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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

des Daches, unter dem die Schwalben nisten, vermodern die Mauern unge¬
stört, als habe der alte Krüppel endlich begriffen, daß seine Zeit um sei, als
warte er jetzt, in alte Erinnerungen versunken, nur auf seine völlige Auf¬
lösung.

Denn in frühern Zeiten war sein Name in ganz Jütland bekannt. Bon
Sallingland bis Hamburg gab es damals keinen wandernden Handwerks-
burschen, der sich nicht einen ehrlichen Rausch im Balderöder Fährkrug ange¬
trunken und die schmucken Schenkmädchen geküßt hatte.

In jenen Zeiten konnten sich, wenn der Wald fahrbar war, lange Reihen
von Wagen vor der Thür ansammeln, ganze Züge von Fuhrwerken: haus¬
hohe Frachtwagen mit einem Dach aus Segeltuch und einer Theerbütte zwischen
den Rädern, Schlächterkarren, Krümerwagen und gräfliche Kutschen, einer nach
dem andern bis weit in den Wald hinein, während vier Männer ohne Unter¬
brechung die Reisenden mit Prasum und großen Boten über den Bach setzten.
Und drinnen unter der verräucherten, wurmstichigen Eichendecke des Schenk¬
zimmers konnte man sich zu Zeiten kaum durchdrängen vor lammfellbekleideten
Fuhrleuten, in Pelzwerh gehüllten Prvbenreitern, bärtigen herrschaftlichen
Kutschern und Bauern mit silbernen Knöpfen, Spangenschuhen und saueren
Kniehosen.

Auch große Herden fetten Schlachtviehs, die damals südwärts nach Schleswig
getrieben wurden, pflegten sich des Abends um die Mauern des Kruges zu
lagern. Wiehernde Pferdetranspvrte -- fünfzehn, zwanzig Tiere in einer Reihe --
weither vom Limfjvrd und aus der Viborger Gegeud, zogen bei Tag und bei
Nacht über den morschen Steg, der damals an dem Echvwinkel vorüber¬
führte.

Am lebhaftesten war es aber im Spätherbst, wenn die großen Märkte in
den Prvvinzstüdten abgehalten wurden. Da konnte sich allmählich ein solches
Lager von Wagen, Leuten und Vieh auf dem nach dem Walde zu gelegnen,
abgeholzten Platz ansammeln, da vernahm man ein so wirres Durcheinander
von blökenden Lümmern, schreienden Kindern und verstimmten Leierkasten, daß
man glauben konnte, man befinde sich hier schon auf dem Marktplatze. Taschen¬
spieler und Bärenführer, die sich zufällig dem Zuge angeschlossen hatten, schlugen
ohne weiteres ihre Zelte unter den Bäumen auf. Und drinnen im Kruge
selber, der buchstäblich bis an den Dachstuhl vollgepfropft war, indem zwischen
den Dachsparren mit Streu und Brettern Nachtlager hergerichtet wurden,
saßen wohlbeleibte deutsche Pferdehändler mit fetten, glänzenden Nacken zu¬
sammen mit ihren kleinen jüdischen Kollegen aus Ungarn und Siebenbürgen,
schreiend und mit der Faust auf deu Tisch schlagend.

Zuweilen, wenn alle diese Leute, die oft tagelang darauf warten mußten,
bis an sie die Reihe kam, an das andre Ufer hinübergesetzt zu werden, allzu
heiße Köpfe bekommen hatten, konnte der Aufenthalt hier ganz gefährlich werden.


Junge Liebe

des Daches, unter dem die Schwalben nisten, vermodern die Mauern unge¬
stört, als habe der alte Krüppel endlich begriffen, daß seine Zeit um sei, als
warte er jetzt, in alte Erinnerungen versunken, nur auf seine völlige Auf¬
lösung.

Denn in frühern Zeiten war sein Name in ganz Jütland bekannt. Bon
Sallingland bis Hamburg gab es damals keinen wandernden Handwerks-
burschen, der sich nicht einen ehrlichen Rausch im Balderöder Fährkrug ange¬
trunken und die schmucken Schenkmädchen geküßt hatte.

In jenen Zeiten konnten sich, wenn der Wald fahrbar war, lange Reihen
von Wagen vor der Thür ansammeln, ganze Züge von Fuhrwerken: haus¬
hohe Frachtwagen mit einem Dach aus Segeltuch und einer Theerbütte zwischen
den Rädern, Schlächterkarren, Krümerwagen und gräfliche Kutschen, einer nach
dem andern bis weit in den Wald hinein, während vier Männer ohne Unter¬
brechung die Reisenden mit Prasum und großen Boten über den Bach setzten.
Und drinnen unter der verräucherten, wurmstichigen Eichendecke des Schenk¬
zimmers konnte man sich zu Zeiten kaum durchdrängen vor lammfellbekleideten
Fuhrleuten, in Pelzwerh gehüllten Prvbenreitern, bärtigen herrschaftlichen
Kutschern und Bauern mit silbernen Knöpfen, Spangenschuhen und saueren
Kniehosen.

Auch große Herden fetten Schlachtviehs, die damals südwärts nach Schleswig
getrieben wurden, pflegten sich des Abends um die Mauern des Kruges zu
lagern. Wiehernde Pferdetranspvrte — fünfzehn, zwanzig Tiere in einer Reihe —
weither vom Limfjvrd und aus der Viborger Gegeud, zogen bei Tag und bei
Nacht über den morschen Steg, der damals an dem Echvwinkel vorüber¬
führte.

Am lebhaftesten war es aber im Spätherbst, wenn die großen Märkte in
den Prvvinzstüdten abgehalten wurden. Da konnte sich allmählich ein solches
Lager von Wagen, Leuten und Vieh auf dem nach dem Walde zu gelegnen,
abgeholzten Platz ansammeln, da vernahm man ein so wirres Durcheinander
von blökenden Lümmern, schreienden Kindern und verstimmten Leierkasten, daß
man glauben konnte, man befinde sich hier schon auf dem Marktplatze. Taschen¬
spieler und Bärenführer, die sich zufällig dem Zuge angeschlossen hatten, schlugen
ohne weiteres ihre Zelte unter den Bäumen auf. Und drinnen im Kruge
selber, der buchstäblich bis an den Dachstuhl vollgepfropft war, indem zwischen
den Dachsparren mit Streu und Brettern Nachtlager hergerichtet wurden,
saßen wohlbeleibte deutsche Pferdehändler mit fetten, glänzenden Nacken zu¬
sammen mit ihren kleinen jüdischen Kollegen aus Ungarn und Siebenbürgen,
schreiend und mit der Faust auf deu Tisch schlagend.

Zuweilen, wenn alle diese Leute, die oft tagelang darauf warten mußten,
bis an sie die Reihe kam, an das andre Ufer hinübergesetzt zu werden, allzu
heiße Köpfe bekommen hatten, konnte der Aufenthalt hier ganz gefährlich werden.


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[0056] Junge Liebe des Daches, unter dem die Schwalben nisten, vermodern die Mauern unge¬ stört, als habe der alte Krüppel endlich begriffen, daß seine Zeit um sei, als warte er jetzt, in alte Erinnerungen versunken, nur auf seine völlige Auf¬ lösung. Denn in frühern Zeiten war sein Name in ganz Jütland bekannt. Bon Sallingland bis Hamburg gab es damals keinen wandernden Handwerks- burschen, der sich nicht einen ehrlichen Rausch im Balderöder Fährkrug ange¬ trunken und die schmucken Schenkmädchen geküßt hatte. In jenen Zeiten konnten sich, wenn der Wald fahrbar war, lange Reihen von Wagen vor der Thür ansammeln, ganze Züge von Fuhrwerken: haus¬ hohe Frachtwagen mit einem Dach aus Segeltuch und einer Theerbütte zwischen den Rädern, Schlächterkarren, Krümerwagen und gräfliche Kutschen, einer nach dem andern bis weit in den Wald hinein, während vier Männer ohne Unter¬ brechung die Reisenden mit Prasum und großen Boten über den Bach setzten. Und drinnen unter der verräucherten, wurmstichigen Eichendecke des Schenk¬ zimmers konnte man sich zu Zeiten kaum durchdrängen vor lammfellbekleideten Fuhrleuten, in Pelzwerh gehüllten Prvbenreitern, bärtigen herrschaftlichen Kutschern und Bauern mit silbernen Knöpfen, Spangenschuhen und saueren Kniehosen. Auch große Herden fetten Schlachtviehs, die damals südwärts nach Schleswig getrieben wurden, pflegten sich des Abends um die Mauern des Kruges zu lagern. Wiehernde Pferdetranspvrte — fünfzehn, zwanzig Tiere in einer Reihe — weither vom Limfjvrd und aus der Viborger Gegeud, zogen bei Tag und bei Nacht über den morschen Steg, der damals an dem Echvwinkel vorüber¬ führte. Am lebhaftesten war es aber im Spätherbst, wenn die großen Märkte in den Prvvinzstüdten abgehalten wurden. Da konnte sich allmählich ein solches Lager von Wagen, Leuten und Vieh auf dem nach dem Walde zu gelegnen, abgeholzten Platz ansammeln, da vernahm man ein so wirres Durcheinander von blökenden Lümmern, schreienden Kindern und verstimmten Leierkasten, daß man glauben konnte, man befinde sich hier schon auf dem Marktplatze. Taschen¬ spieler und Bärenführer, die sich zufällig dem Zuge angeschlossen hatten, schlugen ohne weiteres ihre Zelte unter den Bäumen auf. Und drinnen im Kruge selber, der buchstäblich bis an den Dachstuhl vollgepfropft war, indem zwischen den Dachsparren mit Streu und Brettern Nachtlager hergerichtet wurden, saßen wohlbeleibte deutsche Pferdehändler mit fetten, glänzenden Nacken zu¬ sammen mit ihren kleinen jüdischen Kollegen aus Ungarn und Siebenbürgen, schreiend und mit der Faust auf deu Tisch schlagend. Zuweilen, wenn alle diese Leute, die oft tagelang darauf warten mußten, bis an sie die Reihe kam, an das andre Ufer hinübergesetzt zu werden, allzu heiße Köpfe bekommen hatten, konnte der Aufenthalt hier ganz gefährlich werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/56>, abgerufen am 22.07.2024.