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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

sich zu retten, Frankreichs Intervention mit Gebietsabtretungen bezahlen werde,
begünstigte Drouvn de Lhnys die persönliche Politik des Kaisers Napoleon
und begnügte sich, Preußen unter der Hand zum Kriege zu ermutigen gegen
das Versprechen, nichts ohne Frankreich abzuschließen. Österreich aber wurde
mit der Eroberung Schlesiens geködert, welches Napoleon als Entschädigung
für Venetien in Allssicht stellte. Österreich entschloß sich in der letzten Stunde,
die Abtretung Venetieus an Frankreich gegen Zusicherung des obengedachten
Äquivalents und der Neutralität zu versprechen. Es kam in Wien ein Ver¬
trag zu stände, der am 12. Juni unterzeichnet wurde. Ich habe ihn nie
gelesen, aber ich weiß, daß Veust ihn als das unglaublichste Aktenstück dieser
Art, welches ihm je vorgekommen sei, bezeichnete."

Zum Schluß nur noch das Wichtigste aus einer Unterredung, die Vitz-
thum am 25. August 1866 in Brighton mit Graf Bernstorff hatte. Es
besteht ni der von ihm dabei erwähnten Verabredung, die Bernstorff 1848
als preußischer Gesandter in Kremsier mit Schwnrzenberg getroffen haben
wollte. Wir wußten bisher nichts davon, und so würde die Mitteilung Vern-
storffs, falls sie begründet wäre, für den denkenden Politiker und den Ge¬
schichtsforscher, der den KausnlzusammenlMig der Ereignisse zu studiren hat, von
hohem Werte sein. Der damalige preußische Gesandte am Londoner Hofe
sagte: "Um die gegenwärtige Krisis zu verstehen, muß man sich an das Pro¬
gramm von Kremsier erinnern, all das Programm des Fürsten Schlvarzenberg,
der denn doch ein andrer Mann war wie alle seine Nnchsolger. Auf dieses
Programm, das auf dem Ausscheiden Österreichs ans Deutschland fußte, waren
die vier Punkte gegründet, über welche ich selbst mit dem Fürsten überein¬
gekommen war. Hiernach sollte Preußen allein die Reorganisation des deutschen
Bundes übernehmen und dann ein Schutz- und Trntzbündnis mit Österreich
schließen. Das ist unser Programm noch heute. Wir haben stets daran fest¬
gehalten. Kaum jedoch hatte Österreich mit Hilfe Rußlands Ungarn unter¬
worfen und bei Novara die italienische Revolution besiegt, als den Herren
in der k. k. Staatskanzlei der Kamm schwoll. Als ich im Dezember
1861 unser altes Programm neu formulirte, protestirte man dagegen in den
"identischen Noten." Ich habe damals trotz der scharf gehaltnen amtlichen
Erwiderung die Hand zur Verständigung geboten lind dem Grafen Nechberg
vertraulich in diesem Sinne geschriebell. Mail hat mich keiner Antwort ge¬
würdigt. Als ich ans dem Ministerium schied, sagte ich dein Herrn von
Werther voraus, mau werde in Wien noch bereuen, sich mit mir nicht ver¬
ständigt zu haben; mit meinem Nachfolger werde dies schwieriger sein. Graf
Bismarck hat bewiesen, daß ich mich nicht getünscht habe."




Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

sich zu retten, Frankreichs Intervention mit Gebietsabtretungen bezahlen werde,
begünstigte Drouvn de Lhnys die persönliche Politik des Kaisers Napoleon
und begnügte sich, Preußen unter der Hand zum Kriege zu ermutigen gegen
das Versprechen, nichts ohne Frankreich abzuschließen. Österreich aber wurde
mit der Eroberung Schlesiens geködert, welches Napoleon als Entschädigung
für Venetien in Allssicht stellte. Österreich entschloß sich in der letzten Stunde,
die Abtretung Venetieus an Frankreich gegen Zusicherung des obengedachten
Äquivalents und der Neutralität zu versprechen. Es kam in Wien ein Ver¬
trag zu stände, der am 12. Juni unterzeichnet wurde. Ich habe ihn nie
gelesen, aber ich weiß, daß Veust ihn als das unglaublichste Aktenstück dieser
Art, welches ihm je vorgekommen sei, bezeichnete."

Zum Schluß nur noch das Wichtigste aus einer Unterredung, die Vitz-
thum am 25. August 1866 in Brighton mit Graf Bernstorff hatte. Es
besteht ni der von ihm dabei erwähnten Verabredung, die Bernstorff 1848
als preußischer Gesandter in Kremsier mit Schwnrzenberg getroffen haben
wollte. Wir wußten bisher nichts davon, und so würde die Mitteilung Vern-
storffs, falls sie begründet wäre, für den denkenden Politiker und den Ge¬
schichtsforscher, der den KausnlzusammenlMig der Ereignisse zu studiren hat, von
hohem Werte sein. Der damalige preußische Gesandte am Londoner Hofe
sagte: „Um die gegenwärtige Krisis zu verstehen, muß man sich an das Pro¬
gramm von Kremsier erinnern, all das Programm des Fürsten Schlvarzenberg,
der denn doch ein andrer Mann war wie alle seine Nnchsolger. Auf dieses
Programm, das auf dem Ausscheiden Österreichs ans Deutschland fußte, waren
die vier Punkte gegründet, über welche ich selbst mit dem Fürsten überein¬
gekommen war. Hiernach sollte Preußen allein die Reorganisation des deutschen
Bundes übernehmen und dann ein Schutz- und Trntzbündnis mit Österreich
schließen. Das ist unser Programm noch heute. Wir haben stets daran fest¬
gehalten. Kaum jedoch hatte Österreich mit Hilfe Rußlands Ungarn unter¬
worfen und bei Novara die italienische Revolution besiegt, als den Herren
in der k. k. Staatskanzlei der Kamm schwoll. Als ich im Dezember
1861 unser altes Programm neu formulirte, protestirte man dagegen in den
»identischen Noten.« Ich habe damals trotz der scharf gehaltnen amtlichen
Erwiderung die Hand zur Verständigung geboten lind dem Grafen Nechberg
vertraulich in diesem Sinne geschriebell. Mail hat mich keiner Antwort ge¬
würdigt. Als ich ans dem Ministerium schied, sagte ich dein Herrn von
Werther voraus, mau werde in Wien noch bereuen, sich mit mir nicht ver¬
ständigt zu haben; mit meinem Nachfolger werde dies schwieriger sein. Graf
Bismarck hat bewiesen, daß ich mich nicht getünscht habe."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/134>, abgerufen am 23.07.2024.