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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

schämte sich bei dem Gedanken ein das, was er erstrebt hatte, und sein bis
dahin unbeflecktes Gewissen erhob seine warnende Stimme.

Sein Beschluß war gefaßt. Er wollte sich losreißen, er wollte von
dannen, wollte diese hervorsprudelnde Leidenschaft, die ihn zu über¬
wältigen drohte, siegreich bekämpfen. Im Kruge stund sein Koffer schon
gepackt, in der Schnellpost war für den nächsten Tag ein Platz für ihn be¬
stellt. Und jetzt war er gekommen, um Martha Lebewohl zu sagen, um sie
noch einmal zu sehen, ihr Dank für die glücklichen Stunden zuzuflüstern, die sie
ihm geschenkt hatte. Aber noch hatte er das entscheidende Wort nicht über
die Lippen bringen können.

Sobald er den Fuß über die Schwelle gesetzt und ihre schlanke Gestalt
erblickt habe, hatte ihn eine heftige Bewegung durchströmt. Jedesmal, wenn
er später hatte reden wollen, war ihm zu Mute gewesen, als steckte ihm etwas
in der Kehle. Und nun saß er bereits zwei Stunden hier und fühlte mit
Entsetzen, wie alles in seinem Innern stürmte und bebte.

Aber wie bezaubernd war sie auch, wie sie so da saß, leicht über ihre
Hände gebeugt! Das milde Licht des Sonnenuntergangs fiel immer goldiger
auf ihren Weißen Nacken, die kleinen, krausen Haare, die zwischen dem feinen
Flaum des Halses wüchse,?, in Fetter tauchend. Ihre Wange strahlte von
Glück. Die Nadel zitterte leicht zwischen ihren biegsamen Fingern, lind unter
dem hellen, halbdurchsichtigen Stoff wogte der Vusen, als wollte er ihn zu
einem Schlummer auf seinen weißen Kissen einladen.

Er gelobte sich im stillen, ihr Bild, sowie er es jetzt vor sich sah, in der
Erinnerung mit sich fortzunehmen. Er fühlte, daß es sein Trost und seine
Belohnung sein würde, wenn er dies Bild, ohne zu erröten, sich wieder ver¬
gegenwärtigen könnte. Wenn er nun bald wieder zwischen seinen Büchern
sitzen würde, sollte die Erinnerung an sie und an das kurze, glückliche Zu¬
sammenleben mit ihr seine heimliche Freude sein. Zug für Zug wollte er sie
in trüben Stunden vor seine Phantasie zaubern, um sich noch in der Erinne¬
rung an ihrer Schönheit zu erfreuen, an dem Schimmer, der über dieser
weichen Wange lag, an dem Glanz dieses blonden Haares lind den Gluten
dieser dunkeln Augen, deren rätselhafte Tiefe gleich bei der ersten Begegnung
einen solchen Zauber auf ihn ausgeübt hatte.

Bei der ersten Begegnung! Er dachte daran, als läge sie viele Jahre
zurück. Und doch waren kaum vierzehn Tage verflossen, seit er als freier,
fröhlicher Wandersmann, das Ränzel auf dem Rücken, mit seinem lustigen
Gesang die Vögel auf seinem Marsch durch deu Wald erschreckt hatte, ohne
zu ahnen, daß hinter dem kleinen, blühenden Strauch, den er vor sich am
Wege erblickte, das weibliche Wesen versteckt tag, das zum erstenmale die Dä¬
monen in seiner Brust erwecken sollte. Er schauderte noch, als er an deu
Augenblick zurückdachte, wo er mitten in der stillen Einsamkeit des großen,


Junge Liebe

schämte sich bei dem Gedanken ein das, was er erstrebt hatte, und sein bis
dahin unbeflecktes Gewissen erhob seine warnende Stimme.

Sein Beschluß war gefaßt. Er wollte sich losreißen, er wollte von
dannen, wollte diese hervorsprudelnde Leidenschaft, die ihn zu über¬
wältigen drohte, siegreich bekämpfen. Im Kruge stund sein Koffer schon
gepackt, in der Schnellpost war für den nächsten Tag ein Platz für ihn be¬
stellt. Und jetzt war er gekommen, um Martha Lebewohl zu sagen, um sie
noch einmal zu sehen, ihr Dank für die glücklichen Stunden zuzuflüstern, die sie
ihm geschenkt hatte. Aber noch hatte er das entscheidende Wort nicht über
die Lippen bringen können.

Sobald er den Fuß über die Schwelle gesetzt und ihre schlanke Gestalt
erblickt habe, hatte ihn eine heftige Bewegung durchströmt. Jedesmal, wenn
er später hatte reden wollen, war ihm zu Mute gewesen, als steckte ihm etwas
in der Kehle. Und nun saß er bereits zwei Stunden hier und fühlte mit
Entsetzen, wie alles in seinem Innern stürmte und bebte.

Aber wie bezaubernd war sie auch, wie sie so da saß, leicht über ihre
Hände gebeugt! Das milde Licht des Sonnenuntergangs fiel immer goldiger
auf ihren Weißen Nacken, die kleinen, krausen Haare, die zwischen dem feinen
Flaum des Halses wüchse,?, in Fetter tauchend. Ihre Wange strahlte von
Glück. Die Nadel zitterte leicht zwischen ihren biegsamen Fingern, lind unter
dem hellen, halbdurchsichtigen Stoff wogte der Vusen, als wollte er ihn zu
einem Schlummer auf seinen weißen Kissen einladen.

Er gelobte sich im stillen, ihr Bild, sowie er es jetzt vor sich sah, in der
Erinnerung mit sich fortzunehmen. Er fühlte, daß es sein Trost und seine
Belohnung sein würde, wenn er dies Bild, ohne zu erröten, sich wieder ver¬
gegenwärtigen könnte. Wenn er nun bald wieder zwischen seinen Büchern
sitzen würde, sollte die Erinnerung an sie und an das kurze, glückliche Zu¬
sammenleben mit ihr seine heimliche Freude sein. Zug für Zug wollte er sie
in trüben Stunden vor seine Phantasie zaubern, um sich noch in der Erinne¬
rung an ihrer Schönheit zu erfreuen, an dem Schimmer, der über dieser
weichen Wange lag, an dem Glanz dieses blonden Haares lind den Gluten
dieser dunkeln Augen, deren rätselhafte Tiefe gleich bei der ersten Begegnung
einen solchen Zauber auf ihn ausgeübt hatte.

Bei der ersten Begegnung! Er dachte daran, als läge sie viele Jahre
zurück. Und doch waren kaum vierzehn Tage verflossen, seit er als freier,
fröhlicher Wandersmann, das Ränzel auf dem Rücken, mit seinem lustigen
Gesang die Vögel auf seinem Marsch durch deu Wald erschreckt hatte, ohne
zu ahnen, daß hinter dem kleinen, blühenden Strauch, den er vor sich am
Wege erblickte, das weibliche Wesen versteckt tag, das zum erstenmale die Dä¬
monen in seiner Brust erwecken sollte. Er schauderte noch, als er an deu
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[0344] Junge Liebe schämte sich bei dem Gedanken ein das, was er erstrebt hatte, und sein bis dahin unbeflecktes Gewissen erhob seine warnende Stimme. Sein Beschluß war gefaßt. Er wollte sich losreißen, er wollte von dannen, wollte diese hervorsprudelnde Leidenschaft, die ihn zu über¬ wältigen drohte, siegreich bekämpfen. Im Kruge stund sein Koffer schon gepackt, in der Schnellpost war für den nächsten Tag ein Platz für ihn be¬ stellt. Und jetzt war er gekommen, um Martha Lebewohl zu sagen, um sie noch einmal zu sehen, ihr Dank für die glücklichen Stunden zuzuflüstern, die sie ihm geschenkt hatte. Aber noch hatte er das entscheidende Wort nicht über die Lippen bringen können. Sobald er den Fuß über die Schwelle gesetzt und ihre schlanke Gestalt erblickt habe, hatte ihn eine heftige Bewegung durchströmt. Jedesmal, wenn er später hatte reden wollen, war ihm zu Mute gewesen, als steckte ihm etwas in der Kehle. Und nun saß er bereits zwei Stunden hier und fühlte mit Entsetzen, wie alles in seinem Innern stürmte und bebte. Aber wie bezaubernd war sie auch, wie sie so da saß, leicht über ihre Hände gebeugt! Das milde Licht des Sonnenuntergangs fiel immer goldiger auf ihren Weißen Nacken, die kleinen, krausen Haare, die zwischen dem feinen Flaum des Halses wüchse,?, in Fetter tauchend. Ihre Wange strahlte von Glück. Die Nadel zitterte leicht zwischen ihren biegsamen Fingern, lind unter dem hellen, halbdurchsichtigen Stoff wogte der Vusen, als wollte er ihn zu einem Schlummer auf seinen weißen Kissen einladen. Er gelobte sich im stillen, ihr Bild, sowie er es jetzt vor sich sah, in der Erinnerung mit sich fortzunehmen. Er fühlte, daß es sein Trost und seine Belohnung sein würde, wenn er dies Bild, ohne zu erröten, sich wieder ver¬ gegenwärtigen könnte. Wenn er nun bald wieder zwischen seinen Büchern sitzen würde, sollte die Erinnerung an sie und an das kurze, glückliche Zu¬ sammenleben mit ihr seine heimliche Freude sein. Zug für Zug wollte er sie in trüben Stunden vor seine Phantasie zaubern, um sich noch in der Erinne¬ rung an ihrer Schönheit zu erfreuen, an dem Schimmer, der über dieser weichen Wange lag, an dem Glanz dieses blonden Haares lind den Gluten dieser dunkeln Augen, deren rätselhafte Tiefe gleich bei der ersten Begegnung einen solchen Zauber auf ihn ausgeübt hatte. Bei der ersten Begegnung! Er dachte daran, als läge sie viele Jahre zurück. Und doch waren kaum vierzehn Tage verflossen, seit er als freier, fröhlicher Wandersmann, das Ränzel auf dem Rücken, mit seinem lustigen Gesang die Vögel auf seinem Marsch durch deu Wald erschreckt hatte, ohne zu ahnen, daß hinter dem kleinen, blühenden Strauch, den er vor sich am Wege erblickte, das weibliche Wesen versteckt tag, das zum erstenmale die Dä¬ monen in seiner Brust erwecken sollte. Er schauderte noch, als er an deu Augenblick zurückdachte, wo er mitten in der stillen Einsamkeit des großen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/344>, abgerufen am 22.12.2024.