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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

leichtlebig -- seine Feinde sagen leichtsinnig -- wie ein Schmetterling; Friesen
schwerfällig und schwermütig wie ein Maulwurf. Jener kokettirte mit seinem
kleinen Fuße, komponirte Walzer, warf mit Witzworten um sich und tändelte
gern mit schönen Franc"; dieser that sich viel anf seine vermeintliche Ähnlichkeit
mit dem erstem Napoleon zu gute und sammelte wohlfeile Bilder -- ein alter
Hagestolz, der keinen Spaß verstand, kannte ersterer ans eigner Anschauung
Wien und Berlin, London und Paris, so hatte letzterer von europäischer
Politik wie von allein, was jenseits der sächsischen Grenzpfähle vorging, nur
sehr dunkle Vorstellungen. Als Finanzminister schwärmte Friesen natürlich
für den Zollverein, welcher Sachsens materielle Interessen schlitzte; Beust da¬
gegen unterschätzte vielleicht die Thatsache, das; wir seit unserm Eintritt in
diesen Verband in die preußische Machtsphäre geraten waren, und daß Sachsens
Handel und Industrie ihren Schwerpunkt in Berlin gefunden hatten."

Von den Ministern Napoleons des Dritten urteilt Vitzthum nicht günstig.
Thvuvenel, der für den fähigsten galt, war nur ein guter Stilist, "täuschte
sich aber über alle Hauptfragen, die an ihn herantraten." Rouher und
Drouyn de Lhuys, 18"<i die einflußreichsten. waren auch nicht sehr scharf¬
blickend. "Ersterer, ein gewandter Advokat und Kammerredner, schwärmte für
Italien und war damals ganz Preußisch. Von der großen Politik hatte er
"ur dunkle Ahnungen. Seinen Kaiser übersah er; er wußte, wie krank dieser
war, wie unschlüssig und unzuverlässig. Rouher hatte sich, vom Grafen Goltz
geleitet, einreden lassen, Preußen wolle nichts als die Elbherzogtümer und
eine Konsolidirung seiner Macht in Norddeutschland, und Graf Bismarck werde
nichts thun, ohne sich vorher mit Napoleon zu verständigen. Erschreckt durch
die wachsende Opposition gegen die abenteuerliche Politik seines Kaisers, eme
Opposition, die in Thiers einen gewandten Führer gefunden hatte, war Romber
ganz von der Notwendigkeit überzeugt, die Negierung müsse dem drohenden
Kriege in strengster Neutralität zusehen." Sein heftigster Gegner im Korsen
war Drvnyu de Lhuys, "der von der Agronomie mehr verstand als von der
auswärtigem Politik," aber jetzt zum viertenmale Minister des Auswärtigen
war, auch früher einen Botschnfterposten bekleidet hatte und somit seinen
Kollegen fachmännisch überlegen war. Er schrieb gilt, besaß eine gewisse
Suade und Routine, galt aber nicht eben für wahrheitsliebend. Er hatte dle
Gefahr, welche das Nntionalitätsprinzip für Frankreich haben mußte, ebenso
durchschaut wie Thiers und früher als seine Landsleute erkannt, daß nicht
Österreich, sondern Preußen der Gegner sei, den das zweite Kaiserreich zu
fürchten habe. Daher galt er für österreichisch; doch waren seine Sympathien
.sehr platonischer Natur." Er war übrigens wie Rouher von der Notwendig¬
keit für Frankreich durchdrungen, neutral zu bleiben, wofür er jedoch einen
Preis zu erlangen hoffte. "Fest überzeugt, daß Preußen, wenn es Osterreich
und das übrige Deutschland gegen sich habe, unterliegen müsse und dann, um


Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

leichtlebig — seine Feinde sagen leichtsinnig — wie ein Schmetterling; Friesen
schwerfällig und schwermütig wie ein Maulwurf. Jener kokettirte mit seinem
kleinen Fuße, komponirte Walzer, warf mit Witzworten um sich und tändelte
gern mit schönen Franc»; dieser that sich viel anf seine vermeintliche Ähnlichkeit
mit dem erstem Napoleon zu gute und sammelte wohlfeile Bilder — ein alter
Hagestolz, der keinen Spaß verstand, kannte ersterer ans eigner Anschauung
Wien und Berlin, London und Paris, so hatte letzterer von europäischer
Politik wie von allein, was jenseits der sächsischen Grenzpfähle vorging, nur
sehr dunkle Vorstellungen. Als Finanzminister schwärmte Friesen natürlich
für den Zollverein, welcher Sachsens materielle Interessen schlitzte; Beust da¬
gegen unterschätzte vielleicht die Thatsache, das; wir seit unserm Eintritt in
diesen Verband in die preußische Machtsphäre geraten waren, und daß Sachsens
Handel und Industrie ihren Schwerpunkt in Berlin gefunden hatten."

Von den Ministern Napoleons des Dritten urteilt Vitzthum nicht günstig.
Thvuvenel, der für den fähigsten galt, war nur ein guter Stilist, „täuschte
sich aber über alle Hauptfragen, die an ihn herantraten." Rouher und
Drouyn de Lhuys, 18«<i die einflußreichsten. waren auch nicht sehr scharf¬
blickend. „Ersterer, ein gewandter Advokat und Kammerredner, schwärmte für
Italien und war damals ganz Preußisch. Von der großen Politik hatte er
"ur dunkle Ahnungen. Seinen Kaiser übersah er; er wußte, wie krank dieser
war, wie unschlüssig und unzuverlässig. Rouher hatte sich, vom Grafen Goltz
geleitet, einreden lassen, Preußen wolle nichts als die Elbherzogtümer und
eine Konsolidirung seiner Macht in Norddeutschland, und Graf Bismarck werde
nichts thun, ohne sich vorher mit Napoleon zu verständigen. Erschreckt durch
die wachsende Opposition gegen die abenteuerliche Politik seines Kaisers, eme
Opposition, die in Thiers einen gewandten Führer gefunden hatte, war Romber
ganz von der Notwendigkeit überzeugt, die Negierung müsse dem drohenden
Kriege in strengster Neutralität zusehen." Sein heftigster Gegner im Korsen
war Drvnyu de Lhuys, „der von der Agronomie mehr verstand als von der
auswärtigem Politik," aber jetzt zum viertenmale Minister des Auswärtigen
war, auch früher einen Botschnfterposten bekleidet hatte und somit seinen
Kollegen fachmännisch überlegen war. Er schrieb gilt, besaß eine gewisse
Suade und Routine, galt aber nicht eben für wahrheitsliebend. Er hatte dle
Gefahr, welche das Nntionalitätsprinzip für Frankreich haben mußte, ebenso
durchschaut wie Thiers und früher als seine Landsleute erkannt, daß nicht
Österreich, sondern Preußen der Gegner sei, den das zweite Kaiserreich zu
fürchten habe. Daher galt er für österreichisch; doch waren seine Sympathien
.sehr platonischer Natur." Er war übrigens wie Rouher von der Notwendig¬
keit für Frankreich durchdrungen, neutral zu bleiben, wofür er jedoch einen
Preis zu erlangen hoffte. „Fest überzeugt, daß Preußen, wenn es Osterreich
und das übrige Deutschland gegen sich habe, unterliegen müsse und dann, um


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[0133] Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten leichtlebig — seine Feinde sagen leichtsinnig — wie ein Schmetterling; Friesen schwerfällig und schwermütig wie ein Maulwurf. Jener kokettirte mit seinem kleinen Fuße, komponirte Walzer, warf mit Witzworten um sich und tändelte gern mit schönen Franc»; dieser that sich viel anf seine vermeintliche Ähnlichkeit mit dem erstem Napoleon zu gute und sammelte wohlfeile Bilder — ein alter Hagestolz, der keinen Spaß verstand, kannte ersterer ans eigner Anschauung Wien und Berlin, London und Paris, so hatte letzterer von europäischer Politik wie von allein, was jenseits der sächsischen Grenzpfähle vorging, nur sehr dunkle Vorstellungen. Als Finanzminister schwärmte Friesen natürlich für den Zollverein, welcher Sachsens materielle Interessen schlitzte; Beust da¬ gegen unterschätzte vielleicht die Thatsache, das; wir seit unserm Eintritt in diesen Verband in die preußische Machtsphäre geraten waren, und daß Sachsens Handel und Industrie ihren Schwerpunkt in Berlin gefunden hatten." Von den Ministern Napoleons des Dritten urteilt Vitzthum nicht günstig. Thvuvenel, der für den fähigsten galt, war nur ein guter Stilist, „täuschte sich aber über alle Hauptfragen, die an ihn herantraten." Rouher und Drouyn de Lhuys, 18«<i die einflußreichsten. waren auch nicht sehr scharf¬ blickend. „Ersterer, ein gewandter Advokat und Kammerredner, schwärmte für Italien und war damals ganz Preußisch. Von der großen Politik hatte er "ur dunkle Ahnungen. Seinen Kaiser übersah er; er wußte, wie krank dieser war, wie unschlüssig und unzuverlässig. Rouher hatte sich, vom Grafen Goltz geleitet, einreden lassen, Preußen wolle nichts als die Elbherzogtümer und eine Konsolidirung seiner Macht in Norddeutschland, und Graf Bismarck werde nichts thun, ohne sich vorher mit Napoleon zu verständigen. Erschreckt durch die wachsende Opposition gegen die abenteuerliche Politik seines Kaisers, eme Opposition, die in Thiers einen gewandten Führer gefunden hatte, war Romber ganz von der Notwendigkeit überzeugt, die Negierung müsse dem drohenden Kriege in strengster Neutralität zusehen." Sein heftigster Gegner im Korsen war Drvnyu de Lhuys, „der von der Agronomie mehr verstand als von der auswärtigem Politik," aber jetzt zum viertenmale Minister des Auswärtigen war, auch früher einen Botschnfterposten bekleidet hatte und somit seinen Kollegen fachmännisch überlegen war. Er schrieb gilt, besaß eine gewisse Suade und Routine, galt aber nicht eben für wahrheitsliebend. Er hatte dle Gefahr, welche das Nntionalitätsprinzip für Frankreich haben mußte, ebenso durchschaut wie Thiers und früher als seine Landsleute erkannt, daß nicht Österreich, sondern Preußen der Gegner sei, den das zweite Kaiserreich zu fürchten habe. Daher galt er für österreichisch; doch waren seine Sympathien .sehr platonischer Natur." Er war übrigens wie Rouher von der Notwendig¬ keit für Frankreich durchdrungen, neutral zu bleiben, wofür er jedoch einen Preis zu erlangen hoffte. „Fest überzeugt, daß Preußen, wenn es Osterreich und das übrige Deutschland gegen sich habe, unterliegen müsse und dann, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/133>, abgerufen am 23.07.2024.