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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Studien zur englischen Litteratur der Gegenwart

In der Schilderung dieser Seelenkämpfe, die durch den ganzen Roman
hindurch bis zum Überdruß wiederholt werden, in den dramatisch erregten
Zwiegesprächen, in der Darstellung verwickelter theologischer Streitfragen verrät
die Verfasserin einen hohen Grad dialektischer Gewandtheit. Ein mit seinen
Gedanken, seiner Überzeugung, seinem Glauben ringender Mensch ist immer ein
fesselndes Schauspiel, um so fesselnder, je mehr der Mensch eine typische Be¬
deutung hat. Leider hat es Mrs. Ward wenig verstanden, uns von Anfang
an für ihren Helden zu erwärmen. Ein Mensch, der auf rein geistigem Ge¬
biete unsre ganze Teilnahme gewinnen soll, darf keine Alltcigsnatnr wie Robert
Elsmere sein; wir verlangen dazu einen männlichen Charakter und keine ver¬
schwommene Weiberseele, eiuen geistig hochstehenden und sittlich erprobten
Menschen und keinen Philister, der während seiner Studienzeit ohne jede Kritik
die schwierigsten theologischen Probleme durchläuft und sich später seinen ganzen
Gedankenbau von einem Atheisten in Trümmer schlagen läßt, keinen Pantoffel¬
helden, der schließlich aus Furcht vor seinem puritanischen Weibe von ihm
händeringend und schluchzend für seinen Abfall von Gott Verzeihung erbittet.
Sein unentschlossener Charakter steht in gar keiner Übereinstimmung mit seiner
entschlossenen That. Unter solchen Umständen glauben wir auch nicht recht,
daß Elsmere schließlich in der Gründung einer freireligiösen Gesellschaft,
Illo 5hev Urotdöi-llvock ot' (übrist,, sein volles Lebensglück gefunden habe. Die
Empfindungen, die der Schluß des Romans mit Elsmeres langsamem Dahin¬
siechen beim Leser zurückläßt, sind sehr unbefriedigend. Es liegt über dem
ganzen Roman eine düstere, unerquickliche Schwüle. Man wird dnrch die
seelischen Folterqualen eines Menschen hindurchgczerrt, der an seiner eignen
Unklarheit lind Beschränktheit zu Grunde geht. Es giebt in dem ganzen Roman
keine einzige Gestalt, von der man sagen konnte, sie sei'einem sympathisch.
Die englische Kritik hat sich zu ihren übertriebenen Lobeserhebungen sicher
nur dadurch hinreißen lassen, daß sie das ästhetische Interesse mit dem stoff¬
lichen verwechselt hat. Der künstlerische Wert des Romans ist nach unsrer
Ansicht sehr gering; wir siudeu in Robert Elsmere dieselben Fehler, wie in
allen englischen Frauenrvmanen. Der Aufbau ist ohne klaren Grundriß und
folgerichtige Ordnung ausgeführt; die Erzählung ist oft langatmig und schleppend,
die Charakteristik verwischt und einförmig, die Sprache, besonders im ersten
Teil, geflickt und aufgestutzt mit französischen Brocken, ohne daß damit etwa
eine besondre Person charakterisirt werden sollte. Wie armselig muß der Ver¬
fasserin die englische Sprache erscheinen, wenn sie für ciudii8, "gävvto,
elönouöuiöirt, tra.oaL, none, rövoriv, eoux as AiÄos, obillon, pruni, LimvÄAvriv,
AÄUvllsrio u. f. w. keinen entsprechenden englischen Ausdruck zu finden vermag!
Wir bestreiten auch, daß mit Mrs. Ward die Lücke ausgefüllt worden sei, die
George Eliot hinterlassen hat. Es sind die Lvon08 ot OlorieÄl I/its von
George Eliot zum Vergleich herbeigezogen worden, aber wie wir glauben, nicht


Studien zur englischen Litteratur der Gegenwart

In der Schilderung dieser Seelenkämpfe, die durch den ganzen Roman
hindurch bis zum Überdruß wiederholt werden, in den dramatisch erregten
Zwiegesprächen, in der Darstellung verwickelter theologischer Streitfragen verrät
die Verfasserin einen hohen Grad dialektischer Gewandtheit. Ein mit seinen
Gedanken, seiner Überzeugung, seinem Glauben ringender Mensch ist immer ein
fesselndes Schauspiel, um so fesselnder, je mehr der Mensch eine typische Be¬
deutung hat. Leider hat es Mrs. Ward wenig verstanden, uns von Anfang
an für ihren Helden zu erwärmen. Ein Mensch, der auf rein geistigem Ge¬
biete unsre ganze Teilnahme gewinnen soll, darf keine Alltcigsnatnr wie Robert
Elsmere sein; wir verlangen dazu einen männlichen Charakter und keine ver¬
schwommene Weiberseele, eiuen geistig hochstehenden und sittlich erprobten
Menschen und keinen Philister, der während seiner Studienzeit ohne jede Kritik
die schwierigsten theologischen Probleme durchläuft und sich später seinen ganzen
Gedankenbau von einem Atheisten in Trümmer schlagen läßt, keinen Pantoffel¬
helden, der schließlich aus Furcht vor seinem puritanischen Weibe von ihm
händeringend und schluchzend für seinen Abfall von Gott Verzeihung erbittet.
Sein unentschlossener Charakter steht in gar keiner Übereinstimmung mit seiner
entschlossenen That. Unter solchen Umständen glauben wir auch nicht recht,
daß Elsmere schließlich in der Gründung einer freireligiösen Gesellschaft,
Illo 5hev Urotdöi-llvock ot' (übrist,, sein volles Lebensglück gefunden habe. Die
Empfindungen, die der Schluß des Romans mit Elsmeres langsamem Dahin¬
siechen beim Leser zurückläßt, sind sehr unbefriedigend. Es liegt über dem
ganzen Roman eine düstere, unerquickliche Schwüle. Man wird dnrch die
seelischen Folterqualen eines Menschen hindurchgczerrt, der an seiner eignen
Unklarheit lind Beschränktheit zu Grunde geht. Es giebt in dem ganzen Roman
keine einzige Gestalt, von der man sagen konnte, sie sei'einem sympathisch.
Die englische Kritik hat sich zu ihren übertriebenen Lobeserhebungen sicher
nur dadurch hinreißen lassen, daß sie das ästhetische Interesse mit dem stoff¬
lichen verwechselt hat. Der künstlerische Wert des Romans ist nach unsrer
Ansicht sehr gering; wir siudeu in Robert Elsmere dieselben Fehler, wie in
allen englischen Frauenrvmanen. Der Aufbau ist ohne klaren Grundriß und
folgerichtige Ordnung ausgeführt; die Erzählung ist oft langatmig und schleppend,
die Charakteristik verwischt und einförmig, die Sprache, besonders im ersten
Teil, geflickt und aufgestutzt mit französischen Brocken, ohne daß damit etwa
eine besondre Person charakterisirt werden sollte. Wie armselig muß der Ver¬
fasserin die englische Sprache erscheinen, wenn sie für ciudii8, »gävvto,
elönouöuiöirt, tra.oaL, none, rövoriv, eoux as AiÄos, obillon, pruni, LimvÄAvriv,
AÄUvllsrio u. f. w. keinen entsprechenden englischen Ausdruck zu finden vermag!
Wir bestreiten auch, daß mit Mrs. Ward die Lücke ausgefüllt worden sei, die
George Eliot hinterlassen hat. Es sind die Lvon08 ot OlorieÄl I/its von
George Eliot zum Vergleich herbeigezogen worden, aber wie wir glauben, nicht


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[0148] Studien zur englischen Litteratur der Gegenwart In der Schilderung dieser Seelenkämpfe, die durch den ganzen Roman hindurch bis zum Überdruß wiederholt werden, in den dramatisch erregten Zwiegesprächen, in der Darstellung verwickelter theologischer Streitfragen verrät die Verfasserin einen hohen Grad dialektischer Gewandtheit. Ein mit seinen Gedanken, seiner Überzeugung, seinem Glauben ringender Mensch ist immer ein fesselndes Schauspiel, um so fesselnder, je mehr der Mensch eine typische Be¬ deutung hat. Leider hat es Mrs. Ward wenig verstanden, uns von Anfang an für ihren Helden zu erwärmen. Ein Mensch, der auf rein geistigem Ge¬ biete unsre ganze Teilnahme gewinnen soll, darf keine Alltcigsnatnr wie Robert Elsmere sein; wir verlangen dazu einen männlichen Charakter und keine ver¬ schwommene Weiberseele, eiuen geistig hochstehenden und sittlich erprobten Menschen und keinen Philister, der während seiner Studienzeit ohne jede Kritik die schwierigsten theologischen Probleme durchläuft und sich später seinen ganzen Gedankenbau von einem Atheisten in Trümmer schlagen läßt, keinen Pantoffel¬ helden, der schließlich aus Furcht vor seinem puritanischen Weibe von ihm händeringend und schluchzend für seinen Abfall von Gott Verzeihung erbittet. Sein unentschlossener Charakter steht in gar keiner Übereinstimmung mit seiner entschlossenen That. Unter solchen Umständen glauben wir auch nicht recht, daß Elsmere schließlich in der Gründung einer freireligiösen Gesellschaft, Illo 5hev Urotdöi-llvock ot' (übrist,, sein volles Lebensglück gefunden habe. Die Empfindungen, die der Schluß des Romans mit Elsmeres langsamem Dahin¬ siechen beim Leser zurückläßt, sind sehr unbefriedigend. Es liegt über dem ganzen Roman eine düstere, unerquickliche Schwüle. Man wird dnrch die seelischen Folterqualen eines Menschen hindurchgczerrt, der an seiner eignen Unklarheit lind Beschränktheit zu Grunde geht. Es giebt in dem ganzen Roman keine einzige Gestalt, von der man sagen konnte, sie sei'einem sympathisch. Die englische Kritik hat sich zu ihren übertriebenen Lobeserhebungen sicher nur dadurch hinreißen lassen, daß sie das ästhetische Interesse mit dem stoff¬ lichen verwechselt hat. Der künstlerische Wert des Romans ist nach unsrer Ansicht sehr gering; wir siudeu in Robert Elsmere dieselben Fehler, wie in allen englischen Frauenrvmanen. Der Aufbau ist ohne klaren Grundriß und folgerichtige Ordnung ausgeführt; die Erzählung ist oft langatmig und schleppend, die Charakteristik verwischt und einförmig, die Sprache, besonders im ersten Teil, geflickt und aufgestutzt mit französischen Brocken, ohne daß damit etwa eine besondre Person charakterisirt werden sollte. Wie armselig muß der Ver¬ fasserin die englische Sprache erscheinen, wenn sie für ciudii8, »gävvto, elönouöuiöirt, tra.oaL, none, rövoriv, eoux as AiÄos, obillon, pruni, LimvÄAvriv, AÄUvllsrio u. f. w. keinen entsprechenden englischen Ausdruck zu finden vermag! Wir bestreiten auch, daß mit Mrs. Ward die Lücke ausgefüllt worden sei, die George Eliot hinterlassen hat. Es sind die Lvon08 ot OlorieÄl I/its von George Eliot zum Vergleich herbeigezogen worden, aber wie wir glauben, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/148>, abgerufen am 25.08.2024.