Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Wohnungsnot der Beamten

Denn das geschieht so wie so und hat eben für den Beamten in seiner öffent¬
lichen Stellung gemessene Grenzen. Gegen idem "Kreisrichter im Flnnsrock
lind in Schmierstiefeln" würde man jetzt doch wohl Verwahrung einlegen?
Noch weniger wird man ihn: hoffentlich den Ausweg empfehlen, sich dem Zwei¬
kindersystem zuzuwenden, um wenigstens einen "ruhigen Mieter" abzugeben,
oder sich in das Elend einer Geldheirat zu stürzen. Eine solche hat, von
allem andern abgesehn, doch auch für den Staat das Bedenkliche, daß er, um
eine anständige Lebenshaltung seines Beamtenstandes zu ermöglichen, gewisser¬
maßen bei seinen Unterthanen unverzinsliche und unkündbare Zwangsauleihen
erhebt. Ein Volk mag von seinen Beamten unermüdliche Pflichterfüllung und
angestrengteste Arbeit fordern, wie sie auch dem Privatmann nicht erspart
bleibt; aber es muß ihnen dafür auch eine sozial angemessene Stellung sichern.
Dazu gehört aber in erster Linie eine gesunde und ausreichende
Wohnung, ist doch eine solche eines der Hauptbedürfnisse des Menschen auf
höherer Kulturstufe. Sie ist die Vorbedingung für körperliches und geistiges
Wohlsein, für ein echtes Familienleben und eine gute Erziehung der Kinder.
Sie allein schafft das mit allem Dufte der Dichtkunst umwobne Sohel lioniv.
Auch ist sie die Grundlage eiuer treuen Pflichterfüllung im Amte und eines
schaffensfreudigen Wirkens über dessen Kreis hinaus.

Man kann leicht zu gut essen und trinken, aber niemals zu gut wohnen,
soll Disraeli geäußert haben. Und ebenso zutreffend ist die Bemerkung des
Professors Schmoller, der Mensch sei das, was die Wohnung aus ihm mache.
Es ist deshalb sehr begreiflich, daß sich die öffentliche Meinung fast ein¬
stimmig dagegen erhoben hat, daß der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches
für Deutschland den Satz "Kauf bricht Miete" zum Gesetz erheben will. Denn
es ist, obgleich er in weiten Gebieten ohne wesentlichen Nachteil der Bewohner
längst gegolten hat, nicht zu verkennen, daß sehr leicht dann "der Handel mit
Wohngebäuden förmlich zu einem Handel mit den Bewohnern darin" ausarten
kann. Aber zweierlei ist wunderlicherweise von all den zahlreichen berufenen
und unberufenen Tadlern jenes Gesetzentwurfes übersehen worden. Zunächst, daß
ausdrücklich (Paragraph 50l>) bestimmt werden soll, der neue ErWerber habe die
gesetzliche Kündigungsfrist -- also mindestens ein Vierteljahr und Aufkündigung
nur zum Vierteljahrswechsel (Paragraph 522, Abs. 3 dort) -- zu beobachten,
wodurch in der That dem betreffenden Rechtssätze seine Hauptschärfe beim Mißver¬
hältnisse (anders allerdings beim Pacht!) genommen wird. Ferner, daß der
wirtschaftlich nachteiliger gestellte Mieter sich noch weit Schlimmeres, weit härtere
Bedingungen der Kündigung n. s. w. gefallen lassen muß. Eben hiergegen
vermag das Gesetz nichts. Nur ein thatsächliches und ernstliches Eingreifen
des Staates könnte wenigstens die Beamten solch beschämenden und nieder¬
drückenden Verhältnissen entziehen.




Die Wohnungsnot der Beamten

Denn das geschieht so wie so und hat eben für den Beamten in seiner öffent¬
lichen Stellung gemessene Grenzen. Gegen idem „Kreisrichter im Flnnsrock
lind in Schmierstiefeln" würde man jetzt doch wohl Verwahrung einlegen?
Noch weniger wird man ihn: hoffentlich den Ausweg empfehlen, sich dem Zwei¬
kindersystem zuzuwenden, um wenigstens einen „ruhigen Mieter" abzugeben,
oder sich in das Elend einer Geldheirat zu stürzen. Eine solche hat, von
allem andern abgesehn, doch auch für den Staat das Bedenkliche, daß er, um
eine anständige Lebenshaltung seines Beamtenstandes zu ermöglichen, gewisser¬
maßen bei seinen Unterthanen unverzinsliche und unkündbare Zwangsauleihen
erhebt. Ein Volk mag von seinen Beamten unermüdliche Pflichterfüllung und
angestrengteste Arbeit fordern, wie sie auch dem Privatmann nicht erspart
bleibt; aber es muß ihnen dafür auch eine sozial angemessene Stellung sichern.
Dazu gehört aber in erster Linie eine gesunde und ausreichende
Wohnung, ist doch eine solche eines der Hauptbedürfnisse des Menschen auf
höherer Kulturstufe. Sie ist die Vorbedingung für körperliches und geistiges
Wohlsein, für ein echtes Familienleben und eine gute Erziehung der Kinder.
Sie allein schafft das mit allem Dufte der Dichtkunst umwobne Sohel lioniv.
Auch ist sie die Grundlage eiuer treuen Pflichterfüllung im Amte und eines
schaffensfreudigen Wirkens über dessen Kreis hinaus.

Man kann leicht zu gut essen und trinken, aber niemals zu gut wohnen,
soll Disraeli geäußert haben. Und ebenso zutreffend ist die Bemerkung des
Professors Schmoller, der Mensch sei das, was die Wohnung aus ihm mache.
Es ist deshalb sehr begreiflich, daß sich die öffentliche Meinung fast ein¬
stimmig dagegen erhoben hat, daß der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches
für Deutschland den Satz „Kauf bricht Miete" zum Gesetz erheben will. Denn
es ist, obgleich er in weiten Gebieten ohne wesentlichen Nachteil der Bewohner
längst gegolten hat, nicht zu verkennen, daß sehr leicht dann „der Handel mit
Wohngebäuden förmlich zu einem Handel mit den Bewohnern darin" ausarten
kann. Aber zweierlei ist wunderlicherweise von all den zahlreichen berufenen
und unberufenen Tadlern jenes Gesetzentwurfes übersehen worden. Zunächst, daß
ausdrücklich (Paragraph 50l>) bestimmt werden soll, der neue ErWerber habe die
gesetzliche Kündigungsfrist — also mindestens ein Vierteljahr und Aufkündigung
nur zum Vierteljahrswechsel (Paragraph 522, Abs. 3 dort) — zu beobachten,
wodurch in der That dem betreffenden Rechtssätze seine Hauptschärfe beim Mißver¬
hältnisse (anders allerdings beim Pacht!) genommen wird. Ferner, daß der
wirtschaftlich nachteiliger gestellte Mieter sich noch weit Schlimmeres, weit härtere
Bedingungen der Kündigung n. s. w. gefallen lassen muß. Eben hiergegen
vermag das Gesetz nichts. Nur ein thatsächliches und ernstliches Eingreifen
des Staates könnte wenigstens die Beamten solch beschämenden und nieder¬
drückenden Verhältnissen entziehen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206771"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Wohnungsnot der Beamten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318"> Denn das geschieht so wie so und hat eben für den Beamten in seiner öffent¬<lb/>
lichen Stellung gemessene Grenzen. Gegen idem &#x201E;Kreisrichter im Flnnsrock<lb/>
lind in Schmierstiefeln" würde man jetzt doch wohl Verwahrung einlegen?<lb/>
Noch weniger wird man ihn: hoffentlich den Ausweg empfehlen, sich dem Zwei¬<lb/>
kindersystem zuzuwenden, um wenigstens einen &#x201E;ruhigen Mieter" abzugeben,<lb/>
oder sich in das Elend einer Geldheirat zu stürzen. Eine solche hat, von<lb/>
allem andern abgesehn, doch auch für den Staat das Bedenkliche, daß er, um<lb/>
eine anständige Lebenshaltung seines Beamtenstandes zu ermöglichen, gewisser¬<lb/>
maßen bei seinen Unterthanen unverzinsliche und unkündbare Zwangsauleihen<lb/>
erhebt. Ein Volk mag von seinen Beamten unermüdliche Pflichterfüllung und<lb/>
angestrengteste Arbeit fordern, wie sie auch dem Privatmann nicht erspart<lb/>
bleibt; aber es muß ihnen dafür auch eine sozial angemessene Stellung sichern.<lb/>
Dazu gehört aber in erster Linie eine gesunde und ausreichende<lb/>
Wohnung, ist doch eine solche eines der Hauptbedürfnisse des Menschen auf<lb/>
höherer Kulturstufe. Sie ist die Vorbedingung für körperliches und geistiges<lb/>
Wohlsein, für ein echtes Familienleben und eine gute Erziehung der Kinder.<lb/>
Sie allein schafft das mit allem Dufte der Dichtkunst umwobne Sohel lioniv.<lb/>
Auch ist sie die Grundlage eiuer treuen Pflichterfüllung im Amte und eines<lb/>
schaffensfreudigen Wirkens über dessen Kreis hinaus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> Man kann leicht zu gut essen und trinken, aber niemals zu gut wohnen,<lb/>
soll Disraeli geäußert haben. Und ebenso zutreffend ist die Bemerkung des<lb/>
Professors Schmoller, der Mensch sei das, was die Wohnung aus ihm mache.<lb/>
Es ist deshalb sehr begreiflich, daß sich die öffentliche Meinung fast ein¬<lb/>
stimmig dagegen erhoben hat, daß der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches<lb/>
für Deutschland den Satz &#x201E;Kauf bricht Miete" zum Gesetz erheben will. Denn<lb/>
es ist, obgleich er in weiten Gebieten ohne wesentlichen Nachteil der Bewohner<lb/>
längst gegolten hat, nicht zu verkennen, daß sehr leicht dann &#x201E;der Handel mit<lb/>
Wohngebäuden förmlich zu einem Handel mit den Bewohnern darin" ausarten<lb/>
kann. Aber zweierlei ist wunderlicherweise von all den zahlreichen berufenen<lb/>
und unberufenen Tadlern jenes Gesetzentwurfes übersehen worden. Zunächst, daß<lb/>
ausdrücklich (Paragraph 50l&gt;) bestimmt werden soll, der neue ErWerber habe die<lb/>
gesetzliche Kündigungsfrist &#x2014; also mindestens ein Vierteljahr und Aufkündigung<lb/>
nur zum Vierteljahrswechsel (Paragraph 522, Abs. 3 dort) &#x2014; zu beobachten,<lb/>
wodurch in der That dem betreffenden Rechtssätze seine Hauptschärfe beim Mißver¬<lb/>
hältnisse (anders allerdings beim Pacht!) genommen wird. Ferner, daß der<lb/>
wirtschaftlich nachteiliger gestellte Mieter sich noch weit Schlimmeres, weit härtere<lb/>
Bedingungen der Kündigung n. s. w. gefallen lassen muß. Eben hiergegen<lb/>
vermag das Gesetz nichts. Nur ein thatsächliches und ernstliches Eingreifen<lb/>
des Staates könnte wenigstens die Beamten solch beschämenden und nieder¬<lb/>
drückenden Verhältnissen entziehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] Die Wohnungsnot der Beamten Denn das geschieht so wie so und hat eben für den Beamten in seiner öffent¬ lichen Stellung gemessene Grenzen. Gegen idem „Kreisrichter im Flnnsrock lind in Schmierstiefeln" würde man jetzt doch wohl Verwahrung einlegen? Noch weniger wird man ihn: hoffentlich den Ausweg empfehlen, sich dem Zwei¬ kindersystem zuzuwenden, um wenigstens einen „ruhigen Mieter" abzugeben, oder sich in das Elend einer Geldheirat zu stürzen. Eine solche hat, von allem andern abgesehn, doch auch für den Staat das Bedenkliche, daß er, um eine anständige Lebenshaltung seines Beamtenstandes zu ermöglichen, gewisser¬ maßen bei seinen Unterthanen unverzinsliche und unkündbare Zwangsauleihen erhebt. Ein Volk mag von seinen Beamten unermüdliche Pflichterfüllung und angestrengteste Arbeit fordern, wie sie auch dem Privatmann nicht erspart bleibt; aber es muß ihnen dafür auch eine sozial angemessene Stellung sichern. Dazu gehört aber in erster Linie eine gesunde und ausreichende Wohnung, ist doch eine solche eines der Hauptbedürfnisse des Menschen auf höherer Kulturstufe. Sie ist die Vorbedingung für körperliches und geistiges Wohlsein, für ein echtes Familienleben und eine gute Erziehung der Kinder. Sie allein schafft das mit allem Dufte der Dichtkunst umwobne Sohel lioniv. Auch ist sie die Grundlage eiuer treuen Pflichterfüllung im Amte und eines schaffensfreudigen Wirkens über dessen Kreis hinaus. Man kann leicht zu gut essen und trinken, aber niemals zu gut wohnen, soll Disraeli geäußert haben. Und ebenso zutreffend ist die Bemerkung des Professors Schmoller, der Mensch sei das, was die Wohnung aus ihm mache. Es ist deshalb sehr begreiflich, daß sich die öffentliche Meinung fast ein¬ stimmig dagegen erhoben hat, daß der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland den Satz „Kauf bricht Miete" zum Gesetz erheben will. Denn es ist, obgleich er in weiten Gebieten ohne wesentlichen Nachteil der Bewohner längst gegolten hat, nicht zu verkennen, daß sehr leicht dann „der Handel mit Wohngebäuden förmlich zu einem Handel mit den Bewohnern darin" ausarten kann. Aber zweierlei ist wunderlicherweise von all den zahlreichen berufenen und unberufenen Tadlern jenes Gesetzentwurfes übersehen worden. Zunächst, daß ausdrücklich (Paragraph 50l>) bestimmt werden soll, der neue ErWerber habe die gesetzliche Kündigungsfrist — also mindestens ein Vierteljahr und Aufkündigung nur zum Vierteljahrswechsel (Paragraph 522, Abs. 3 dort) — zu beobachten, wodurch in der That dem betreffenden Rechtssätze seine Hauptschärfe beim Mißver¬ hältnisse (anders allerdings beim Pacht!) genommen wird. Ferner, daß der wirtschaftlich nachteiliger gestellte Mieter sich noch weit Schlimmeres, weit härtere Bedingungen der Kündigung n. s. w. gefallen lassen muß. Eben hiergegen vermag das Gesetz nichts. Nur ein thatsächliches und ernstliches Eingreifen des Staates könnte wenigstens die Beamten solch beschämenden und nieder¬ drückenden Verhältnissen entziehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/126>, abgerufen am 23.07.2024.