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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

leicht und lächeln furchtsam dem flüssige" Metall zu, das um ihre Weiße"
Leiber fließt. Plötzlich wirft sich eine mit schlanken Armen über die Fläche.
El" halb erstickter Schrei -- und alle tauche" aller die Wellen ""d walze"
sich in der Tiefe. Der Mond, der alte Tngendwüchter, spitzt verdächtig die
Ohren und lauscht, ob er nicht ferne Tritte vernehme. Eifrig späht er umher
in den Wäldern, als fürchte er, daß sich verborgne Feinde der entzückenden
Gruppe nahe", die er mit seine" Strahlen liebkost. Und immer neue Gestatte"
steige" vom Gruiide des Sees a"f, einige mit Schilf in dem langen, blonden
Haar, andre in leichte" Gewändern, aus dem Silbergespiust der Mondstrahlen
und seidenweichem Nachtnebel gewebt. Aber bei dem erste" Hahnenschrei, der
durch die Schlucht dringt, verschwindet das ganze Bild, und der Mond bleibt
einsam zurück mit seinem fahle", verdrießlichen Gesicht.


2

Einer der merkwürdigsten Pnnkte des Sees ist der sogenannte "Echo-
Winkel." Es ist daS el" langes, tintenschwarzes Gewässer, das hart a" der
Muse i" einen halbverdvrrten Fichtenwald einschneidet, und das seinen Namen
einem eigentümlichen, geheimnisvollen Gemurmel verdankt, das, wie man sagt,
jedem antwortet, der darüber hinrnft.

An dem schmalen, offenen Ende des Gewässers werden die Ufer durch einen
gewöhnlichen Steg verbunden, der auf ein paar grünlich schleimigen Pfählen
ruht, über die sich der Waldweg fortsetzt. Dieser führt, aus dem großen
Walde kommend, ein Stück um Rande des Sees entlang, ehe er in die Schlucht
einbiegt. Und gerade hier, halb im Schatten von vier hohen, schlanken, fast
kahlen Fichten, halb durch dies große Fenster des Thales schauend, liegt die
einzige menschliche Wohnung am See.

Es ist ein langes, braungestrichenes Gebäude, äußerst kümmerlich und zer¬
falle", mit winkligen Fachwerk aus Eichenholz, weißen Fensterrahme", flaschen¬
grünen Fensterscheiben und eine": alten, schiefgewachsene" Hollunderbusch, der
sich wie eine Tvtenhnnd, die den Greis mitleidig in den Mutterschoß der
Erde herabznziehe" sucht, über dem mit Rasen bedeckte Hanse wölbt. Das ist
der alte Fährkrug.

Seit die Brücke vor einem Jahrzehnt über den Abfluß des Sees gebaut
wurde, hat er seine Bedeutung völlig verloren. Die gelbe Postkutsche, die
Wagen der Küstenbewohner mit ihren niedrigen Rädern, ja selbst die Fuhr¬
leute und Pferdehändler rolle" schnell vorüber, ohne seiner zu achten, höchstens
werfen sie einen mitleidig lächelnde" Blick auf die beiden altmodischen Flaschen
mit Pomeranzen- und Pfeffermünzliqueur, die noch in dein Fenster neben der
Thür stehen.

Diese Thür, niedrig und verfallen wie sie ist, Pflegt denn auch bis tief
in den Tag hinein geschlossen zu sein. Und unter dem vorspringenden Rande


Junge Liebe

leicht und lächeln furchtsam dem flüssige» Metall zu, das um ihre Weiße»
Leiber fließt. Plötzlich wirft sich eine mit schlanken Armen über die Fläche.
El» halb erstickter Schrei — und alle tauche» aller die Wellen »»d walze»
sich in der Tiefe. Der Mond, der alte Tngendwüchter, spitzt verdächtig die
Ohren und lauscht, ob er nicht ferne Tritte vernehme. Eifrig späht er umher
in den Wäldern, als fürchte er, daß sich verborgne Feinde der entzückenden
Gruppe nahe», die er mit seine» Strahlen liebkost. Und immer neue Gestatte»
steige» vom Gruiide des Sees a»f, einige mit Schilf in dem langen, blonden
Haar, andre in leichte» Gewändern, aus dem Silbergespiust der Mondstrahlen
und seidenweichem Nachtnebel gewebt. Aber bei dem erste» Hahnenschrei, der
durch die Schlucht dringt, verschwindet das ganze Bild, und der Mond bleibt
einsam zurück mit seinem fahle», verdrießlichen Gesicht.


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Einer der merkwürdigsten Pnnkte des Sees ist der sogenannte „Echo-
Winkel." Es ist daS el» langes, tintenschwarzes Gewässer, das hart a» der
Muse i» einen halbverdvrrten Fichtenwald einschneidet, und das seinen Namen
einem eigentümlichen, geheimnisvollen Gemurmel verdankt, das, wie man sagt,
jedem antwortet, der darüber hinrnft.

An dem schmalen, offenen Ende des Gewässers werden die Ufer durch einen
gewöhnlichen Steg verbunden, der auf ein paar grünlich schleimigen Pfählen
ruht, über die sich der Waldweg fortsetzt. Dieser führt, aus dem großen
Walde kommend, ein Stück um Rande des Sees entlang, ehe er in die Schlucht
einbiegt. Und gerade hier, halb im Schatten von vier hohen, schlanken, fast
kahlen Fichten, halb durch dies große Fenster des Thales schauend, liegt die
einzige menschliche Wohnung am See.

Es ist ein langes, braungestrichenes Gebäude, äußerst kümmerlich und zer¬
falle», mit winkligen Fachwerk aus Eichenholz, weißen Fensterrahme», flaschen¬
grünen Fensterscheiben und eine»: alten, schiefgewachsene» Hollunderbusch, der
sich wie eine Tvtenhnnd, die den Greis mitleidig in den Mutterschoß der
Erde herabznziehe» sucht, über dem mit Rasen bedeckte Hanse wölbt. Das ist
der alte Fährkrug.

Seit die Brücke vor einem Jahrzehnt über den Abfluß des Sees gebaut
wurde, hat er seine Bedeutung völlig verloren. Die gelbe Postkutsche, die
Wagen der Küstenbewohner mit ihren niedrigen Rädern, ja selbst die Fuhr¬
leute und Pferdehändler rolle» schnell vorüber, ohne seiner zu achten, höchstens
werfen sie einen mitleidig lächelnde» Blick auf die beiden altmodischen Flaschen
mit Pomeranzen- und Pfeffermünzliqueur, die noch in dein Fenster neben der
Thür stehen.

Diese Thür, niedrig und verfallen wie sie ist, Pflegt denn auch bis tief
in den Tag hinein geschlossen zu sein. Und unter dem vorspringenden Rande


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[0055] Junge Liebe leicht und lächeln furchtsam dem flüssige» Metall zu, das um ihre Weiße» Leiber fließt. Plötzlich wirft sich eine mit schlanken Armen über die Fläche. El» halb erstickter Schrei — und alle tauche» aller die Wellen »»d walze» sich in der Tiefe. Der Mond, der alte Tngendwüchter, spitzt verdächtig die Ohren und lauscht, ob er nicht ferne Tritte vernehme. Eifrig späht er umher in den Wäldern, als fürchte er, daß sich verborgne Feinde der entzückenden Gruppe nahe», die er mit seine» Strahlen liebkost. Und immer neue Gestatte» steige» vom Gruiide des Sees a»f, einige mit Schilf in dem langen, blonden Haar, andre in leichte» Gewändern, aus dem Silbergespiust der Mondstrahlen und seidenweichem Nachtnebel gewebt. Aber bei dem erste» Hahnenschrei, der durch die Schlucht dringt, verschwindet das ganze Bild, und der Mond bleibt einsam zurück mit seinem fahle», verdrießlichen Gesicht. 2 Einer der merkwürdigsten Pnnkte des Sees ist der sogenannte „Echo- Winkel." Es ist daS el» langes, tintenschwarzes Gewässer, das hart a» der Muse i» einen halbverdvrrten Fichtenwald einschneidet, und das seinen Namen einem eigentümlichen, geheimnisvollen Gemurmel verdankt, das, wie man sagt, jedem antwortet, der darüber hinrnft. An dem schmalen, offenen Ende des Gewässers werden die Ufer durch einen gewöhnlichen Steg verbunden, der auf ein paar grünlich schleimigen Pfählen ruht, über die sich der Waldweg fortsetzt. Dieser führt, aus dem großen Walde kommend, ein Stück um Rande des Sees entlang, ehe er in die Schlucht einbiegt. Und gerade hier, halb im Schatten von vier hohen, schlanken, fast kahlen Fichten, halb durch dies große Fenster des Thales schauend, liegt die einzige menschliche Wohnung am See. Es ist ein langes, braungestrichenes Gebäude, äußerst kümmerlich und zer¬ falle», mit winkligen Fachwerk aus Eichenholz, weißen Fensterrahme», flaschen¬ grünen Fensterscheiben und eine»: alten, schiefgewachsene» Hollunderbusch, der sich wie eine Tvtenhnnd, die den Greis mitleidig in den Mutterschoß der Erde herabznziehe» sucht, über dem mit Rasen bedeckte Hanse wölbt. Das ist der alte Fährkrug. Seit die Brücke vor einem Jahrzehnt über den Abfluß des Sees gebaut wurde, hat er seine Bedeutung völlig verloren. Die gelbe Postkutsche, die Wagen der Küstenbewohner mit ihren niedrigen Rädern, ja selbst die Fuhr¬ leute und Pferdehändler rolle» schnell vorüber, ohne seiner zu achten, höchstens werfen sie einen mitleidig lächelnde» Blick auf die beiden altmodischen Flaschen mit Pomeranzen- und Pfeffermünzliqueur, die noch in dein Fenster neben der Thür stehen. Diese Thür, niedrig und verfallen wie sie ist, Pflegt denn auch bis tief in den Tag hinein geschlossen zu sein. Und unter dem vorspringenden Rande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/55>, abgerufen am 22.12.2024.