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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das erste Amtsjahr des neuen Pfarrers

Aber schon der nächste Morgen bringt ihm eine kleine Abkühlung, als die
stattliche Zahl von Lidern bekannt wird, die die fröhliche Gesellschaft des letzten
Abends "auf sein Wohl" bezwungen hat. Schweigend zahlt er dem freundlichen
Gastwirte die harten Thaler auf den Tisch. Doch was schadet das schließlich?
Er tröstet sich: "Die Stelle gehört ja zu den bessern im Lande." Und zu Anfange
darf man sich jn nicht lumpen lassen! Trotz alledem bleibt eine unangenehme Er¬
innerung zurück, die von Enttäuschung und Beschämung nicht frei ist.

Doch bringen die nächsten Tage bis zum Sonntage der Einführung "eben der
mancherlei Unruhe im Hause, die das unvermeidliche Zurüsten, Kuchenbäcker, u. s. w.
im Gefolge hat, nnr Gutes. Schmunzelnd erscheint der Metzger mit seiner schwere"
Last Fleisch; schmunzelnd streicht er sein Geld ein und weiß durch seine Dankes¬
worte durchblicken zu lassen, wie die frühere Pfarrersfamilie ihm doch gar zu wenig
zu verdienen gegeben habe. Auch an Lobsprüchen für den Gatten der geschäftigen
jungen Frau Pfarrerin festes dabei nicht. Der junge Pfarrer sei -- das hätten
alle Leute sogleich gemerkt -- denn doch ein ganz andrer Mann als der alte Herr
von ehedem n. dergl. in. Ähnliches wissen auch die Nachbarinnen zu rühmen, die
im übrigen recht fleißig im Pfarrhause vorsprechen, anch unaufgefordert ihre guten
Ratschläge geben, die Einrichtung der Wohnung und die festlichen Speisen besichtigen
und prüfen. Außerordentlich teilnehmend erkundigen sie sich uoch überdies bei der
offenherzigen jungen Frau "ach allerlei, selbst nach Dingen, die, nach deren Meinung,
sie eigentlich nichts angehen. Dabei berichten sie allerlei Neuigkeiten aus dem Dorfe,
warnen vor diesem und vor jener.

So kommt denn der Sonntag der Einführung. Es erscheint der Dekan, eine
ehrwürdige Greisengestalt, mit seineu zwei Assistenten, zugleich mit ihnen die Kirchen¬
vorstände aus dem Dorfe und den eingepfarrten Ortschaften und die lauge Schar
der Vertreter der Kirchengemeinde. Ein näheres Bekanntwerden mit den geistlichen
Kollegen außer durch die allgemeinsten Höflichkeitsbezeugungen ist vor der Hand
unmöglich. Jn feierlichem Zuge gehts zur Kirche. Die erste Predigt im neuen
Amte wird von dem jungen Seelsorger mit Zagen, aber mit freudigem Bertrauen
ans Gottes Hilfe gehalten, die drei ältern Kollegen reden noch ihm ans langjähriger
Erfahrung heraus zu seinem Herzen. Fast will es scheinen, als ob anch dnrch ihre
wohlgemeinten Worte ein ernsterer Ton der Warnung vor zu großen Erwartungen
klinge. Nach dem Gottesdienste ist allgemeiner Schmaus im Pfarrhause. So will
es die alte Unsitte, statt daß die Gemeinde ihrem, neuen Hirten das Mahl zurichtete,
wie es schöner Brauch anderwärts ist, z. V. im Rheinlande. Heikle fehlt keins
der Mitglieder der zwei Gemeindeorgane von hier und von auswärts, auch sonst
sind "och einige Ortsgenossen geladen, die sich dem jungen Paare beim Einzuge
gefällig erwiesen haben. Auch jetzt ist abermals ein Bekanntwerden mit den drei
Kollegen unmöglich.^ Die bäuerlichen Gäste weichen und wanken nicht, ihre Augen
und Ohren stehen weit offen. Endlich ist auch der Schmaus überstanden. Aber¬
mals -- diesmal schon mit etwas weniger Gleichmut -- muß eine lange Rechnung
bezahlt werden. Doch auch hier hilft der Humor über die trübere Stimmung
hinweg: "Die Stelle gehört ja zu den bessern im Lande!" Auch giebts wieder
allerlei im Hause und Amte zu ordnen und zu erledigen, sodaß der unwillkürliche
Gedanke, es sei deu Leute" auch wohl mehr ums Essen und Trinken als um den
neue" Pfarrer zu thun gewesen, zurücktritt.

Während der nächsten Tage bildet aber dieses Mahl den Hauptgesprächsstoff
für das ganze Dorf einschließlich der Nachbarschaft. Dem einen ists zu fein her¬
gegangen, der andre ist nicht oft genug genötigt worden, der dritte hat sich die


Das erste Amtsjahr des neuen Pfarrers

Aber schon der nächste Morgen bringt ihm eine kleine Abkühlung, als die
stattliche Zahl von Lidern bekannt wird, die die fröhliche Gesellschaft des letzten
Abends „auf sein Wohl" bezwungen hat. Schweigend zahlt er dem freundlichen
Gastwirte die harten Thaler auf den Tisch. Doch was schadet das schließlich?
Er tröstet sich: „Die Stelle gehört ja zu den bessern im Lande." Und zu Anfange
darf man sich jn nicht lumpen lassen! Trotz alledem bleibt eine unangenehme Er¬
innerung zurück, die von Enttäuschung und Beschämung nicht frei ist.

Doch bringen die nächsten Tage bis zum Sonntage der Einführung »eben der
mancherlei Unruhe im Hause, die das unvermeidliche Zurüsten, Kuchenbäcker, u. s. w.
im Gefolge hat, nnr Gutes. Schmunzelnd erscheint der Metzger mit seiner schwere»
Last Fleisch; schmunzelnd streicht er sein Geld ein und weiß durch seine Dankes¬
worte durchblicken zu lassen, wie die frühere Pfarrersfamilie ihm doch gar zu wenig
zu verdienen gegeben habe. Auch an Lobsprüchen für den Gatten der geschäftigen
jungen Frau Pfarrerin festes dabei nicht. Der junge Pfarrer sei — das hätten
alle Leute sogleich gemerkt — denn doch ein ganz andrer Mann als der alte Herr
von ehedem n. dergl. in. Ähnliches wissen auch die Nachbarinnen zu rühmen, die
im übrigen recht fleißig im Pfarrhause vorsprechen, anch unaufgefordert ihre guten
Ratschläge geben, die Einrichtung der Wohnung und die festlichen Speisen besichtigen
und prüfen. Außerordentlich teilnehmend erkundigen sie sich uoch überdies bei der
offenherzigen jungen Frau »ach allerlei, selbst nach Dingen, die, nach deren Meinung,
sie eigentlich nichts angehen. Dabei berichten sie allerlei Neuigkeiten aus dem Dorfe,
warnen vor diesem und vor jener.

So kommt denn der Sonntag der Einführung. Es erscheint der Dekan, eine
ehrwürdige Greisengestalt, mit seineu zwei Assistenten, zugleich mit ihnen die Kirchen¬
vorstände aus dem Dorfe und den eingepfarrten Ortschaften und die lauge Schar
der Vertreter der Kirchengemeinde. Ein näheres Bekanntwerden mit den geistlichen
Kollegen außer durch die allgemeinsten Höflichkeitsbezeugungen ist vor der Hand
unmöglich. Jn feierlichem Zuge gehts zur Kirche. Die erste Predigt im neuen
Amte wird von dem jungen Seelsorger mit Zagen, aber mit freudigem Bertrauen
ans Gottes Hilfe gehalten, die drei ältern Kollegen reden noch ihm ans langjähriger
Erfahrung heraus zu seinem Herzen. Fast will es scheinen, als ob anch dnrch ihre
wohlgemeinten Worte ein ernsterer Ton der Warnung vor zu großen Erwartungen
klinge. Nach dem Gottesdienste ist allgemeiner Schmaus im Pfarrhause. So will
es die alte Unsitte, statt daß die Gemeinde ihrem, neuen Hirten das Mahl zurichtete,
wie es schöner Brauch anderwärts ist, z. V. im Rheinlande. Heikle fehlt keins
der Mitglieder der zwei Gemeindeorgane von hier und von auswärts, auch sonst
sind »och einige Ortsgenossen geladen, die sich dem jungen Paare beim Einzuge
gefällig erwiesen haben. Auch jetzt ist abermals ein Bekanntwerden mit den drei
Kollegen unmöglich.^ Die bäuerlichen Gäste weichen und wanken nicht, ihre Augen
und Ohren stehen weit offen. Endlich ist auch der Schmaus überstanden. Aber¬
mals — diesmal schon mit etwas weniger Gleichmut — muß eine lange Rechnung
bezahlt werden. Doch auch hier hilft der Humor über die trübere Stimmung
hinweg: „Die Stelle gehört ja zu den bessern im Lande!" Auch giebts wieder
allerlei im Hause und Amte zu ordnen und zu erledigen, sodaß der unwillkürliche
Gedanke, es sei deu Leute« auch wohl mehr ums Essen und Trinken als um den
neue« Pfarrer zu thun gewesen, zurücktritt.

Während der nächsten Tage bildet aber dieses Mahl den Hauptgesprächsstoff
für das ganze Dorf einschließlich der Nachbarschaft. Dem einen ists zu fein her¬
gegangen, der andre ist nicht oft genug genötigt worden, der dritte hat sich die


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[0048] Das erste Amtsjahr des neuen Pfarrers Aber schon der nächste Morgen bringt ihm eine kleine Abkühlung, als die stattliche Zahl von Lidern bekannt wird, die die fröhliche Gesellschaft des letzten Abends „auf sein Wohl" bezwungen hat. Schweigend zahlt er dem freundlichen Gastwirte die harten Thaler auf den Tisch. Doch was schadet das schließlich? Er tröstet sich: „Die Stelle gehört ja zu den bessern im Lande." Und zu Anfange darf man sich jn nicht lumpen lassen! Trotz alledem bleibt eine unangenehme Er¬ innerung zurück, die von Enttäuschung und Beschämung nicht frei ist. Doch bringen die nächsten Tage bis zum Sonntage der Einführung »eben der mancherlei Unruhe im Hause, die das unvermeidliche Zurüsten, Kuchenbäcker, u. s. w. im Gefolge hat, nnr Gutes. Schmunzelnd erscheint der Metzger mit seiner schwere» Last Fleisch; schmunzelnd streicht er sein Geld ein und weiß durch seine Dankes¬ worte durchblicken zu lassen, wie die frühere Pfarrersfamilie ihm doch gar zu wenig zu verdienen gegeben habe. Auch an Lobsprüchen für den Gatten der geschäftigen jungen Frau Pfarrerin festes dabei nicht. Der junge Pfarrer sei — das hätten alle Leute sogleich gemerkt — denn doch ein ganz andrer Mann als der alte Herr von ehedem n. dergl. in. Ähnliches wissen auch die Nachbarinnen zu rühmen, die im übrigen recht fleißig im Pfarrhause vorsprechen, anch unaufgefordert ihre guten Ratschläge geben, die Einrichtung der Wohnung und die festlichen Speisen besichtigen und prüfen. Außerordentlich teilnehmend erkundigen sie sich uoch überdies bei der offenherzigen jungen Frau »ach allerlei, selbst nach Dingen, die, nach deren Meinung, sie eigentlich nichts angehen. Dabei berichten sie allerlei Neuigkeiten aus dem Dorfe, warnen vor diesem und vor jener. So kommt denn der Sonntag der Einführung. Es erscheint der Dekan, eine ehrwürdige Greisengestalt, mit seineu zwei Assistenten, zugleich mit ihnen die Kirchen¬ vorstände aus dem Dorfe und den eingepfarrten Ortschaften und die lauge Schar der Vertreter der Kirchengemeinde. Ein näheres Bekanntwerden mit den geistlichen Kollegen außer durch die allgemeinsten Höflichkeitsbezeugungen ist vor der Hand unmöglich. Jn feierlichem Zuge gehts zur Kirche. Die erste Predigt im neuen Amte wird von dem jungen Seelsorger mit Zagen, aber mit freudigem Bertrauen ans Gottes Hilfe gehalten, die drei ältern Kollegen reden noch ihm ans langjähriger Erfahrung heraus zu seinem Herzen. Fast will es scheinen, als ob anch dnrch ihre wohlgemeinten Worte ein ernsterer Ton der Warnung vor zu großen Erwartungen klinge. Nach dem Gottesdienste ist allgemeiner Schmaus im Pfarrhause. So will es die alte Unsitte, statt daß die Gemeinde ihrem, neuen Hirten das Mahl zurichtete, wie es schöner Brauch anderwärts ist, z. V. im Rheinlande. Heikle fehlt keins der Mitglieder der zwei Gemeindeorgane von hier und von auswärts, auch sonst sind »och einige Ortsgenossen geladen, die sich dem jungen Paare beim Einzuge gefällig erwiesen haben. Auch jetzt ist abermals ein Bekanntwerden mit den drei Kollegen unmöglich.^ Die bäuerlichen Gäste weichen und wanken nicht, ihre Augen und Ohren stehen weit offen. Endlich ist auch der Schmaus überstanden. Aber¬ mals — diesmal schon mit etwas weniger Gleichmut — muß eine lange Rechnung bezahlt werden. Doch auch hier hilft der Humor über die trübere Stimmung hinweg: „Die Stelle gehört ja zu den bessern im Lande!" Auch giebts wieder allerlei im Hause und Amte zu ordnen und zu erledigen, sodaß der unwillkürliche Gedanke, es sei deu Leute« auch wohl mehr ums Essen und Trinken als um den neue« Pfarrer zu thun gewesen, zurücktritt. Während der nächsten Tage bildet aber dieses Mahl den Hauptgesprächsstoff für das ganze Dorf einschließlich der Nachbarschaft. Dem einen ists zu fein her¬ gegangen, der andre ist nicht oft genug genötigt worden, der dritte hat sich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/48>, abgerufen am 22.12.2024.