Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Eine internationale parlamentarische Geschäftsordnung. In ver- Erwiderung. Wenn ich zu der an der Spitze dieses Heftes stehenden Ent¬ Gek c> G erlaub Maßgebliches und Unmaßgebliches Eine internationale parlamentarische Geschäftsordnung. In ver- Erwiderung. Wenn ich zu der an der Spitze dieses Heftes stehenden Ent¬ Gek c> G erlaub <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206491"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> Eine internationale parlamentarische Geschäftsordnung.</head> <p xml:id="ID_1696"> In ver-<lb/> schiednen Volksvertretungen ertönt gellend der Wehruf, die Redefreiheit werde ein¬<lb/> geschränkt, die Würde des Parlaments verletzt — beides „wie noch nie!" Von<lb/> sonst gut unterrichteter Seite, wie die Zeitungen sagen, um anzudeuten, daß sie<lb/> sich über die Glaubwürdigkeit einer Nachricht keiner Täuschung hingeben , kommt<lb/> uns nun die Mitteilung, daß in den Weihnachtsferien eine Anzahl der gewiegtesten<lb/> Parlamentarier, namentlich aus Deutschland, Italien, Ungarn, Böhmen, Frankreich,<lb/> Dänemark, Norwegen u. s. w., zusammentreten werde, um eine internationale Ge¬<lb/> schäftsordnung zu beraten, durch die dem jetzigen unerträglichen Zustande ein Ende<lb/> gemacht werden soll. Über die wichtigsten Bestimmungen soll bereits brieflich volle<lb/> Einigung erzielt worden sein. Nämlich: Minister dürfen in einem Parlament nur<lb/> das Wort nehmen, wenn sie von einem oppositionellen Abgeordneten gefragt werden.<lb/> Die Antwort muß sich streng ans den Gegenstand der Frage beschränken und in<lb/> bescheidnen Tone vorgetragen werden. Erklärt der Interpellant die Antwort für<lb/> unbefriedigend, so hat der Minister eine andre zu geben. Sieht sich ein oppo¬<lb/> sitioneller Abgeordneter veranlaßt, einem Regierungsvertreter eine Rüge zu erteilen,<lb/> so hat dieser sich höflich zu bebauten und Besserung zu geloben. Um bei Er¬<lb/> teilung des Ordnungsrufes jede Willkür unmöglich zu machen, wird in Zukunft der<lb/> Präsident einen solchen nur dann aussprechen, wenn ihm ein Führer der Oppo¬<lb/> sition den „diesbezüglichen" Auftrag erteilt. Alle Staatsschriften, Gesandtschafts¬<lb/> berichte, Erlasse u. s. w. sind zuerst den Führern der Opposition zu überliefern,<lb/> die sie mit ihren Bemerkungen versehen und bestimmen, ob und in welcher Aus¬<lb/> dehnung die Schriftstücke den oppositionellen Zeitungen mitzuteilen sind; Regiernngs-<lb/> organe dürfen sie diesen entnehmen. Die barbarische Maßregel der Räumung<lb/> der Galerie wird für immer abgeschafft.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Erwiderung.</head> <p xml:id="ID_1697"> Wenn ich zu der an der Spitze dieses Heftes stehenden Ent¬<lb/> gegnung mir einige Worte hinzuzufügen erlaube, so geschieht dies vor allem, um<lb/> die Liebenswürdigkeit des von Loening angeschlagenen Tones dankbar anzuerkennen,<lb/> und um meiner Freude darüber Ausdruck zu geben, daß das Publikum durch diese<lb/> Entgegnung von neuem auf die wertvolle Schrift Loenings aufmerksam gemacht<lb/> wird. Ich habe, dem Charakter der Grenzboten entsprechend, nicht eine wissen¬<lb/> schaftliche Kritik des Loeningschen Buches, sondern nur in Anlehnung an das Buch<lb/> eine freie Erörterung der strafrechtlichen Verantwortung des Redakteurs geben<lb/> »vollen, wie ich dies auch in meinem Aufsatz ausgesprochen zu haben glaube. Des¬<lb/> halb hielt ich es auch nicht für erforderlich, was bei einer streng wissenschaftlichen<lb/> Kritik allerdings erforderlich gewesen wäre, alle einzelnen Punkte, in denen meine<lb/> Darstellung von der Loenings abweicht, genan anzugeben. Was den materiellen<lb/> Inhalt anlangt, so gehen wir von zu verschiednen Gesichtspunkten aus, um unsre<lb/> Ansichten vereinigen zu können : Loening vertritt den theoretischen, ich vertrete den<lb/> praktischen Standpunkt, beide Anschauungen können sich aber, wie ich auch in<lb/> meinem Aufsatze sagte, gegenseitig zur Förderung gereichen. Einen Grund, wes¬<lb/> halb die Grundsätze der reinen Theorie in der Praxis befolgt werden müssen, kann<lb/> ich nicht einsehen; ich glaube im Gegenteil, daß gerade in der Rechts wie in der<lb/> Staatswissenschaft in den letzten Jahrzehnten die Praxis der Theorie zu viel nach¬<lb/> gegeben habe und ein Zurückgreifen der letztern ans das praktische Leben wünschens¬<lb/> wert sei.</p><lb/> <note type="byline"> Gek c> G erlaub</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Eine internationale parlamentarische Geschäftsordnung. In ver-
schiednen Volksvertretungen ertönt gellend der Wehruf, die Redefreiheit werde ein¬
geschränkt, die Würde des Parlaments verletzt — beides „wie noch nie!" Von
sonst gut unterrichteter Seite, wie die Zeitungen sagen, um anzudeuten, daß sie
sich über die Glaubwürdigkeit einer Nachricht keiner Täuschung hingeben , kommt
uns nun die Mitteilung, daß in den Weihnachtsferien eine Anzahl der gewiegtesten
Parlamentarier, namentlich aus Deutschland, Italien, Ungarn, Böhmen, Frankreich,
Dänemark, Norwegen u. s. w., zusammentreten werde, um eine internationale Ge¬
schäftsordnung zu beraten, durch die dem jetzigen unerträglichen Zustande ein Ende
gemacht werden soll. Über die wichtigsten Bestimmungen soll bereits brieflich volle
Einigung erzielt worden sein. Nämlich: Minister dürfen in einem Parlament nur
das Wort nehmen, wenn sie von einem oppositionellen Abgeordneten gefragt werden.
Die Antwort muß sich streng ans den Gegenstand der Frage beschränken und in
bescheidnen Tone vorgetragen werden. Erklärt der Interpellant die Antwort für
unbefriedigend, so hat der Minister eine andre zu geben. Sieht sich ein oppo¬
sitioneller Abgeordneter veranlaßt, einem Regierungsvertreter eine Rüge zu erteilen,
so hat dieser sich höflich zu bebauten und Besserung zu geloben. Um bei Er¬
teilung des Ordnungsrufes jede Willkür unmöglich zu machen, wird in Zukunft der
Präsident einen solchen nur dann aussprechen, wenn ihm ein Führer der Oppo¬
sition den „diesbezüglichen" Auftrag erteilt. Alle Staatsschriften, Gesandtschafts¬
berichte, Erlasse u. s. w. sind zuerst den Führern der Opposition zu überliefern,
die sie mit ihren Bemerkungen versehen und bestimmen, ob und in welcher Aus¬
dehnung die Schriftstücke den oppositionellen Zeitungen mitzuteilen sind; Regiernngs-
organe dürfen sie diesen entnehmen. Die barbarische Maßregel der Räumung
der Galerie wird für immer abgeschafft.
Erwiderung. Wenn ich zu der an der Spitze dieses Heftes stehenden Ent¬
gegnung mir einige Worte hinzuzufügen erlaube, so geschieht dies vor allem, um
die Liebenswürdigkeit des von Loening angeschlagenen Tones dankbar anzuerkennen,
und um meiner Freude darüber Ausdruck zu geben, daß das Publikum durch diese
Entgegnung von neuem auf die wertvolle Schrift Loenings aufmerksam gemacht
wird. Ich habe, dem Charakter der Grenzboten entsprechend, nicht eine wissen¬
schaftliche Kritik des Loeningschen Buches, sondern nur in Anlehnung an das Buch
eine freie Erörterung der strafrechtlichen Verantwortung des Redakteurs geben
»vollen, wie ich dies auch in meinem Aufsatz ausgesprochen zu haben glaube. Des¬
halb hielt ich es auch nicht für erforderlich, was bei einer streng wissenschaftlichen
Kritik allerdings erforderlich gewesen wäre, alle einzelnen Punkte, in denen meine
Darstellung von der Loenings abweicht, genan anzugeben. Was den materiellen
Inhalt anlangt, so gehen wir von zu verschiednen Gesichtspunkten aus, um unsre
Ansichten vereinigen zu können : Loening vertritt den theoretischen, ich vertrete den
praktischen Standpunkt, beide Anschauungen können sich aber, wie ich auch in
meinem Aufsatze sagte, gegenseitig zur Förderung gereichen. Einen Grund, wes¬
halb die Grundsätze der reinen Theorie in der Praxis befolgt werden müssen, kann
ich nicht einsehen; ich glaube im Gegenteil, daß gerade in der Rechts wie in der
Staatswissenschaft in den letzten Jahrzehnten die Praxis der Theorie zu viel nach¬
gegeben habe und ein Zurückgreifen der letztern ans das praktische Leben wünschens¬
wert sei.
Gek c> G erlaub
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