Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Allerhand Sprachdummheiten Inhalt, baulicher Umgestaltung, während man früher Kinder des Kron¬ Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der ange¬ Die Adjectiva auf --lich bezeichnen eine Ähnlichkeit; ---lich ist dasselbe Grenzbvwl IV IMi) 53
Allerhand Sprachdummheiten Inhalt, baulicher Umgestaltung, während man früher Kinder des Kron¬ Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der ange¬ Die Adjectiva auf --lich bezeichnen eine Ähnlichkeit; -—lich ist dasselbe Grenzbvwl IV IMi) 53
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206424"/> <fw type="header" place="top"> Allerhand Sprachdummheiten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1462" prev="#ID_1461"> Inhalt, baulicher Umgestaltung, während man früher Kinder des Kron¬<lb/> prinzen, Genehmigung der Behörden, Großartigkeit der Gedanken, Vor¬<lb/> schläge des Gegners, Mittel der Zeichnung, Technik des Stechers,<lb/> Unterricht in den neuern Sprachen, Quartett sür gemischten Chor,<lb/> Stimme, Text, Umbau sagte. Auch die Fremdwörter werden schon in diese<lb/> Strömung mit hineingezogen und statt zusammengesetzter Wörter Adjektivs mit<lb/> fremden Endungen gebraucht; schon heißt es nicht mehr Religionsunterricht,<lb/> Kulturfortschritt, Alpenflora, Solo- Chor- und Orchesterkräfte,<lb/> sondern religiöser Unterricht, kultureller Fortschritt (scheußlich!), alpine<lb/> Flora, solistische, choristische und orchestrale Kräfte. Wie lange wirds<lb/> noch dauern, so reden wir nicht mehr von Sommer- und Winterhosen,<lb/> Alpenhütten und Negententugendeu, sondern von sommerlichen und<lb/> winterlichen Hosen, alpinen Hütten nud regentischen Tugenden!</p><lb/> <p xml:id="ID_1463"> Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der ange¬<lb/> führten Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Aber die größte Anzahl spricht<lb/> doch dagegen, man könnte viel eher meinen, sie solle den Ausdruck ver¬<lb/> breitern. In der That kreuzen sich diese beiden Neigungen in unsrer heu¬<lb/> tigem Schriftsprache in der wunderlichsten Weise. Auf der einen Seite schrickt<lb/> mau vor den ärgsten Sprachfehlern, ja Sprachroheiten nicht zurück, nur um<lb/> kurz wegzukommen, auf der andern zerrt man den naheliegenden einfachen Aus¬<lb/> druck in geschmackloser Weise breit, nur um recht wichtig und gravitätisch ein-<lb/> herzutrotten. Mau fragt wohl vergebens nach einem vernünftigen Grunde,<lb/> durch den sich die plötzlich erwachte Vorliebe für alle möglichen und unmög¬<lb/> lichen Adjektivbildungeu erklären ließe: es ist eben eine Modedummheit, wie<lb/> es deren jetzt so viele in unsrer Schriftsprache giebt. Wenn so etwas einmal<lb/> in der Luft liegt, so steckt es heute hier und morgen dn an; ob das neuge¬<lb/> schaffene nötig, richtig, schön sei, darnach fragt niemand, Wenns nur neu ist!<lb/> Um der Neuheit willen schlägt man sogar gelegentlich gerade den entgegen¬<lb/> gesetzten Weg ein. Hätte man bisher Silberhochzeit gesagt, so kaun man<lb/> sicher sein, daß sich über kurz oder lang Narren finden würden, die von nun<lb/> an silberne Hochzeit sagten; da es aber bis jetzt silberne Hochzeit geheißen<lb/> hat, so finden sich natürlich uun Narren, die gerade deshalb jetzt von Silber¬<lb/> hochzeit schwatzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1464" next="#ID_1465"> Die Adjectiva auf --lich bezeichnen eine Ähnlichkeit; -—lich ist dasselbe<lb/> wie Leiche, es bedeutet den Leib, die Gestalt, die Art. Königlich ist, was<lb/> die Gestalt, die Art oder das Wesen eines Königs hat. Will man das mit<lb/> den kronprinzlichen Kindern sagen? Gewiß nicht. Man meint doch die Kinder<lb/> des Kronprinzen selber nud uicht bloß krvupriuzenartige Kinder. Die Adjek¬<lb/> tiv« auf —isch haben vielfach einen schlimmen Sinn; man denke an weibisch<lb/> »eben weiblich, kindisch neben kindlich, herrisch neben herrlich, abgöttisch<lb/> »eben göttli es, sklavis es, b ü b i sah, diebis es, bnhlerisch, mörderis es, v e r -</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbvwl IV IMi) 53</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0425]
Allerhand Sprachdummheiten
Inhalt, baulicher Umgestaltung, während man früher Kinder des Kron¬
prinzen, Genehmigung der Behörden, Großartigkeit der Gedanken, Vor¬
schläge des Gegners, Mittel der Zeichnung, Technik des Stechers,
Unterricht in den neuern Sprachen, Quartett sür gemischten Chor,
Stimme, Text, Umbau sagte. Auch die Fremdwörter werden schon in diese
Strömung mit hineingezogen und statt zusammengesetzter Wörter Adjektivs mit
fremden Endungen gebraucht; schon heißt es nicht mehr Religionsunterricht,
Kulturfortschritt, Alpenflora, Solo- Chor- und Orchesterkräfte,
sondern religiöser Unterricht, kultureller Fortschritt (scheußlich!), alpine
Flora, solistische, choristische und orchestrale Kräfte. Wie lange wirds
noch dauern, so reden wir nicht mehr von Sommer- und Winterhosen,
Alpenhütten und Negententugendeu, sondern von sommerlichen und
winterlichen Hosen, alpinen Hütten nud regentischen Tugenden!
Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der ange¬
führten Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Aber die größte Anzahl spricht
doch dagegen, man könnte viel eher meinen, sie solle den Ausdruck ver¬
breitern. In der That kreuzen sich diese beiden Neigungen in unsrer heu¬
tigem Schriftsprache in der wunderlichsten Weise. Auf der einen Seite schrickt
mau vor den ärgsten Sprachfehlern, ja Sprachroheiten nicht zurück, nur um
kurz wegzukommen, auf der andern zerrt man den naheliegenden einfachen Aus¬
druck in geschmackloser Weise breit, nur um recht wichtig und gravitätisch ein-
herzutrotten. Mau fragt wohl vergebens nach einem vernünftigen Grunde,
durch den sich die plötzlich erwachte Vorliebe für alle möglichen und unmög¬
lichen Adjektivbildungeu erklären ließe: es ist eben eine Modedummheit, wie
es deren jetzt so viele in unsrer Schriftsprache giebt. Wenn so etwas einmal
in der Luft liegt, so steckt es heute hier und morgen dn an; ob das neuge¬
schaffene nötig, richtig, schön sei, darnach fragt niemand, Wenns nur neu ist!
Um der Neuheit willen schlägt man sogar gelegentlich gerade den entgegen¬
gesetzten Weg ein. Hätte man bisher Silberhochzeit gesagt, so kaun man
sicher sein, daß sich über kurz oder lang Narren finden würden, die von nun
an silberne Hochzeit sagten; da es aber bis jetzt silberne Hochzeit geheißen
hat, so finden sich natürlich uun Narren, die gerade deshalb jetzt von Silber¬
hochzeit schwatzen.
Die Adjectiva auf --lich bezeichnen eine Ähnlichkeit; -—lich ist dasselbe
wie Leiche, es bedeutet den Leib, die Gestalt, die Art. Königlich ist, was
die Gestalt, die Art oder das Wesen eines Königs hat. Will man das mit
den kronprinzlichen Kindern sagen? Gewiß nicht. Man meint doch die Kinder
des Kronprinzen selber nud uicht bloß krvupriuzenartige Kinder. Die Adjek¬
tiv« auf —isch haben vielfach einen schlimmen Sinn; man denke an weibisch
»eben weiblich, kindisch neben kindlich, herrisch neben herrlich, abgöttisch
»eben göttli es, sklavis es, b ü b i sah, diebis es, bnhlerisch, mörderis es, v e r -
Grenzbvwl IV IMi) 53
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |