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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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weg eine bedeutende Steigerung der Preise der eigentlichen und unmittelbarsten
Lebensmittel eingetreten. Und gerade jetzt erfährt sie -- nicht bloß sür
die kleinen Leute und die kleinen Beamten, wie der Reichstagsvizepräsident
or. Buhl kürzlich auf einem nationalliberalen Parteitage zu Hannover meinte --
bei Kohlen, Fleisch, Eiern, Milch n. s. w. eine höchst empfindliche Erhöhung.
Daneben drücken die überreichlicher Steuerkasten, besonders soweit sie aus dem
Gemeinde- und Schnlverbande entspringen, und die erhöhten Lebensansprüche,
z- B. die allgemeine Neisesncht, deren Befriedigung sich viele, insbesondere die
Staatsbeamten zur Wahrung ihrer Stellung, nicht gänzlich versagen können.
Aber dies insgesamt bringt gerade dein Beamten nicht soviel Bedrängnis,
wie die Preissteigerung der Wohnungen, weil in ihr all jene Verteuerung
gewissermaßen wiederholt zum Borschein und zur Geltung kommt. Die Häuser¬
besitzer sind natürlich, gestützt auf ihr zumal in kleinern Städten, vvrhandnes
und gleich einer scharfen Schraube wirkendes Monopol, alsbald darauf aus,
bei den Mietzinsen sich ihrer Lasten an Gebäudesteuer nud allgemeiner Preis¬
erhöhung zu erholen. Dann erfährt es also auch der Beamte, dessen Einnahme
durch diese übrige Teuerung bereits hart mitgenommen wird, daß mit dein
Sinken seiner Mittel der verhältnismäßige Anteil, den die Wohnungsmiete unter
den Ausgaben beansprucht, nach dem von Engel und Schwabe aufgestellten und
begründeten volkswirtschaftlichen Gesetze steigt.

Wie sich die Wohnungspreise der Staatsbeamten zur Zeit in Nvrdwest-
deutschlnnd stellen, erkennt mau am besten daran, daß man durchschnittlich
rechnen muß, der den preußischen Beamten vor mehrern Jahren bekanntlich
bewilligte "Wohnnngsgeldznschuß" erreiche etwa nur den halben Betrag des
von ihnen anzulegenden Mietgeldes. Es ist also wohl thatsächlich vielfach
eingetreten, was man seiner Zeit gegen diese Neuerung einwandte, daß die
Hünservermieter einfach durch Erhöhung des Zinses diesen Zuschuß für steh
eingestrichen haben.

Doch nicht mit solcher Teuerung ist der obwaltende Übelstand für den
Beamten erledigt;' die empfindlichste und ärgerlichste Seite der Wohnungsnot
-se für ihn die', daß, weil vielfach ein wirklicher Mangel an ausreichenden
Wohnungen herrscht, er trotz hochgeschraubter Miete sich seinem Hausherrn
auf Gnade und Ungnade überlassen sieht. Auch unter seinen Stnndesgcnossen
muß sich j^t mancher rauchende Öfen, schneedurchlassende Fenster, stinkende
Abtritte u. s. w. gefallen lassen; aus Mangel um Beispielen braucht man nicht
etwa auf den bekannten "Berliner Mietvertrag" (bei Engel, "Die moderne
Wohnungsnot"), eine in der That vollendete "juristische Mausefalle," zu ver¬
weisen. Wer aber einmal unter diesem Drucke, unter solcher Recht und Billig¬
keit offen versöhnenden Tyrannei eines Hansvermieters hat seufzen müssen,
der wird voll Ingrimm die ganze Schmählichkeit einer solchen Lage bestätigen,
derwird in Versuchung kommen, gar zu solchen Phantastereien gegen das


Grenzboten 1 1890 Is

weg eine bedeutende Steigerung der Preise der eigentlichen und unmittelbarsten
Lebensmittel eingetreten. Und gerade jetzt erfährt sie — nicht bloß sür
die kleinen Leute und die kleinen Beamten, wie der Reichstagsvizepräsident
or. Buhl kürzlich auf einem nationalliberalen Parteitage zu Hannover meinte —
bei Kohlen, Fleisch, Eiern, Milch n. s. w. eine höchst empfindliche Erhöhung.
Daneben drücken die überreichlicher Steuerkasten, besonders soweit sie aus dem
Gemeinde- und Schnlverbande entspringen, und die erhöhten Lebensansprüche,
z- B. die allgemeine Neisesncht, deren Befriedigung sich viele, insbesondere die
Staatsbeamten zur Wahrung ihrer Stellung, nicht gänzlich versagen können.
Aber dies insgesamt bringt gerade dein Beamten nicht soviel Bedrängnis,
wie die Preissteigerung der Wohnungen, weil in ihr all jene Verteuerung
gewissermaßen wiederholt zum Borschein und zur Geltung kommt. Die Häuser¬
besitzer sind natürlich, gestützt auf ihr zumal in kleinern Städten, vvrhandnes
und gleich einer scharfen Schraube wirkendes Monopol, alsbald darauf aus,
bei den Mietzinsen sich ihrer Lasten an Gebäudesteuer nud allgemeiner Preis¬
erhöhung zu erholen. Dann erfährt es also auch der Beamte, dessen Einnahme
durch diese übrige Teuerung bereits hart mitgenommen wird, daß mit dein
Sinken seiner Mittel der verhältnismäßige Anteil, den die Wohnungsmiete unter
den Ausgaben beansprucht, nach dem von Engel und Schwabe aufgestellten und
begründeten volkswirtschaftlichen Gesetze steigt.

Wie sich die Wohnungspreise der Staatsbeamten zur Zeit in Nvrdwest-
deutschlnnd stellen, erkennt mau am besten daran, daß man durchschnittlich
rechnen muß, der den preußischen Beamten vor mehrern Jahren bekanntlich
bewilligte „Wohnnngsgeldznschuß" erreiche etwa nur den halben Betrag des
von ihnen anzulegenden Mietgeldes. Es ist also wohl thatsächlich vielfach
eingetreten, was man seiner Zeit gegen diese Neuerung einwandte, daß die
Hünservermieter einfach durch Erhöhung des Zinses diesen Zuschuß für steh
eingestrichen haben.

Doch nicht mit solcher Teuerung ist der obwaltende Übelstand für den
Beamten erledigt;' die empfindlichste und ärgerlichste Seite der Wohnungsnot
-se für ihn die', daß, weil vielfach ein wirklicher Mangel an ausreichenden
Wohnungen herrscht, er trotz hochgeschraubter Miete sich seinem Hausherrn
auf Gnade und Ungnade überlassen sieht. Auch unter seinen Stnndesgcnossen
muß sich j^t mancher rauchende Öfen, schneedurchlassende Fenster, stinkende
Abtritte u. s. w. gefallen lassen; aus Mangel um Beispielen braucht man nicht
etwa auf den bekannten „Berliner Mietvertrag" (bei Engel, „Die moderne
Wohnungsnot"), eine in der That vollendete „juristische Mausefalle," zu ver¬
weisen. Wer aber einmal unter diesem Drucke, unter solcher Recht und Billig¬
keit offen versöhnenden Tyrannei eines Hansvermieters hat seufzen müssen,
der wird voll Ingrimm die ganze Schmählichkeit einer solchen Lage bestätigen,
derwird in Versuchung kommen, gar zu solchen Phantastereien gegen das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/121>, abgerufen am 23.07.2024.