Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung zu zweifeln. Wir haben vielmehr alle möglichen Elemente zukünftiger Unruhe Es giebt verschiedne schlechte Grundlagen politischer Macht. Der Glaube Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung zu zweifeln. Wir haben vielmehr alle möglichen Elemente zukünftiger Unruhe Es giebt verschiedne schlechte Grundlagen politischer Macht. Der Glaube <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206547"/> <fw type="header" place="top"> Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1830" prev="#ID_1829"> zu zweifeln. Wir haben vielmehr alle möglichen Elemente zukünftiger Unruhe<lb/> und Erschütterung vor uns beisammen: nur ein kleiner Teil des Volkes, das<lb/> Militär, war es, das die Monarchie stürzte und die Republik ausrief; neben<lb/> den bürgerlichen Anhängern der letztern steht eine gewiß nicht kleine, besonders<lb/> unter der Kaufmannschaft und der besitzenden Klasse überhaupt stark vertretene<lb/> reaktionäre Partei, anf deren Ruf der Kaiser bereit ist, wieder zu erscheinen<lb/> und die Regierung von neuem anzutreten; dazu endlich die Wahrscheinlichkeiten,<lb/> die sich aus dem uustreitigeu Vorhandensein nebenbuhlerischer Generale ergeben,<lb/> die bereit sein werden, das Beispiel Fvnseeas in der Richtung gegen ihn nach¬<lb/> zuahmen und bei der ersten passenden Gelegenheit die Rolle eines Monk oder<lb/> eines Bonaparte zu spielen. Wir haben also Grund, Herrn Gladstones freu¬<lb/> digen Glückwunsch zu der friedlichen Entstehung Neubrasilieus als verfrüht<lb/> anzusehen. Es scheint ihm dabei wie 1862 ergangen zu sein, als er verkündigte,<lb/> Jefferson Davis, der jetzt verstorbene Präsident der Palmettorepublik, „habe<lb/> nicht bloß ein Heer und eine Kriegsflotte, sondern eine Nation geschaffen."<lb/> Man muß sich also hüten, wenn mau ein Staatsmann sein will, sich auf<lb/> Telegramme zu verlassen, namentlich wenn der Telegraph ausschließlich einer<lb/> Regierung zur Verfügung steht-</p><lb/> <p xml:id="ID_1831" next="#ID_1832"> Es giebt verschiedne schlechte Grundlagen politischer Macht. Der Glaube<lb/> an den Herrscherberuf einer Familie oder einer Volks klaffe kann gefährlich<lb/> werden, wenn der Inhaber der Gewalt unmündig, von Wahnsinn verblendet<lb/> oder ein Schwachkopf ist. Das Vertrauen auf die Klugheit der großen Masse<lb/> aber, die in politischen Fragen stets ohne rechte Kenntnis der Dinge, ohne<lb/> richtiges Urteil über deren Ursachen und Folgen ist und sich durch Redens¬<lb/> arten leicht bethören läßt, hat zu allen Zeiten und uuter allen Umständen die<lb/> Völker in die Irre und zuletzt zu schrecklichen Katastrophen geführt. Doch<lb/> finden die beiden extremen Formen des Regierens, der Absolutismus und die<lb/> Demokratie, doch zuweilen dadurch eine Ausgleichung, daß ein großer Monarch<lb/> auf die Bühne tritt, oder daß sich hochsinnige Gedanken und Bestrebungen<lb/> reformirend, aufklärend, segenbringend und befreiend über das Land verbreiten.<lb/> Wo es dagegen zur Gewohnheit wird, daß die Führer der bewaffneten Macht<lb/> sich in die politischen Angelegenheiten mengen und dabei den Ausschlag geben,<lb/> ist es stets verhängnisvoll für das Gedeihen des betreffenden Staates gewesen.<lb/> Es führte allmählich zum Verderben des altrömischen Reiches, bis die Kaiser¬<lb/> würde zuletzt von den Prätorinnern versteigert und dem zugeschlagen wurde,<lb/> der das höchste Gebot that. Es machte in der Türkei die Janitscharen, in<lb/> Ägypten die Mamelucken zu Gebietern des Volkes und seiner Regenten. Es<lb/> demoralisirte in Spanien die Armee und die Politik aufs ärgste. Es ver¬<lb/> wandelte Mexiko und die kleinern Staaten des einst spanischen Amerikas in<lb/> Theater, auf denen sich unablässig bald blutige, bald lächerliche Meutereien<lb/> abspielten, die oft wahre Scheltsale, bisweilen auch wahre Karikaturen zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0548]
Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung
zu zweifeln. Wir haben vielmehr alle möglichen Elemente zukünftiger Unruhe
und Erschütterung vor uns beisammen: nur ein kleiner Teil des Volkes, das
Militär, war es, das die Monarchie stürzte und die Republik ausrief; neben
den bürgerlichen Anhängern der letztern steht eine gewiß nicht kleine, besonders
unter der Kaufmannschaft und der besitzenden Klasse überhaupt stark vertretene
reaktionäre Partei, anf deren Ruf der Kaiser bereit ist, wieder zu erscheinen
und die Regierung von neuem anzutreten; dazu endlich die Wahrscheinlichkeiten,
die sich aus dem uustreitigeu Vorhandensein nebenbuhlerischer Generale ergeben,
die bereit sein werden, das Beispiel Fvnseeas in der Richtung gegen ihn nach¬
zuahmen und bei der ersten passenden Gelegenheit die Rolle eines Monk oder
eines Bonaparte zu spielen. Wir haben also Grund, Herrn Gladstones freu¬
digen Glückwunsch zu der friedlichen Entstehung Neubrasilieus als verfrüht
anzusehen. Es scheint ihm dabei wie 1862 ergangen zu sein, als er verkündigte,
Jefferson Davis, der jetzt verstorbene Präsident der Palmettorepublik, „habe
nicht bloß ein Heer und eine Kriegsflotte, sondern eine Nation geschaffen."
Man muß sich also hüten, wenn mau ein Staatsmann sein will, sich auf
Telegramme zu verlassen, namentlich wenn der Telegraph ausschließlich einer
Regierung zur Verfügung steht-
Es giebt verschiedne schlechte Grundlagen politischer Macht. Der Glaube
an den Herrscherberuf einer Familie oder einer Volks klaffe kann gefährlich
werden, wenn der Inhaber der Gewalt unmündig, von Wahnsinn verblendet
oder ein Schwachkopf ist. Das Vertrauen auf die Klugheit der großen Masse
aber, die in politischen Fragen stets ohne rechte Kenntnis der Dinge, ohne
richtiges Urteil über deren Ursachen und Folgen ist und sich durch Redens¬
arten leicht bethören läßt, hat zu allen Zeiten und uuter allen Umständen die
Völker in die Irre und zuletzt zu schrecklichen Katastrophen geführt. Doch
finden die beiden extremen Formen des Regierens, der Absolutismus und die
Demokratie, doch zuweilen dadurch eine Ausgleichung, daß ein großer Monarch
auf die Bühne tritt, oder daß sich hochsinnige Gedanken und Bestrebungen
reformirend, aufklärend, segenbringend und befreiend über das Land verbreiten.
Wo es dagegen zur Gewohnheit wird, daß die Führer der bewaffneten Macht
sich in die politischen Angelegenheiten mengen und dabei den Ausschlag geben,
ist es stets verhängnisvoll für das Gedeihen des betreffenden Staates gewesen.
Es führte allmählich zum Verderben des altrömischen Reiches, bis die Kaiser¬
würde zuletzt von den Prätorinnern versteigert und dem zugeschlagen wurde,
der das höchste Gebot that. Es machte in der Türkei die Janitscharen, in
Ägypten die Mamelucken zu Gebietern des Volkes und seiner Regenten. Es
demoralisirte in Spanien die Armee und die Politik aufs ärgste. Es ver¬
wandelte Mexiko und die kleinern Staaten des einst spanischen Amerikas in
Theater, auf denen sich unablässig bald blutige, bald lächerliche Meutereien
abspielten, die oft wahre Scheltsale, bisweilen auch wahre Karikaturen zu
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