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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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sagt oder und schreibt wohl ein einziger vernünftiger Mensch: dieses Gedicht
klingt echt Goethe'sah? Jeder sagt: es klingt Goethisch. Wenn man aber
in der undeklinirten, prädikativen Form das Adjektiv richtig bildet, warum
nicht in der attributiven, deklinirten? Es könnte wohl einer denken, der Dichter
hieße Goeth, wenn man von Goethischen Gedichten spricht? Es ist doch
zu beschämend, daß in der ganzen großen Gemeinde, in dem Jahrbuche und
in der ganzen neuern Litteratur, die Goethes Namen tragen, ein solcher Unsinn
wie die Goethe'schen Gedichte hat um sich greifen können. Das müßte doch
wahrhaftig wieder zu beseitigen sein! Unsre Klassiker, die in die Hallische
Litteraturzeitung schrieben (im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert sagte
man sogar mit richtigem Amiant baltisch). drehten sich im Grabe herum,
wenn sie lasen, daß es jetzt einen .Halle'schen Bürgermeister giebt. Und genau
so dumm sind die Lanbe'schen Dramen, die Heine'schen wieder, die Heyse'sche
Sprachlehre und die Taaffe'sche Ära. Neuerdings fängt man auch an, von
der meiningen'schen Truppe zu reden, statt von der meiningischeu. Dann
wollen wir mir auch in Zukunft von den bremen'scheu Stadtmusikanten und
von planen'schen Fabrikaten reden (geschieht schon! auch der plauische
Bürgermeister heißt bereits der planen'sche! Die Red.), vou thüringer'schen
Landgrafen, vom Sachsen'schen "ut vom preußen'schen König. Nein, lieber
Leser, die Ortsnamen ans -- e" sind alte Dative im Plural, und wenn ein
Adjektiv auf -- isch davon gebildet werden soll, so kann auch das nur vom reinen
Stamme gebildet werde"; es heißt also einzig richtig: bremisch, plauisch,
sächsisch, preußisch, thüringisch, meiningisch. Meile dirs und kämpfe
liegen die Dummheit an, wo du nur kannst!

Eine Masse von Unfug ist neuerdings in der Wortzusammensetzung ein-
gcrisse". Ich will nur einiges anführen. Bei der sogenannten uneigentlichen
Zusammensetzung, d. h. bei der, bei der (Papiermcnsch, staune! bei der, bei
der ^ welches Verbrechen! dn würdest doch schreiben: bei derjenigen, bei
welcher) die Wörter ursprünglich unverbunden neben einander standen, muß das
erste Glied, das Bestimmungswort, natürlich im Genetiv stehen: Tageslicht,
Wirtshaus, Beamtenwohnnng, Konfirmandenanzng (eigentlich des
Tages Licht, des Wirts Haus, des Becnnteu Wohnung). Jetzt kann
man aber täglich in den Zeitungen lesen: Reisendergesuch, Disponent¬
gesuch und ähnliches. Statt der organischen Berbindung ein bloßes rohes
ineinanderschieben.

Da ist nun auch ein Fall, der wieder schlagend zeigt, was dabei heraus¬
kommt, wenn die große Masse anfängt, mit Nachdenken an der Sprache zu
ändern. Es giebt alte, gute schwache Singularformen des Feminins. In
feststehenden Redensarten und Sprüchen haben sie sich noch erhalten, z. B. auf
Erden, von Gottes Gnaden, die Kirche unsrer lieben Frauen, es kommt
endlich um die Sonnen u, s. w.; im übrigen siudsie verloren gegangen. Wunder-


sagt oder und schreibt wohl ein einziger vernünftiger Mensch: dieses Gedicht
klingt echt Goethe'sah? Jeder sagt: es klingt Goethisch. Wenn man aber
in der undeklinirten, prädikativen Form das Adjektiv richtig bildet, warum
nicht in der attributiven, deklinirten? Es könnte wohl einer denken, der Dichter
hieße Goeth, wenn man von Goethischen Gedichten spricht? Es ist doch
zu beschämend, daß in der ganzen großen Gemeinde, in dem Jahrbuche und
in der ganzen neuern Litteratur, die Goethes Namen tragen, ein solcher Unsinn
wie die Goethe'schen Gedichte hat um sich greifen können. Das müßte doch
wahrhaftig wieder zu beseitigen sein! Unsre Klassiker, die in die Hallische
Litteraturzeitung schrieben (im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert sagte
man sogar mit richtigem Amiant baltisch). drehten sich im Grabe herum,
wenn sie lasen, daß es jetzt einen .Halle'schen Bürgermeister giebt. Und genau
so dumm sind die Lanbe'schen Dramen, die Heine'schen wieder, die Heyse'sche
Sprachlehre und die Taaffe'sche Ära. Neuerdings fängt man auch an, von
der meiningen'schen Truppe zu reden, statt von der meiningischeu. Dann
wollen wir mir auch in Zukunft von den bremen'scheu Stadtmusikanten und
von planen'schen Fabrikaten reden (geschieht schon! auch der plauische
Bürgermeister heißt bereits der planen'sche! Die Red.), vou thüringer'schen
Landgrafen, vom Sachsen'schen »ut vom preußen'schen König. Nein, lieber
Leser, die Ortsnamen ans — e» sind alte Dative im Plural, und wenn ein
Adjektiv auf — isch davon gebildet werden soll, so kann auch das nur vom reinen
Stamme gebildet werde»; es heißt also einzig richtig: bremisch, plauisch,
sächsisch, preußisch, thüringisch, meiningisch. Meile dirs und kämpfe
liegen die Dummheit an, wo du nur kannst!

Eine Masse von Unfug ist neuerdings in der Wortzusammensetzung ein-
gcrisse». Ich will nur einiges anführen. Bei der sogenannten uneigentlichen
Zusammensetzung, d. h. bei der, bei der (Papiermcnsch, staune! bei der, bei
der ^ welches Verbrechen! dn würdest doch schreiben: bei derjenigen, bei
welcher) die Wörter ursprünglich unverbunden neben einander standen, muß das
erste Glied, das Bestimmungswort, natürlich im Genetiv stehen: Tageslicht,
Wirtshaus, Beamtenwohnnng, Konfirmandenanzng (eigentlich des
Tages Licht, des Wirts Haus, des Becnnteu Wohnung). Jetzt kann
man aber täglich in den Zeitungen lesen: Reisendergesuch, Disponent¬
gesuch und ähnliches. Statt der organischen Berbindung ein bloßes rohes
ineinanderschieben.

Da ist nun auch ein Fall, der wieder schlagend zeigt, was dabei heraus¬
kommt, wenn die große Masse anfängt, mit Nachdenken an der Sprache zu
ändern. Es giebt alte, gute schwache Singularformen des Feminins. In
feststehenden Redensarten und Sprüchen haben sie sich noch erhalten, z. B. auf
Erden, von Gottes Gnaden, die Kirche unsrer lieben Frauen, es kommt
endlich um die Sonnen u, s. w.; im übrigen siudsie verloren gegangen. Wunder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/575>, abgerufen am 22.12.2024.