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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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suchungen angeregt, die sonst wegen ihrer Mühseligkeit sicher unterblieben wären,
und die zu neuen Gesichtspunkten und ungeahnten Aufklärungen geführt haben.
Daß bei einseitigen Auffassungen auch manche verfehlten Ergebnisse und pe¬
dantischen Ansichten zu Tage kommen können, haben wir aus einem früheren
Aufsatze in diesen Blättern: "Zum Studium der englischen Sprache und
Litteratur" ersehen. Stedman möchte die Vorteile und den Wert der meisten
Loe-iMes gänzlich in Abrede stellen. Er spottet wiederholt über diese un¬
zähligen Shakespeare-, Shelley- und Browning-Innungen; von London, sagt er,
wo Browning wohnte, bis an die fernsten Vorposten' des westlichen Festlandes
habe jeder Handelsplatz seine LvQtrsl-LrovvinF-Looiöt^, von der sich eine
Menge von Zweigvereinen ableiten, ähnlich gewissen kleinen Spinnen, die ihre
wuizigen Gewebe in der Nähe des Mutternestes anlegen. In der einseitigen
^ut auf Texterklärungen -- tlo rsZö ot' vluoiÄMon, --, die diese Gesellschaften
beherrscht und bei denen über den Wortklaubereien, Spitzfindigkeiten und Hineiu-
dmtuugeu der wahre Geist des Dichters eine Nebenrolle spielt, sieht Stedman
geradezu einen Hauptgrund für die wachsende Teilnahmlosigkeit, die sich gegen¬
wärtig bei dein gebildete" englischen Publikum dem litterarischen Leben gegen¬
über in erschreckender Weise kundgiebt.

Der Kultus der brutalen Thatsache -- Stedman nennt es eilf 8oisutillo
vonoelizAn --, eine rein verstandesmäßige Lebensauffassung, hält in keinem
Lande die Gemüter so gefesselt, wie in England. Unsre Schulmädchen und
'litem Jungfern, sagt der Kritiker, pilgern die Straßen hinunter mit Darwin,
'^uxleh und Spencer unterm Arm , nud nehmen sie einmal Tennyson, Lvng-
lwow und Morris mit, so lesen sie diese im Lichte der Spektralanalyse oder
beurteilen sie uach der Haushaltungskunde eines Mill und Bain.

Der bittre Groll gegen die Wissenschaft ist unter den Theologen und
Dichtern heutzutage noch höher gestiegen, als ihn seinerzeit Edgar Poe mit
Versen ausgesprochen hat:


Loicmov! druf ä^uglitsi' ot via 'uns tkou u-re,
'Mio iUtorsst all tlung's vieil dei^ xssrillA o^hö,
Wti^ xi'S^sse deivr tlnis uxor ello xoot's tsi^re,
Vulturo, wlioso niQg's srs "lüll ron,UtiöK?

englischen Dichter haben auch heutzutage noch leicht gelernt, die gro߬
artigen Errungenschaften des modernen Geistes poetischen Zwecken dienstbar
<>u machen, in ihnen frische Quellen dichterischer Begeisterung zu finden, sich
"us ihnen neue Grundlagen eiuer schöpferischen Naturauffassung zu bilden.

^ Wer wollte bezweifeln, daß neben diesen Thatsachen das gebildete oder
wichtiger das vornehme Publikum Euglnuds an dem Rückgänge des gesunden
litterarischen Lebens die größte Schuld trägt? Es liegt etwas Wahres in
scharfen Urteil, das Schopenhauer über die modernen Engländer fällt,
"Mu ^ stehen noch immer auf' dem Standpunkte, der zwischen


Grenzlwlen 1 1890 17

suchungen angeregt, die sonst wegen ihrer Mühseligkeit sicher unterblieben wären,
und die zu neuen Gesichtspunkten und ungeahnten Aufklärungen geführt haben.
Daß bei einseitigen Auffassungen auch manche verfehlten Ergebnisse und pe¬
dantischen Ansichten zu Tage kommen können, haben wir aus einem früheren
Aufsatze in diesen Blättern: „Zum Studium der englischen Sprache und
Litteratur" ersehen. Stedman möchte die Vorteile und den Wert der meisten
Loe-iMes gänzlich in Abrede stellen. Er spottet wiederholt über diese un¬
zähligen Shakespeare-, Shelley- und Browning-Innungen; von London, sagt er,
wo Browning wohnte, bis an die fernsten Vorposten' des westlichen Festlandes
habe jeder Handelsplatz seine LvQtrsl-LrovvinF-Looiöt^, von der sich eine
Menge von Zweigvereinen ableiten, ähnlich gewissen kleinen Spinnen, die ihre
wuizigen Gewebe in der Nähe des Mutternestes anlegen. In der einseitigen
^ut auf Texterklärungen — tlo rsZö ot' vluoiÄMon, —, die diese Gesellschaften
beherrscht und bei denen über den Wortklaubereien, Spitzfindigkeiten und Hineiu-
dmtuugeu der wahre Geist des Dichters eine Nebenrolle spielt, sieht Stedman
geradezu einen Hauptgrund für die wachsende Teilnahmlosigkeit, die sich gegen¬
wärtig bei dein gebildete» englischen Publikum dem litterarischen Leben gegen¬
über in erschreckender Weise kundgiebt.

Der Kultus der brutalen Thatsache — Stedman nennt es eilf 8oisutillo
vonoelizAn —, eine rein verstandesmäßige Lebensauffassung, hält in keinem
Lande die Gemüter so gefesselt, wie in England. Unsre Schulmädchen und
'litem Jungfern, sagt der Kritiker, pilgern die Straßen hinunter mit Darwin,
'^uxleh und Spencer unterm Arm , nud nehmen sie einmal Tennyson, Lvng-
lwow und Morris mit, so lesen sie diese im Lichte der Spektralanalyse oder
beurteilen sie uach der Haushaltungskunde eines Mill und Bain.

Der bittre Groll gegen die Wissenschaft ist unter den Theologen und
Dichtern heutzutage noch höher gestiegen, als ihn seinerzeit Edgar Poe mit
Versen ausgesprochen hat:


Loicmov! druf ä^uglitsi' ot via 'uns tkou u-re,
'Mio iUtorsst all tlung's vieil dei^ xssrillA o^hö,
Wti^ xi'S^sse deivr tlnis uxor ello xoot's tsi^re,
Vulturo, wlioso niQg's srs «lüll ron,UtiöK?

englischen Dichter haben auch heutzutage noch leicht gelernt, die gro߬
artigen Errungenschaften des modernen Geistes poetischen Zwecken dienstbar
<>u machen, in ihnen frische Quellen dichterischer Begeisterung zu finden, sich
"us ihnen neue Grundlagen eiuer schöpferischen Naturauffassung zu bilden.

^ Wer wollte bezweifeln, daß neben diesen Thatsachen das gebildete oder
wichtiger das vornehme Publikum Euglnuds an dem Rückgänge des gesunden
litterarischen Lebens die größte Schuld trägt? Es liegt etwas Wahres in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/137>, abgerufen am 23.07.2024.