>, abgerufen am 23.07.2024.