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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der vcrfassungssireit in Preuße"

wohnen. Wir köniren daher das Hans der Abgeordneten nnr ermahnen n, f. w."
Hierauf richtete die Mehrheit des Hauses (239 gegen l>1 Stiimnen) eine Adresse
an den König, die ihrem Inhalt und Töne nach nnr als unverschämt be¬
zeichnet werden kann. Einige der stärksten Stellen darin lautem "Die Minister
Ew. Majestät haben wider den Wortlaut der Verfassung ihr Erscheinen ab¬
hängig gemacht von der unmöglichen Bedingung u. s. w. Die Minister Ew.
Majestät fahren fort, verfassungswidrige Grundsätze offen auszusprechen und
zu bethätige". Die Hoffnungen ans Wiederherstellung der Macht und Einheit
Deutschlands hatten sich von neuem belebt. Die gegenwärtigen Minister Ew.
Majestät haben diese Erwartungen getäuscht. Das Hans der Abgeordneten
hat kein Mittel der Verständigung mehr mit diesem Ministerium; es lehnt
seine Mitwirkung zu der gegenwärtigen Politik der Regierung ab. Zwischen
den Ratgebern der Krone und dem Lande besteht eine Kluft, welche nicht anders
als durch einen Wechsel der Personen und mehr "och durch einen Wechsel
des Systems ausgefüllt werde" wird. Das Land verlangt vor allem die volle
Achtung seines verfassungsmäßigen Rechtes. Die wichtigsten Rechte der Volks¬
vertretung sind mißachet und verletzt. Vergeblich harrt das Land der in der
Verfassung verheißenen Gesetze n. s. w." Ob mich damals wieder keiner der
Herren auf den Gedanken gekommen ist, daß alle diese unerhörten Vorwürfe,
die gegen die Regierung geschleudert wurden, schließlich den König trafen?
Entweder waren alle die angeblichen Verfnssnugsverletzuugeu und Rechtsbrüche
mit Vorwissen und Genehmigung des Monarchen geschehen; dann war er,
wenn auch uicht gesetzlich, strafrechtlich, so doch moralisch in erster Linie dasür
verantwortlich. Oder aber das alles war vorgegangen, ohne daß es der Herrscher
wußte, merkte oder sich darüber kümmerte. Das letztre scheinen die Herren,
die die "tiefste Ehrfurcht" vor dem Könige beständig im Munde führten, haben
andeuten zu wollen, wenn sie in dem Schriftstücke zweimal ausgesprochen,
daß dem Könige "die Verhandlungen und die Absichten des Hauses nicht
wahrheitsgetreu vorgetragen" worden seien. Darin liegt aber doch nichts
andres als: der König ist entweder zu nachlässig und zu gleichgiltig, sich um
die wichtigste" Vorgänge im Staatslebe" zu kümmern, und giebt sich nicht die
Mühe, sich wahrheitsgemäße Berichte zu verschaffe", oder! der König ist nicht
fähig, Wahres von Falschen zu unterscheiden, und ist leichtgläubig genug, sich
von seinen Ministern alles aufbinden zu lassen. In beiden Fällen eine so
schwere Beleidigung, wie sie nur gedacht werde" kaun.

Der König lehnte natürlich eine persönliche Eutgegenuahme des Mach¬
werkes ab und antwortete dem Abgeordnetenhause wieder in seinem eignen
Namen, ohne die Gegenzeichnung eines seiner Minister. Leider ist das Schreiben
zu umfangreich, als daß hier auch mir die Hauptstellen angeführt werden könnten.
Wer sich aber darüber unterrichten will, welche Stellung König Wilhelm dem
Konflikte gegenüber einnahm, der versäume es nicht, dieses Muster und Denkmal


Der vcrfassungssireit in Preuße»

wohnen. Wir köniren daher das Hans der Abgeordneten nnr ermahnen n, f. w."
Hierauf richtete die Mehrheit des Hauses (239 gegen l>1 Stiimnen) eine Adresse
an den König, die ihrem Inhalt und Töne nach nnr als unverschämt be¬
zeichnet werden kann. Einige der stärksten Stellen darin lautem „Die Minister
Ew. Majestät haben wider den Wortlaut der Verfassung ihr Erscheinen ab¬
hängig gemacht von der unmöglichen Bedingung u. s. w. Die Minister Ew.
Majestät fahren fort, verfassungswidrige Grundsätze offen auszusprechen und
zu bethätige». Die Hoffnungen ans Wiederherstellung der Macht und Einheit
Deutschlands hatten sich von neuem belebt. Die gegenwärtigen Minister Ew.
Majestät haben diese Erwartungen getäuscht. Das Hans der Abgeordneten
hat kein Mittel der Verständigung mehr mit diesem Ministerium; es lehnt
seine Mitwirkung zu der gegenwärtigen Politik der Regierung ab. Zwischen
den Ratgebern der Krone und dem Lande besteht eine Kluft, welche nicht anders
als durch einen Wechsel der Personen und mehr »och durch einen Wechsel
des Systems ausgefüllt werde» wird. Das Land verlangt vor allem die volle
Achtung seines verfassungsmäßigen Rechtes. Die wichtigsten Rechte der Volks¬
vertretung sind mißachet und verletzt. Vergeblich harrt das Land der in der
Verfassung verheißenen Gesetze n. s. w." Ob mich damals wieder keiner der
Herren auf den Gedanken gekommen ist, daß alle diese unerhörten Vorwürfe,
die gegen die Regierung geschleudert wurden, schließlich den König trafen?
Entweder waren alle die angeblichen Verfnssnugsverletzuugeu und Rechtsbrüche
mit Vorwissen und Genehmigung des Monarchen geschehen; dann war er,
wenn auch uicht gesetzlich, strafrechtlich, so doch moralisch in erster Linie dasür
verantwortlich. Oder aber das alles war vorgegangen, ohne daß es der Herrscher
wußte, merkte oder sich darüber kümmerte. Das letztre scheinen die Herren,
die die „tiefste Ehrfurcht" vor dem Könige beständig im Munde führten, haben
andeuten zu wollen, wenn sie in dem Schriftstücke zweimal ausgesprochen,
daß dem Könige „die Verhandlungen und die Absichten des Hauses nicht
wahrheitsgetreu vorgetragen" worden seien. Darin liegt aber doch nichts
andres als: der König ist entweder zu nachlässig und zu gleichgiltig, sich um
die wichtigste» Vorgänge im Staatslebe» zu kümmern, und giebt sich nicht die
Mühe, sich wahrheitsgemäße Berichte zu verschaffe», oder! der König ist nicht
fähig, Wahres von Falschen zu unterscheiden, und ist leichtgläubig genug, sich
von seinen Ministern alles aufbinden zu lassen. In beiden Fällen eine so
schwere Beleidigung, wie sie nur gedacht werde» kaun.

Der König lehnte natürlich eine persönliche Eutgegenuahme des Mach¬
werkes ab und antwortete dem Abgeordnetenhause wieder in seinem eignen
Namen, ohne die Gegenzeichnung eines seiner Minister. Leider ist das Schreiben
zu umfangreich, als daß hier auch mir die Hauptstellen angeführt werden könnten.
Wer sich aber darüber unterrichten will, welche Stellung König Wilhelm dem
Konflikte gegenüber einnahm, der versäume es nicht, dieses Muster und Denkmal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/509>, abgerufen am 22.12.2024.