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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Pforte, Frankreich und der Sklavenhandel

Allerhand Abscheulichkeit wurde begangen, um den gewinnreichen Handel mit
Menschenfleisch zu fördern. In welcher haarsträubenden Ausdehnung die
Sklavenjagden für die Türkei und Ägypten betrieben wurden, und wie sie
ganze weite Landstriche entvölkerten, ist erst in der neuesten Zeit durch die
Untersuch"ugeu Kameruns, Livingstones und Stanleys völlig aufgeklärt worden.
Livingstone berechnete, daß auf diesem Wege alljährlich mindestens WO 000
Schwarze geraubt würden, und daß von dieser Zahl höchstens 70 000 lebendig
die Einschiffungshäfen erreichten. Auf den beschwerlichem Straßen des Sklaven¬
handels gelangte oft von neun eingefangnen Negern nur etwa einer bis an
die Küste des Landes, wohin er bestimmt war. In einem Berichte der Londoner
Autisklaverei-Gesellschaft wurde die Zahl der jedes Jahr von den Arabern im
Innern Afrikas zum Verkauf erjagten Schwarzen auf ungefähr eine halbe
Million geschätzt, was richtig sein kann, aber wahrscheinlich übertrieben ist.
So war die Haussklaverei der Orientalen, die an sich durch das Herkommen
und das menschliche Gefühl bedeutend gemildert worden war, von sehr weit¬
reichenden und sehr unheilvollen Einfluß auf das afrikanische Binnenland.
Sie reizte die arabische Habgier und war die unmittelbare Ursache der Grau¬
samkeit, die mit dieser Habgier Hand in Hand ging. Hätte es in der Türkei
kein großes Absatzgebiet für schwarze Sklaven gegeben, so hätten die Sklaven¬
jäger kaum auf die Hälfte des Gewinns rechnen können, den sie trotz aller
Spesen und Verluste bei ihrem Geschäft einstrichen. Ein andrer Teil ihres
Verdienstes bei der Sache fließt aus dem Handel mit Elfenbein. Bei den
sehr beschwerlichen Wegen durch Gebirge, dichte Wälder, hohes Gras und
weite Sümpfe ist der Neger das einzige Lasttier dieser Gegenden. Läßt er
sich nicht als Sklave verkaufen, so läßt er sich, gleichviel ob Mann, Weib
oder Kind, als Träger von Elefantenzähnen gebrauchen, bis ihm die Kräfte
versagen. Die drohende Ausrottung des afrikanischen Elefanten würde für die
Schwarzen, wenn sie zur Wirklichkeit würde, ein erfreuliches Ereignis sein,
denn sie würde sie von der Furcht befreien, eingefangen und als Transport¬
mittel für den Elfenbeinhandel benutzt zu werden, die starke Abnahme dieser
Tiere ist also in dieser Beziehung nicht beklagenswert. Der neue Erlaß des
Sultans jedoch muß, wenn er energisch ausgeführt und gehandhabt wird, die
Aussichten der Araber Ostafrikas auf Gewinn in ihrem Sklavengeschäfte viel
ernstlicher vermindern. Man hört zuweilen die Behauptung, daß, da nur
Muhammedaner sich mit der Beschaffung und dem Vertriebe der schwarzen Ware
befassen, der Islam die Schuld an den damit verbundnen Unmenschlichsten
trage; das ist aber doch nur mit Einschränkung wahr. Ohne Zweifel lehrt
der Islam unmittelbar und mittelbar, daß die Ungläubigen eine Art Menschen
zweiter Klasse seien ohne die Rechte der Muslime, und daß sie von Rechts
wegen deren Knechte sein sollen; aber die Christen haben nicht die Befugnis,
in dieser Hinsicht mit Steinen zu werfen.. Die Kirche verteidigte und ge-


Die Pforte, Frankreich und der Sklavenhandel

Allerhand Abscheulichkeit wurde begangen, um den gewinnreichen Handel mit
Menschenfleisch zu fördern. In welcher haarsträubenden Ausdehnung die
Sklavenjagden für die Türkei und Ägypten betrieben wurden, und wie sie
ganze weite Landstriche entvölkerten, ist erst in der neuesten Zeit durch die
Untersuch»ugeu Kameruns, Livingstones und Stanleys völlig aufgeklärt worden.
Livingstone berechnete, daß auf diesem Wege alljährlich mindestens WO 000
Schwarze geraubt würden, und daß von dieser Zahl höchstens 70 000 lebendig
die Einschiffungshäfen erreichten. Auf den beschwerlichem Straßen des Sklaven¬
handels gelangte oft von neun eingefangnen Negern nur etwa einer bis an
die Küste des Landes, wohin er bestimmt war. In einem Berichte der Londoner
Autisklaverei-Gesellschaft wurde die Zahl der jedes Jahr von den Arabern im
Innern Afrikas zum Verkauf erjagten Schwarzen auf ungefähr eine halbe
Million geschätzt, was richtig sein kann, aber wahrscheinlich übertrieben ist.
So war die Haussklaverei der Orientalen, die an sich durch das Herkommen
und das menschliche Gefühl bedeutend gemildert worden war, von sehr weit¬
reichenden und sehr unheilvollen Einfluß auf das afrikanische Binnenland.
Sie reizte die arabische Habgier und war die unmittelbare Ursache der Grau¬
samkeit, die mit dieser Habgier Hand in Hand ging. Hätte es in der Türkei
kein großes Absatzgebiet für schwarze Sklaven gegeben, so hätten die Sklaven¬
jäger kaum auf die Hälfte des Gewinns rechnen können, den sie trotz aller
Spesen und Verluste bei ihrem Geschäft einstrichen. Ein andrer Teil ihres
Verdienstes bei der Sache fließt aus dem Handel mit Elfenbein. Bei den
sehr beschwerlichen Wegen durch Gebirge, dichte Wälder, hohes Gras und
weite Sümpfe ist der Neger das einzige Lasttier dieser Gegenden. Läßt er
sich nicht als Sklave verkaufen, so läßt er sich, gleichviel ob Mann, Weib
oder Kind, als Träger von Elefantenzähnen gebrauchen, bis ihm die Kräfte
versagen. Die drohende Ausrottung des afrikanischen Elefanten würde für die
Schwarzen, wenn sie zur Wirklichkeit würde, ein erfreuliches Ereignis sein,
denn sie würde sie von der Furcht befreien, eingefangen und als Transport¬
mittel für den Elfenbeinhandel benutzt zu werden, die starke Abnahme dieser
Tiere ist also in dieser Beziehung nicht beklagenswert. Der neue Erlaß des
Sultans jedoch muß, wenn er energisch ausgeführt und gehandhabt wird, die
Aussichten der Araber Ostafrikas auf Gewinn in ihrem Sklavengeschäfte viel
ernstlicher vermindern. Man hört zuweilen die Behauptung, daß, da nur
Muhammedaner sich mit der Beschaffung und dem Vertriebe der schwarzen Ware
befassen, der Islam die Schuld an den damit verbundnen Unmenschlichsten
trage; das ist aber doch nur mit Einschränkung wahr. Ohne Zweifel lehrt
der Islam unmittelbar und mittelbar, daß die Ungläubigen eine Art Menschen
zweiter Klasse seien ohne die Rechte der Muslime, und daß sie von Rechts
wegen deren Knechte sein sollen; aber die Christen haben nicht die Befugnis,
in dieser Hinsicht mit Steinen zu werfen.. Die Kirche verteidigte und ge-


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[0118] Die Pforte, Frankreich und der Sklavenhandel Allerhand Abscheulichkeit wurde begangen, um den gewinnreichen Handel mit Menschenfleisch zu fördern. In welcher haarsträubenden Ausdehnung die Sklavenjagden für die Türkei und Ägypten betrieben wurden, und wie sie ganze weite Landstriche entvölkerten, ist erst in der neuesten Zeit durch die Untersuch»ugeu Kameruns, Livingstones und Stanleys völlig aufgeklärt worden. Livingstone berechnete, daß auf diesem Wege alljährlich mindestens WO 000 Schwarze geraubt würden, und daß von dieser Zahl höchstens 70 000 lebendig die Einschiffungshäfen erreichten. Auf den beschwerlichem Straßen des Sklaven¬ handels gelangte oft von neun eingefangnen Negern nur etwa einer bis an die Küste des Landes, wohin er bestimmt war. In einem Berichte der Londoner Autisklaverei-Gesellschaft wurde die Zahl der jedes Jahr von den Arabern im Innern Afrikas zum Verkauf erjagten Schwarzen auf ungefähr eine halbe Million geschätzt, was richtig sein kann, aber wahrscheinlich übertrieben ist. So war die Haussklaverei der Orientalen, die an sich durch das Herkommen und das menschliche Gefühl bedeutend gemildert worden war, von sehr weit¬ reichenden und sehr unheilvollen Einfluß auf das afrikanische Binnenland. Sie reizte die arabische Habgier und war die unmittelbare Ursache der Grau¬ samkeit, die mit dieser Habgier Hand in Hand ging. Hätte es in der Türkei kein großes Absatzgebiet für schwarze Sklaven gegeben, so hätten die Sklaven¬ jäger kaum auf die Hälfte des Gewinns rechnen können, den sie trotz aller Spesen und Verluste bei ihrem Geschäft einstrichen. Ein andrer Teil ihres Verdienstes bei der Sache fließt aus dem Handel mit Elfenbein. Bei den sehr beschwerlichen Wegen durch Gebirge, dichte Wälder, hohes Gras und weite Sümpfe ist der Neger das einzige Lasttier dieser Gegenden. Läßt er sich nicht als Sklave verkaufen, so läßt er sich, gleichviel ob Mann, Weib oder Kind, als Träger von Elefantenzähnen gebrauchen, bis ihm die Kräfte versagen. Die drohende Ausrottung des afrikanischen Elefanten würde für die Schwarzen, wenn sie zur Wirklichkeit würde, ein erfreuliches Ereignis sein, denn sie würde sie von der Furcht befreien, eingefangen und als Transport¬ mittel für den Elfenbeinhandel benutzt zu werden, die starke Abnahme dieser Tiere ist also in dieser Beziehung nicht beklagenswert. Der neue Erlaß des Sultans jedoch muß, wenn er energisch ausgeführt und gehandhabt wird, die Aussichten der Araber Ostafrikas auf Gewinn in ihrem Sklavengeschäfte viel ernstlicher vermindern. Man hört zuweilen die Behauptung, daß, da nur Muhammedaner sich mit der Beschaffung und dem Vertriebe der schwarzen Ware befassen, der Islam die Schuld an den damit verbundnen Unmenschlichsten trage; das ist aber doch nur mit Einschränkung wahr. Ohne Zweifel lehrt der Islam unmittelbar und mittelbar, daß die Ungläubigen eine Art Menschen zweiter Klasse seien ohne die Rechte der Muslime, und daß sie von Rechts wegen deren Knechte sein sollen; aber die Christen haben nicht die Befugnis, in dieser Hinsicht mit Steinen zu werfen.. Die Kirche verteidigte und ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/118>, abgerufen am 25.08.2024.