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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Lprcichdummheitcn

was anderwärts Schiffbruch gelitten hat. Noch nie in meinem Leben habe ich
gehört, daß ein deutscher Junge auf die Frage: Was willst du werden? ge¬
antwortet hätte: Ich will Zeitungsschreiber werden. Ein Judeujunge vielleicht.
Jedenfalls ist in keinem Gewerbe der Welt das Stümpertnm so in der Mehr¬
heit wie im Zeitungsgewerbe. Verpfuschten Studenten aller Fakultäten, fort¬
gejagten nichtsnutzigen Gymnasiasten, grünen Burschen, die nichts, gar nichts
gelernt haben, am wenigsten eine Zeile anständiges Deutsch schreiben -- wo
begegnet man ihnen später wieder? Bei einer Zeitung. Ach, und erst in der
kleinen Ortspresse, die der Drucker und Verleger selber zusammenstöppelt, in
der unendlich verzweigten kleinen Fachpresse, die von Handwerkern und Gewerb-
treibenden mit kümmerlicher Volksschulbilduug geschrieben und redigirt wird --
was wird dort für ein Deutsch verbrochen! Und dazu nun das Elend, daß
gerade die verbreiterte Tagespresse zum großen Teile von Leuten geschrieben
wird, die einem fremden Volksstamm angehören, die entweder selbst oder deren
Väter wenigstens das Deutsche nicht als ihre Muttersprache erlernt habe",
denen also, so flink sie sich auch, wie in alles, in die Anfangsgründe der deutschen
Grammatik hineingefnnden haben, doch das echte deutsche Sprachgefühl abgeht
und die infolge dessen fortwährend mit demAnsdrnck danebentappen, zwei Redens¬
arten verquicken, die Sprache mit falschen Analogiebildungen überschwemmen;
dazu das weitere Elend, daß ein großer Teil unsrer Zeitungsnachrichten nichts
als schlechte Übersetzungen aus ausländischen Zeitungen sind, voll denkfaul
aus den fremden Sprachen herübergenvinmener undeutscher Wendungen, endlich
daß ein großer Teil des Textes unsrer Zeitungen einfach mit Schere und
Kleister aus der österreichischen Tagespresse herübergenommen ist, unverändert
lind mit all jenen Greueln, die man als "Austriazismen" bezeichnet (mau denke
an beiläufig ^bailaifigj statt ungefähr, obzwar statt obgleich, neuer¬
dings statt von neuem, nur mehr statt uur noch, im vorhinein statt
von vornherein, benötigen statt bedürfen, um den entsetzlichen Gebrauch
von jeuer statt der vor einem Genetiv, an das entsetzliche kausale nachdem,
die entsetzliche Umschreibung des OonMicUvus Imxortöoti in Wunsch- und Be-
dingnngssätzen durch würde u. ahnt.) -- da hat man die Bestandteile und Zu¬
thaten, aus denen sich die deutsche Zcitnngssprache, jetzt die größte Macht -- der
Zeitungsschreiber würde fügen: der "mächtigste Faktor"! -- auf dem Gebiete
unsrer Sprache überhaupt, zusammensetzt.

Was zur Bekämpfung dieses traurigen Zustandes geschieht, ist herzlich
wenig. Unsre Witzblätter haben eine besondre Rubrik eingerichtet, worin sie
grobe Sprachverstöße aus neuen Büchern, aus der Tagespresse, aus Bekannt¬
machungen von Behörden und Geschäftsleuten an den Pranger stellen. Das
ist gewiß sehr löblich. Aber was für ein winziger Bruchteil wird damit
getroffen! Und dann: es sind gewöhnlich Sätze, die einen unbeabsichtigten
komischen Sinn ergeben, die da herausgegriffen werden, oder vereinzelt vor-


Allerhand Lprcichdummheitcn

was anderwärts Schiffbruch gelitten hat. Noch nie in meinem Leben habe ich
gehört, daß ein deutscher Junge auf die Frage: Was willst du werden? ge¬
antwortet hätte: Ich will Zeitungsschreiber werden. Ein Judeujunge vielleicht.
Jedenfalls ist in keinem Gewerbe der Welt das Stümpertnm so in der Mehr¬
heit wie im Zeitungsgewerbe. Verpfuschten Studenten aller Fakultäten, fort¬
gejagten nichtsnutzigen Gymnasiasten, grünen Burschen, die nichts, gar nichts
gelernt haben, am wenigsten eine Zeile anständiges Deutsch schreiben — wo
begegnet man ihnen später wieder? Bei einer Zeitung. Ach, und erst in der
kleinen Ortspresse, die der Drucker und Verleger selber zusammenstöppelt, in
der unendlich verzweigten kleinen Fachpresse, die von Handwerkern und Gewerb-
treibenden mit kümmerlicher Volksschulbilduug geschrieben und redigirt wird —
was wird dort für ein Deutsch verbrochen! Und dazu nun das Elend, daß
gerade die verbreiterte Tagespresse zum großen Teile von Leuten geschrieben
wird, die einem fremden Volksstamm angehören, die entweder selbst oder deren
Väter wenigstens das Deutsche nicht als ihre Muttersprache erlernt habe»,
denen also, so flink sie sich auch, wie in alles, in die Anfangsgründe der deutschen
Grammatik hineingefnnden haben, doch das echte deutsche Sprachgefühl abgeht
und die infolge dessen fortwährend mit demAnsdrnck danebentappen, zwei Redens¬
arten verquicken, die Sprache mit falschen Analogiebildungen überschwemmen;
dazu das weitere Elend, daß ein großer Teil unsrer Zeitungsnachrichten nichts
als schlechte Übersetzungen aus ausländischen Zeitungen sind, voll denkfaul
aus den fremden Sprachen herübergenvinmener undeutscher Wendungen, endlich
daß ein großer Teil des Textes unsrer Zeitungen einfach mit Schere und
Kleister aus der österreichischen Tagespresse herübergenommen ist, unverändert
lind mit all jenen Greueln, die man als „Austriazismen" bezeichnet (mau denke
an beiläufig ^bailaifigj statt ungefähr, obzwar statt obgleich, neuer¬
dings statt von neuem, nur mehr statt uur noch, im vorhinein statt
von vornherein, benötigen statt bedürfen, um den entsetzlichen Gebrauch
von jeuer statt der vor einem Genetiv, an das entsetzliche kausale nachdem,
die entsetzliche Umschreibung des OonMicUvus Imxortöoti in Wunsch- und Be-
dingnngssätzen durch würde u. ahnt.) — da hat man die Bestandteile und Zu¬
thaten, aus denen sich die deutsche Zcitnngssprache, jetzt die größte Macht — der
Zeitungsschreiber würde fügen: der „mächtigste Faktor"! — auf dem Gebiete
unsrer Sprache überhaupt, zusammensetzt.

Was zur Bekämpfung dieses traurigen Zustandes geschieht, ist herzlich
wenig. Unsre Witzblätter haben eine besondre Rubrik eingerichtet, worin sie
grobe Sprachverstöße aus neuen Büchern, aus der Tagespresse, aus Bekannt¬
machungen von Behörden und Geschäftsleuten an den Pranger stellen. Das
ist gewiß sehr löblich. Aber was für ein winziger Bruchteil wird damit
getroffen! Und dann: es sind gewöhnlich Sätze, die einen unbeabsichtigten
komischen Sinn ergeben, die da herausgegriffen werden, oder vereinzelt vor-


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[0431] Allerhand Lprcichdummheitcn was anderwärts Schiffbruch gelitten hat. Noch nie in meinem Leben habe ich gehört, daß ein deutscher Junge auf die Frage: Was willst du werden? ge¬ antwortet hätte: Ich will Zeitungsschreiber werden. Ein Judeujunge vielleicht. Jedenfalls ist in keinem Gewerbe der Welt das Stümpertnm so in der Mehr¬ heit wie im Zeitungsgewerbe. Verpfuschten Studenten aller Fakultäten, fort¬ gejagten nichtsnutzigen Gymnasiasten, grünen Burschen, die nichts, gar nichts gelernt haben, am wenigsten eine Zeile anständiges Deutsch schreiben — wo begegnet man ihnen später wieder? Bei einer Zeitung. Ach, und erst in der kleinen Ortspresse, die der Drucker und Verleger selber zusammenstöppelt, in der unendlich verzweigten kleinen Fachpresse, die von Handwerkern und Gewerb- treibenden mit kümmerlicher Volksschulbilduug geschrieben und redigirt wird — was wird dort für ein Deutsch verbrochen! Und dazu nun das Elend, daß gerade die verbreiterte Tagespresse zum großen Teile von Leuten geschrieben wird, die einem fremden Volksstamm angehören, die entweder selbst oder deren Väter wenigstens das Deutsche nicht als ihre Muttersprache erlernt habe», denen also, so flink sie sich auch, wie in alles, in die Anfangsgründe der deutschen Grammatik hineingefnnden haben, doch das echte deutsche Sprachgefühl abgeht und die infolge dessen fortwährend mit demAnsdrnck danebentappen, zwei Redens¬ arten verquicken, die Sprache mit falschen Analogiebildungen überschwemmen; dazu das weitere Elend, daß ein großer Teil unsrer Zeitungsnachrichten nichts als schlechte Übersetzungen aus ausländischen Zeitungen sind, voll denkfaul aus den fremden Sprachen herübergenvinmener undeutscher Wendungen, endlich daß ein großer Teil des Textes unsrer Zeitungen einfach mit Schere und Kleister aus der österreichischen Tagespresse herübergenommen ist, unverändert lind mit all jenen Greueln, die man als „Austriazismen" bezeichnet (mau denke an beiläufig ^bailaifigj statt ungefähr, obzwar statt obgleich, neuer¬ dings statt von neuem, nur mehr statt uur noch, im vorhinein statt von vornherein, benötigen statt bedürfen, um den entsetzlichen Gebrauch von jeuer statt der vor einem Genetiv, an das entsetzliche kausale nachdem, die entsetzliche Umschreibung des OonMicUvus Imxortöoti in Wunsch- und Be- dingnngssätzen durch würde u. ahnt.) — da hat man die Bestandteile und Zu¬ thaten, aus denen sich die deutsche Zcitnngssprache, jetzt die größte Macht — der Zeitungsschreiber würde fügen: der „mächtigste Faktor"! — auf dem Gebiete unsrer Sprache überhaupt, zusammensetzt. Was zur Bekämpfung dieses traurigen Zustandes geschieht, ist herzlich wenig. Unsre Witzblätter haben eine besondre Rubrik eingerichtet, worin sie grobe Sprachverstöße aus neuen Büchern, aus der Tagespresse, aus Bekannt¬ machungen von Behörden und Geschäftsleuten an den Pranger stellen. Das ist gewiß sehr löblich. Aber was für ein winziger Bruchteil wird damit getroffen! Und dann: es sind gewöhnlich Sätze, die einen unbeabsichtigten komischen Sinn ergeben, die da herausgegriffen werden, oder vereinzelt vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/431>, abgerufen am 22.12.2024.