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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

aus, der schwinden werde, wenn es gelänge, den Minister nus Berlin zu ent¬
fernen. Bin ich recht unterrichtet, so kam Fürst Gortschakvsf zuerst auf den
Gedanken, einen Kongreß in Szene zu setzen, lediglich um den preußischen
Monarchen zu isoliren. La Marmora seinerseits wünschte den Kongreß, um
Zeit zu gewinnen. Ließen sich die Verhandlungen bis zum 8. Juli hinziehen,
so war das von Barral unterzeichnete dreimonatliche Bündnis mit Preußen
abgelaufen, und Italien hatte freie Hand, die von Napoleon am 5. Mai ge¬
machten Eröffnungen ohne Rücksicht auf Preußen zum Gegenstande fernerer
Verhandlungen zu machen. England betrachtete gleichfalls den Kongreß als
Mittel, um Zeit zu gewinnen und Österreich aus seiner gefährliche" Lage zu
retten. Ich habe daher allen Grund, anzunehmen, daß Lord Russell und Lord
Clarendon, obgleich fest überzeugt, daß es an eigentlichen Beratnngsgegen-
ständen fehlte, Gortschakoffs Plan gekannt und gebilligt haben. Dieser Plan
war: an dem Tage, an welchem um: telegraphisch von der Abreise Bismarcks
nach Paris unterrichtet sein würde, einen Adjutanten des Zaren mit einem
kaiserlichen Handschreiben nach Berlin zu senden, in welchem Alexander II.
seinen Oheim beschworen haben würde, die Entfernung Bismarcks zu benutzen,
um diesen zu entlassen. Eine ähnliche Pression sollte gleichzeitig von London
aus geübt werden, und man rechnete dabei auf den kronprinzlichen Hof, der
ebenfalls zu den Gegnern Bismarcks gehörte. Eine solche Verabredung wird
heute kaum glaublich erscheinen. Diejenigen jedoch, welche die Zustände in
Berlin im Mai 1866 genau kennen, werden sich erinnern, daß Graf Bismarck
damals nahezu alles gegen sich hatte: seinen König j wenigstens in einigen
Fragens, den Kronprinzen, den preußischen Landtag und die preußische Land¬
wehr, Deutschland und die neutralen Mächte Europas." Die Hoffnungen der
englischen Minister waren also, obwohl sie sich nicht erfüllten, keineswegs ohne
allen Grund. Bismarck selbst äußerte nach dem Kriege gegen einen glaub¬
würdigen Gewährsmann Vitzthums: "Die Österreicher zu schlagen, war keine
Kunst. Ich wußte, daß sie nicht gerüstet waren, und daß ich ans die preußische
Armee zählen konnte. Die Schwierigkeit war, meinen König über den Graben
zu bringen. Daß nur dies gelungen ist, ist mein Verdienst, und dafür darf
ich den Dank des Vaterlandes beanspruchen."

Wir lassen nun die Charakteristik einiger Staatsmänner dieser Zeit folgen,
die der Verfasser seinen Berichten einschaltet, und zwar zunächst zwei Sachsen,
die er miteinander vergleicht, dann die Bilder von Ministern Napoleons des
Dritten. Beust und Friesen waren "beide gewissenhafte, rechtschaffene Staats¬
beamte und treue Diener ihres Herrn, an Geist, Temperament und Charakter
jedoch grundverschieden. Jeder von beiden hatte eine hohe Meinung von sich,
und war von der Wichtigkeit seiner amtlichen Stellung erfüllt. Daraus erklärt
sich Friesens Empfindlichkeit und büreaukratische Eifersüchtelei. Ihre Auf¬
fassungen und Neigungen waren schwer in Einklang zu bringen. Beust war


Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

aus, der schwinden werde, wenn es gelänge, den Minister nus Berlin zu ent¬
fernen. Bin ich recht unterrichtet, so kam Fürst Gortschakvsf zuerst auf den
Gedanken, einen Kongreß in Szene zu setzen, lediglich um den preußischen
Monarchen zu isoliren. La Marmora seinerseits wünschte den Kongreß, um
Zeit zu gewinnen. Ließen sich die Verhandlungen bis zum 8. Juli hinziehen,
so war das von Barral unterzeichnete dreimonatliche Bündnis mit Preußen
abgelaufen, und Italien hatte freie Hand, die von Napoleon am 5. Mai ge¬
machten Eröffnungen ohne Rücksicht auf Preußen zum Gegenstande fernerer
Verhandlungen zu machen. England betrachtete gleichfalls den Kongreß als
Mittel, um Zeit zu gewinnen und Österreich aus seiner gefährliche» Lage zu
retten. Ich habe daher allen Grund, anzunehmen, daß Lord Russell und Lord
Clarendon, obgleich fest überzeugt, daß es an eigentlichen Beratnngsgegen-
ständen fehlte, Gortschakoffs Plan gekannt und gebilligt haben. Dieser Plan
war: an dem Tage, an welchem um: telegraphisch von der Abreise Bismarcks
nach Paris unterrichtet sein würde, einen Adjutanten des Zaren mit einem
kaiserlichen Handschreiben nach Berlin zu senden, in welchem Alexander II.
seinen Oheim beschworen haben würde, die Entfernung Bismarcks zu benutzen,
um diesen zu entlassen. Eine ähnliche Pression sollte gleichzeitig von London
aus geübt werden, und man rechnete dabei auf den kronprinzlichen Hof, der
ebenfalls zu den Gegnern Bismarcks gehörte. Eine solche Verabredung wird
heute kaum glaublich erscheinen. Diejenigen jedoch, welche die Zustände in
Berlin im Mai 1866 genau kennen, werden sich erinnern, daß Graf Bismarck
damals nahezu alles gegen sich hatte: seinen König j wenigstens in einigen
Fragens, den Kronprinzen, den preußischen Landtag und die preußische Land¬
wehr, Deutschland und die neutralen Mächte Europas." Die Hoffnungen der
englischen Minister waren also, obwohl sie sich nicht erfüllten, keineswegs ohne
allen Grund. Bismarck selbst äußerte nach dem Kriege gegen einen glaub¬
würdigen Gewährsmann Vitzthums: „Die Österreicher zu schlagen, war keine
Kunst. Ich wußte, daß sie nicht gerüstet waren, und daß ich ans die preußische
Armee zählen konnte. Die Schwierigkeit war, meinen König über den Graben
zu bringen. Daß nur dies gelungen ist, ist mein Verdienst, und dafür darf
ich den Dank des Vaterlandes beanspruchen."

Wir lassen nun die Charakteristik einiger Staatsmänner dieser Zeit folgen,
die der Verfasser seinen Berichten einschaltet, und zwar zunächst zwei Sachsen,
die er miteinander vergleicht, dann die Bilder von Ministern Napoleons des
Dritten. Beust und Friesen waren „beide gewissenhafte, rechtschaffene Staats¬
beamte und treue Diener ihres Herrn, an Geist, Temperament und Charakter
jedoch grundverschieden. Jeder von beiden hatte eine hohe Meinung von sich,
und war von der Wichtigkeit seiner amtlichen Stellung erfüllt. Daraus erklärt
sich Friesens Empfindlichkeit und büreaukratische Eifersüchtelei. Ihre Auf¬
fassungen und Neigungen waren schwer in Einklang zu bringen. Beust war


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[0132] Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten aus, der schwinden werde, wenn es gelänge, den Minister nus Berlin zu ent¬ fernen. Bin ich recht unterrichtet, so kam Fürst Gortschakvsf zuerst auf den Gedanken, einen Kongreß in Szene zu setzen, lediglich um den preußischen Monarchen zu isoliren. La Marmora seinerseits wünschte den Kongreß, um Zeit zu gewinnen. Ließen sich die Verhandlungen bis zum 8. Juli hinziehen, so war das von Barral unterzeichnete dreimonatliche Bündnis mit Preußen abgelaufen, und Italien hatte freie Hand, die von Napoleon am 5. Mai ge¬ machten Eröffnungen ohne Rücksicht auf Preußen zum Gegenstande fernerer Verhandlungen zu machen. England betrachtete gleichfalls den Kongreß als Mittel, um Zeit zu gewinnen und Österreich aus seiner gefährliche» Lage zu retten. Ich habe daher allen Grund, anzunehmen, daß Lord Russell und Lord Clarendon, obgleich fest überzeugt, daß es an eigentlichen Beratnngsgegen- ständen fehlte, Gortschakoffs Plan gekannt und gebilligt haben. Dieser Plan war: an dem Tage, an welchem um: telegraphisch von der Abreise Bismarcks nach Paris unterrichtet sein würde, einen Adjutanten des Zaren mit einem kaiserlichen Handschreiben nach Berlin zu senden, in welchem Alexander II. seinen Oheim beschworen haben würde, die Entfernung Bismarcks zu benutzen, um diesen zu entlassen. Eine ähnliche Pression sollte gleichzeitig von London aus geübt werden, und man rechnete dabei auf den kronprinzlichen Hof, der ebenfalls zu den Gegnern Bismarcks gehörte. Eine solche Verabredung wird heute kaum glaublich erscheinen. Diejenigen jedoch, welche die Zustände in Berlin im Mai 1866 genau kennen, werden sich erinnern, daß Graf Bismarck damals nahezu alles gegen sich hatte: seinen König j wenigstens in einigen Fragens, den Kronprinzen, den preußischen Landtag und die preußische Land¬ wehr, Deutschland und die neutralen Mächte Europas." Die Hoffnungen der englischen Minister waren also, obwohl sie sich nicht erfüllten, keineswegs ohne allen Grund. Bismarck selbst äußerte nach dem Kriege gegen einen glaub¬ würdigen Gewährsmann Vitzthums: „Die Österreicher zu schlagen, war keine Kunst. Ich wußte, daß sie nicht gerüstet waren, und daß ich ans die preußische Armee zählen konnte. Die Schwierigkeit war, meinen König über den Graben zu bringen. Daß nur dies gelungen ist, ist mein Verdienst, und dafür darf ich den Dank des Vaterlandes beanspruchen." Wir lassen nun die Charakteristik einiger Staatsmänner dieser Zeit folgen, die der Verfasser seinen Berichten einschaltet, und zwar zunächst zwei Sachsen, die er miteinander vergleicht, dann die Bilder von Ministern Napoleons des Dritten. Beust und Friesen waren „beide gewissenhafte, rechtschaffene Staats¬ beamte und treue Diener ihres Herrn, an Geist, Temperament und Charakter jedoch grundverschieden. Jeder von beiden hatte eine hohe Meinung von sich, und war von der Wichtigkeit seiner amtlichen Stellung erfüllt. Daraus erklärt sich Friesens Empfindlichkeit und büreaukratische Eifersüchtelei. Ihre Auf¬ fassungen und Neigungen waren schwer in Einklang zu bringen. Beust war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/132>, abgerufen am 23.07.2024.