Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.und Knochen oder Abbildungen solcher vorgezeigt werden, wo es blitzt und und Knochen oder Abbildungen solcher vorgezeigt werden, wo es blitzt und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206468"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1608" prev="#ID_1607" next="#ID_1609"> und Knochen oder Abbildungen solcher vorgezeigt werden, wo es blitzt und<lb/> knallt, wo sich das Auge an schönem Farbenspiel ergetzt oder über seltsame<lb/> Gebilde erstaunt, da sind die Kinder und ist das Volk am liebsten dabei, und<lb/> das Volk in diesem Sinne reicht sehr hoch hinaus. Auch glaubt jeder sofort<lb/> bis auf den Grund zu verstehen, was ihm an Naturkörpern, Zeichnungen oder<lb/> künstlichen Vorrichtungen „demonstrirt" wird. Zudem war Darwin so glücklich<lb/> gewesen, eine Reihe packender, leicht verständlicher Schlagwörter zu finden, deren<lb/> Anwendbarkeit nicht allein weit über ihren ursprünglichen Geltungsbereich<lb/> hinausging, sondern die schlechthin alles in der Welt zu erklären, alle Wesen<lb/> und Erscheinungen des Natur- und Menschenlebens zu schönster Einheit zu<lb/> verknüpfen schienen. Mit Anpassung und Vererbung, Zuchtwahl oder Über¬<lb/> leben des Passendsten, mit dem Kampf ums Dasein Hantiren seitdem nicht bloß<lb/> der Botaniker und der Zoologe, sondern auch der Geschäftsmann, der Politiker,<lb/> der Vvlkswirtschaftslehrer, der Geschichtsphilosoph, der Philister in der Kneipe<lb/> und der Witzblattschreiber. Man hatte mit einem Schlage eine Geschichts-<lb/> philosophie gewonnen, die jede andre überflüssig macht, weil sie schlechthin<lb/> alles, nicht bloß die Menschenwelt, sondern die ganze Welt umfaßt. Dem be¬<lb/> scheidnen, ja bis zur Ängstlichkeit vorsichtigen und gewissenhaften Darwin lag<lb/> nichts ferner als eine Kompetenzüberschreituug. Lehnte doch der Verfasser des<lb/> Werkes über die Befruchtung der Orchideen durch Insekten nud des andern<lb/> über Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich die Bezeichnung eines<lb/> Botanikers von sich ab. „Ich sehe, schreibt er im August 187L an Asa Gray.<lb/> wir sind beide zu korrespondirenden Mitgliedern des Instituts sovil Frankreich!<lb/> gewählt worden. Es ist eigentlich ein guter Witz, daß ich in die botanische<lb/> Sektion gewählt worden bin. Ich weiß allenfalls, daß die Gänseblümchen zu<lb/> den Kompositen und die Erbsen zu den Leguminosen gehören, aber weit darüber<lb/> hinaus reichen meine botanischen Kenntnisse nicht." Und manchmal drängt ihn<lb/> die Fruchtbarkeit seiner Hypothese so hart an die Grenze seiner Wissenschaft,<lb/> daß man die Selbstbeherrschung bewundern muß, mit der er jeder Versuchung<lb/> einer Grenzüberschreitnug widerstand. Zum Beispiel an folgender Stelle: „Die<lb/> Theorie der natürlichen Zuchtwahl beruht auf der Annahme, daß jede neue<lb/> Varietät und zuletzt jede neue Art dadurch gebildet wird, daß sie irgend einen<lb/> Vorteil vor den konkurrirenden Arten voraus habe, infolge dessen die weniger<lb/> begünstigten Arten fast unvermeidlich erlöschen. Bei unsern Kulturerzen griffen<lb/> verhält es sich ja ganz ebenso. Ist eine neue, unbedeutend vervollkommnete<lb/> Varietät gebildet worden, so verdrängt sie zunächst die minder vollkommnen<lb/> Varietäten in der unmittelbaren Umgebung. Wird sie dann noch erheblich mehr<lb/> verbessert, so breitet sie sich auch in die Ferne aus und verdrängt dort die<lb/> andern Nassen, wie unsre kurzhörnigen Rinder gethan haben" (Über die Ent¬<lb/> stehung der Arten, S. 406). Wie nahe lag hier die Bemerkung, daß es sich<lb/> nicht bloß mit den Kultnrerzettgnisseu der Landwirtschaft, sondern auch mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
und Knochen oder Abbildungen solcher vorgezeigt werden, wo es blitzt und
knallt, wo sich das Auge an schönem Farbenspiel ergetzt oder über seltsame
Gebilde erstaunt, da sind die Kinder und ist das Volk am liebsten dabei, und
das Volk in diesem Sinne reicht sehr hoch hinaus. Auch glaubt jeder sofort
bis auf den Grund zu verstehen, was ihm an Naturkörpern, Zeichnungen oder
künstlichen Vorrichtungen „demonstrirt" wird. Zudem war Darwin so glücklich
gewesen, eine Reihe packender, leicht verständlicher Schlagwörter zu finden, deren
Anwendbarkeit nicht allein weit über ihren ursprünglichen Geltungsbereich
hinausging, sondern die schlechthin alles in der Welt zu erklären, alle Wesen
und Erscheinungen des Natur- und Menschenlebens zu schönster Einheit zu
verknüpfen schienen. Mit Anpassung und Vererbung, Zuchtwahl oder Über¬
leben des Passendsten, mit dem Kampf ums Dasein Hantiren seitdem nicht bloß
der Botaniker und der Zoologe, sondern auch der Geschäftsmann, der Politiker,
der Vvlkswirtschaftslehrer, der Geschichtsphilosoph, der Philister in der Kneipe
und der Witzblattschreiber. Man hatte mit einem Schlage eine Geschichts-
philosophie gewonnen, die jede andre überflüssig macht, weil sie schlechthin
alles, nicht bloß die Menschenwelt, sondern die ganze Welt umfaßt. Dem be¬
scheidnen, ja bis zur Ängstlichkeit vorsichtigen und gewissenhaften Darwin lag
nichts ferner als eine Kompetenzüberschreituug. Lehnte doch der Verfasser des
Werkes über die Befruchtung der Orchideen durch Insekten nud des andern
über Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich die Bezeichnung eines
Botanikers von sich ab. „Ich sehe, schreibt er im August 187L an Asa Gray.
wir sind beide zu korrespondirenden Mitgliedern des Instituts sovil Frankreich!
gewählt worden. Es ist eigentlich ein guter Witz, daß ich in die botanische
Sektion gewählt worden bin. Ich weiß allenfalls, daß die Gänseblümchen zu
den Kompositen und die Erbsen zu den Leguminosen gehören, aber weit darüber
hinaus reichen meine botanischen Kenntnisse nicht." Und manchmal drängt ihn
die Fruchtbarkeit seiner Hypothese so hart an die Grenze seiner Wissenschaft,
daß man die Selbstbeherrschung bewundern muß, mit der er jeder Versuchung
einer Grenzüberschreitnug widerstand. Zum Beispiel an folgender Stelle: „Die
Theorie der natürlichen Zuchtwahl beruht auf der Annahme, daß jede neue
Varietät und zuletzt jede neue Art dadurch gebildet wird, daß sie irgend einen
Vorteil vor den konkurrirenden Arten voraus habe, infolge dessen die weniger
begünstigten Arten fast unvermeidlich erlöschen. Bei unsern Kulturerzen griffen
verhält es sich ja ganz ebenso. Ist eine neue, unbedeutend vervollkommnete
Varietät gebildet worden, so verdrängt sie zunächst die minder vollkommnen
Varietäten in der unmittelbaren Umgebung. Wird sie dann noch erheblich mehr
verbessert, so breitet sie sich auch in die Ferne aus und verdrängt dort die
andern Nassen, wie unsre kurzhörnigen Rinder gethan haben" (Über die Ent¬
stehung der Arten, S. 406). Wie nahe lag hier die Bemerkung, daß es sich
nicht bloß mit den Kultnrerzettgnisseu der Landwirtschaft, sondern auch mit
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