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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Luckle und Vcirwin

zu einem Meisterwerke, das wir nur verunglimpfen würden, wenn wir einen
leicht mißzuverstehender Auszug davon geben wollten.

Der Mensch kann nur unter Menschen studirt werden, und uicht uuter
den Nagetieren, Ameisenfressern, Beuteltieren, Fledermäusen, Halbaffen und
Affen, in deren Sippe er als el" "diskvplazentales" Säugetier von den Dar-
winianern verwiesen wird. Daher leisten Untersuchungen wie die Buckles für
das Verständnis des Menschenlebens unendlich mehr und sind auch von unendlich
größerm praktischen Nutzen, als alle Untersuchungen über die Vererbung ab¬
gedankter Schwänze und alle die zahllosen Szenen aus dem Liebesleben der
Sperlinge, Ratten, Maikäfer, Schmetterlinge und Schnecken, mit denen die
Darwinianer uns den Appetit zum Essen, Lieben und Handeln verderben.
Namentlich zum letztern. Denn wer soll noch Lust, Mut und Freudigkeit zum
Schaffen haben, wenn er sich einreden läßt, daß nach Lvtzes hübschem Aus¬
druck alle Geschehnisse nichts sind als das unvermeidliche Ergebnis eines
Stoßes von hinten? Wer diesem Glauben verfallen ist, der wird, sofern
nicht angeborne Regsamkeit ihn treibt oder ein unmittelbar zu erlangender
Genuß ihn lockt, immerdar aus deu Stoß warten und sich nur noch gestoßen
bewegen.

Freilich verkündigt auch Buckle die Notwendigkeit, aber eine andre. Seine
Notwendigkeit ergiebt sich aus dem Weltplan, der für die Darwinianer nicht
dorhanden ist. Und die, wenn auch unvollkommen erkannte Schönheit des
Weltplans wird dem Erkennenden ein Antrieb zum Handeln, indem der Mensch
sich freut, an feiner Verwirklichung mitarbeiten zu können, sodaß seine Hand¬
lungen, die an sich und von Gott aus gesehen notwendige Wirkungen außerhalb
des Handelnden liegender Ursachen sind, für ihn und von ihm aus gesehen
freudige Leistungen seines freien Willens sind. Wunder allerdings, die
Störungen der gesetzmäßigen Verwirklichung des Weltplans sein würden, erklärt
Buckle für unzulässig, nicht aber deu Glauben an Gott, den Allwissenden,
Allmächtigen und Allgütiger. Während Darwin sich mürrisch und ängstlich
auf seinem Agnostikerstandpunkte verschanzte, um sich und andern die hinter
dem botanisch-zoologischen Reichtum seiner Bücher gähnende Ode und Leere
eines der Hoffnung beraubten Gemütes zu verbergen, bekennt sich Buckle offen
zu einem von Aberglauben freien Christentum. Er bedauert es (im 12. Ka¬
pitel) als ein Unglück, daß die französischen Aufklärer, anstatt nur die Macht
der Kirche anzugreifen, die Grundlagen des Christentums untergruben. Jenen
Männern sei der aus unvollkommner Sachkenntnis entsprungene Irrtum zu
verzeihen. Wir Heutigen jedoch, meint er, würden ihn nicht mehr begehen.
Wir wissen, daß das Christentum nicht an eine bestimmte Kirchenform gebunden
ist. Wir wissen, daß die Geistlichkeit fürs Volk, nicht das Volk für die Geist¬
lichkeit da ist. Wir wissen, daß Fragen der Kirchenverfassung nicht in die
Religion, sondern in die Politik gehören. Und weil wir das alles wissen,


Grenzboten IV 1889 76
Luckle und Vcirwin

zu einem Meisterwerke, das wir nur verunglimpfen würden, wenn wir einen
leicht mißzuverstehender Auszug davon geben wollten.

Der Mensch kann nur unter Menschen studirt werden, und uicht uuter
den Nagetieren, Ameisenfressern, Beuteltieren, Fledermäusen, Halbaffen und
Affen, in deren Sippe er als el» „diskvplazentales" Säugetier von den Dar-
winianern verwiesen wird. Daher leisten Untersuchungen wie die Buckles für
das Verständnis des Menschenlebens unendlich mehr und sind auch von unendlich
größerm praktischen Nutzen, als alle Untersuchungen über die Vererbung ab¬
gedankter Schwänze und alle die zahllosen Szenen aus dem Liebesleben der
Sperlinge, Ratten, Maikäfer, Schmetterlinge und Schnecken, mit denen die
Darwinianer uns den Appetit zum Essen, Lieben und Handeln verderben.
Namentlich zum letztern. Denn wer soll noch Lust, Mut und Freudigkeit zum
Schaffen haben, wenn er sich einreden läßt, daß nach Lvtzes hübschem Aus¬
druck alle Geschehnisse nichts sind als das unvermeidliche Ergebnis eines
Stoßes von hinten? Wer diesem Glauben verfallen ist, der wird, sofern
nicht angeborne Regsamkeit ihn treibt oder ein unmittelbar zu erlangender
Genuß ihn lockt, immerdar aus deu Stoß warten und sich nur noch gestoßen
bewegen.

Freilich verkündigt auch Buckle die Notwendigkeit, aber eine andre. Seine
Notwendigkeit ergiebt sich aus dem Weltplan, der für die Darwinianer nicht
dorhanden ist. Und die, wenn auch unvollkommen erkannte Schönheit des
Weltplans wird dem Erkennenden ein Antrieb zum Handeln, indem der Mensch
sich freut, an feiner Verwirklichung mitarbeiten zu können, sodaß seine Hand¬
lungen, die an sich und von Gott aus gesehen notwendige Wirkungen außerhalb
des Handelnden liegender Ursachen sind, für ihn und von ihm aus gesehen
freudige Leistungen seines freien Willens sind. Wunder allerdings, die
Störungen der gesetzmäßigen Verwirklichung des Weltplans sein würden, erklärt
Buckle für unzulässig, nicht aber deu Glauben an Gott, den Allwissenden,
Allmächtigen und Allgütiger. Während Darwin sich mürrisch und ängstlich
auf seinem Agnostikerstandpunkte verschanzte, um sich und andern die hinter
dem botanisch-zoologischen Reichtum seiner Bücher gähnende Ode und Leere
eines der Hoffnung beraubten Gemütes zu verbergen, bekennt sich Buckle offen
zu einem von Aberglauben freien Christentum. Er bedauert es (im 12. Ka¬
pitel) als ein Unglück, daß die französischen Aufklärer, anstatt nur die Macht
der Kirche anzugreifen, die Grundlagen des Christentums untergruben. Jenen
Männern sei der aus unvollkommner Sachkenntnis entsprungene Irrtum zu
verzeihen. Wir Heutigen jedoch, meint er, würden ihn nicht mehr begehen.
Wir wissen, daß das Christentum nicht an eine bestimmte Kirchenform gebunden
ist. Wir wissen, daß die Geistlichkeit fürs Volk, nicht das Volk für die Geist¬
lichkeit da ist. Wir wissen, daß Fragen der Kirchenverfassung nicht in die
Religion, sondern in die Politik gehören. Und weil wir das alles wissen,


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[0609] Luckle und Vcirwin zu einem Meisterwerke, das wir nur verunglimpfen würden, wenn wir einen leicht mißzuverstehender Auszug davon geben wollten. Der Mensch kann nur unter Menschen studirt werden, und uicht uuter den Nagetieren, Ameisenfressern, Beuteltieren, Fledermäusen, Halbaffen und Affen, in deren Sippe er als el» „diskvplazentales" Säugetier von den Dar- winianern verwiesen wird. Daher leisten Untersuchungen wie die Buckles für das Verständnis des Menschenlebens unendlich mehr und sind auch von unendlich größerm praktischen Nutzen, als alle Untersuchungen über die Vererbung ab¬ gedankter Schwänze und alle die zahllosen Szenen aus dem Liebesleben der Sperlinge, Ratten, Maikäfer, Schmetterlinge und Schnecken, mit denen die Darwinianer uns den Appetit zum Essen, Lieben und Handeln verderben. Namentlich zum letztern. Denn wer soll noch Lust, Mut und Freudigkeit zum Schaffen haben, wenn er sich einreden läßt, daß nach Lvtzes hübschem Aus¬ druck alle Geschehnisse nichts sind als das unvermeidliche Ergebnis eines Stoßes von hinten? Wer diesem Glauben verfallen ist, der wird, sofern nicht angeborne Regsamkeit ihn treibt oder ein unmittelbar zu erlangender Genuß ihn lockt, immerdar aus deu Stoß warten und sich nur noch gestoßen bewegen. Freilich verkündigt auch Buckle die Notwendigkeit, aber eine andre. Seine Notwendigkeit ergiebt sich aus dem Weltplan, der für die Darwinianer nicht dorhanden ist. Und die, wenn auch unvollkommen erkannte Schönheit des Weltplans wird dem Erkennenden ein Antrieb zum Handeln, indem der Mensch sich freut, an feiner Verwirklichung mitarbeiten zu können, sodaß seine Hand¬ lungen, die an sich und von Gott aus gesehen notwendige Wirkungen außerhalb des Handelnden liegender Ursachen sind, für ihn und von ihm aus gesehen freudige Leistungen seines freien Willens sind. Wunder allerdings, die Störungen der gesetzmäßigen Verwirklichung des Weltplans sein würden, erklärt Buckle für unzulässig, nicht aber deu Glauben an Gott, den Allwissenden, Allmächtigen und Allgütiger. Während Darwin sich mürrisch und ängstlich auf seinem Agnostikerstandpunkte verschanzte, um sich und andern die hinter dem botanisch-zoologischen Reichtum seiner Bücher gähnende Ode und Leere eines der Hoffnung beraubten Gemütes zu verbergen, bekennt sich Buckle offen zu einem von Aberglauben freien Christentum. Er bedauert es (im 12. Ka¬ pitel) als ein Unglück, daß die französischen Aufklärer, anstatt nur die Macht der Kirche anzugreifen, die Grundlagen des Christentums untergruben. Jenen Männern sei der aus unvollkommner Sachkenntnis entsprungene Irrtum zu verzeihen. Wir Heutigen jedoch, meint er, würden ihn nicht mehr begehen. Wir wissen, daß das Christentum nicht an eine bestimmte Kirchenform gebunden ist. Wir wissen, daß die Geistlichkeit fürs Volk, nicht das Volk für die Geist¬ lichkeit da ist. Wir wissen, daß Fragen der Kirchenverfassung nicht in die Religion, sondern in die Politik gehören. Und weil wir das alles wissen, Grenzboten IV 1889 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/609>, abgerufen am 22.12.2024.