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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

einen etwas griißern Kraftaufwand der Sprachwerkzeuge; die Formen auf --kam
und --ren entstehen durch schlaffere Aussprache und haben etwas "uschöu
weichliches. Genan dasselbe aber ist es bei den genannten Adjektiven. In
ganz Deutschland, in allen Büchern und Zeitungen druckt man die häßlichen,
weichlichen Formen: unsres Volkes, des üblen Rufes, die ältren Ausgaben,
mit andren Mitteln, und doch spricht fast alle Welt: unsers Volkes, des
Übeln Rufes, die ältern Ausgaben, mit andern Mitteln. Man druckt ja
nicht: die Eltren. Die werden doch überall richtig Eltern gedruckt, warum
also nicht auch: die älter"? Beides ist doch dasselbe.

Auch in der Steigerung der Adjektiva fehlt es nicht an Dummheiten,
die sich großer Beliebtheit erfreuen. Einfache Begriffe, wie groß oder
hoch, werden jetzt durch allerhand schwülstige Zusammensetzungen umschrieben,
wie hochgradig, tiefgehend, weitgehend, weittragend n. a. Große
Erregung, hohes Fieber -- pfui, wer wird sich so gewöhnlich ausdrücken!
Hochgradige Erregung, hochgradiges Fieber schreibt der gerechte und
vollkommne Zeitungsschreiber. Wenn diese schwülstigen Bildungen nun in die
Steigerungsgrade gesetzt werden sollen, was dann? Heißt es tiefergehende
Anregungen oder tiefgehendere? von weitesttrngender Bedentmig oder weit¬
tragendster? Das Richtige ist natürlich das erstere; aber das Falsche muß
man alle Tage lesen, und schon kann man doch l'eins von beiden nennen.
Noch schlimmer sind die jetzt so beliebten doppelten Superlative: die best¬
eingerichtetsten Posten, die bestbewährtesten Fabrikate, der feinstlaubigstc
Kohlrabi (statt der best eingerichteten oder der bewährtesten). Für so gut
als möglich kann man auch.kurz sagen: möglichst gut. Wie muß dieser
Ausdruck sich mißhandeln lassen! Die einen bringen den Superlativ an die
falsche Stelle und sagen bestmöglich -- was vollständiger Unsinn ist, denn
?s soll ja nicht die höchste Güte, sondern die Güte in dem höchsten Grade der
jeweiligen Möglichkeit ausgedrückt werden; andre wissen sich auch hier nicht
genug zu thun und rücken wieder mit dem doppelten Superlativ bestmög¬
lichst an! Im übrigen steigert man ja die Adjektiva durch sehr, überaus,
ungemein, außerordentlich, äußerst, höchst, in hohem Grade, un¬
glaublich u. s. w. - unsre Sprache hat einen großen Vorrat von Wör¬
tern und Wendungen, womit sie die immer schlimmer werdende Neigung, stark
aufzutragen, zu übertreiben, unterstützt. Aber auch hier ist neuerdings eine
ganz besondre Dummheit aufgekommen und hat reißend schnell um sich ge¬
griffen: die Bezeichnung eines hohen Grades dnrch das Adverbium selten:
em selten tüchtiger Fachmann, eine selten günstige Kapitalanlage, ein
Mädchen von selten gutem Charakter. Daß mit solchen angeblichen Super¬
lativen gerade das Gegenteil von dem gesagt wird, was gesagt werden soll,
davon scheine" die selten klugen Leute, die dieses selten immer im Munde
führen, leine Ahnung z" habe".


Allerhand Sprachdummheiten

einen etwas griißern Kraftaufwand der Sprachwerkzeuge; die Formen auf —kam
und —ren entstehen durch schlaffere Aussprache und haben etwas «uschöu
weichliches. Genan dasselbe aber ist es bei den genannten Adjektiven. In
ganz Deutschland, in allen Büchern und Zeitungen druckt man die häßlichen,
weichlichen Formen: unsres Volkes, des üblen Rufes, die ältren Ausgaben,
mit andren Mitteln, und doch spricht fast alle Welt: unsers Volkes, des
Übeln Rufes, die ältern Ausgaben, mit andern Mitteln. Man druckt ja
nicht: die Eltren. Die werden doch überall richtig Eltern gedruckt, warum
also nicht auch: die älter»? Beides ist doch dasselbe.

Auch in der Steigerung der Adjektiva fehlt es nicht an Dummheiten,
die sich großer Beliebtheit erfreuen. Einfache Begriffe, wie groß oder
hoch, werden jetzt durch allerhand schwülstige Zusammensetzungen umschrieben,
wie hochgradig, tiefgehend, weitgehend, weittragend n. a. Große
Erregung, hohes Fieber — pfui, wer wird sich so gewöhnlich ausdrücken!
Hochgradige Erregung, hochgradiges Fieber schreibt der gerechte und
vollkommne Zeitungsschreiber. Wenn diese schwülstigen Bildungen nun in die
Steigerungsgrade gesetzt werden sollen, was dann? Heißt es tiefergehende
Anregungen oder tiefgehendere? von weitesttrngender Bedentmig oder weit¬
tragendster? Das Richtige ist natürlich das erstere; aber das Falsche muß
man alle Tage lesen, und schon kann man doch l'eins von beiden nennen.
Noch schlimmer sind die jetzt so beliebten doppelten Superlative: die best¬
eingerichtetsten Posten, die bestbewährtesten Fabrikate, der feinstlaubigstc
Kohlrabi (statt der best eingerichteten oder der bewährtesten). Für so gut
als möglich kann man auch.kurz sagen: möglichst gut. Wie muß dieser
Ausdruck sich mißhandeln lassen! Die einen bringen den Superlativ an die
falsche Stelle und sagen bestmöglich — was vollständiger Unsinn ist, denn
?s soll ja nicht die höchste Güte, sondern die Güte in dem höchsten Grade der
jeweiligen Möglichkeit ausgedrückt werden; andre wissen sich auch hier nicht
genug zu thun und rücken wieder mit dem doppelten Superlativ bestmög¬
lichst an! Im übrigen steigert man ja die Adjektiva durch sehr, überaus,
ungemein, außerordentlich, äußerst, höchst, in hohem Grade, un¬
glaublich u. s. w. - unsre Sprache hat einen großen Vorrat von Wör¬
tern und Wendungen, womit sie die immer schlimmer werdende Neigung, stark
aufzutragen, zu übertreiben, unterstützt. Aber auch hier ist neuerdings eine
ganz besondre Dummheit aufgekommen und hat reißend schnell um sich ge¬
griffen: die Bezeichnung eines hohen Grades dnrch das Adverbium selten:
em selten tüchtiger Fachmann, eine selten günstige Kapitalanlage, ein
Mädchen von selten gutem Charakter. Daß mit solchen angeblichen Super¬
lativen gerade das Gegenteil von dem gesagt wird, was gesagt werden soll,
davon scheine» die selten klugen Leute, die dieses selten immer im Munde
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/525>, abgerufen am 22.12.2024.