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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Rede

Dn fiel ihr plötzlich ein, daß sie in der Schublade zwischen dem andern Zeug
ein Paar Ohrringe gesehen hatte, ein Paar kleine silberne Knöpfe. Sie holte
sie schnell hervor und probirte sie an, indem sie einen Schritt vom Spiegel
zurücktrat; dann nickte sie zufrieden.

Plötzlich errötete sie. Sie entsann sich, daß es ein Lied ihres Vaters
war, das sie eben vor sich hingesummt hatte, vielleicht hatte er es in
eben diesem Zimmer gesungen, vielleicht während die Mutter -- Ohne
eigentlich zu wissen, weshalb, schauderte sie leicht bei dem Gedanken, daß
ihr die Melodie gerade jetzt ans die Zunge gekommen war. Aber nach
einer Weile, als sie ihr Kleid angezogen hatte, sang sie wieder mit leiser
Stimme, während sie sich vor dem Spiegel umdrehte und an ihrem Rücken
hinabsah.

Endlich war sie fertig. Sie trug die Waschkumme hinaus und räumte
im Zimmer auf. Aber plötzlich stand sie mitten in der Stube still und preßte
ihre Hände vors Gesicht, wie um sich zu sammeln.

Ja, was war denn eigentlich geschehen? Nun, wenig genug. Als sie
neulich im Walde war, hörte sie plötzlich eine Stimme in ihrer Nähe laut
singen. Hastig verbarg sie sich unter einem Busch, aber gleich darauf ward
ein Zweig zur Seite gebogen, und ein junger, blonder Mann mit einer
Studentenmütze stand neben ihr. Sie sprang auf und wollte fortlaufen; aber
er sah so gut und rechtschaffen aus und bat sie so eindringlich, sich nicht zu
fürchten, daß sie blieb. Sie gingen mit einander bis an den Rand des Waldes,
wo er ihr freundlich die Hand zum Abschied reichte, ja sogar seine Mütze ab¬
nahm, sodaß sie ganz verschämt eine Blume fallen ließ, die sie zwischen den
Lippen hielt. Zwei Tage später, als sie, ohne an etwas zu deuten, über die
Wiese ging, war er wieder neben ihr. Sie hätte beinahe vor Schrecken ge¬
schrieen. Diesmal endete ihre Begegnung damit, daß sie zusammen Wasserrosen
um Ufer des Flusses pflückten; nud weil sie keine Schürze umhatte, in der
sie die Blumen Hütte nach Hanse tragen können, gab er ihr ein seidnes Taschen¬
tuch und bat sie, es zur Erinnerung an ihn zu behalten. Aber schon am
nächsten Tage sah sie ihn auf dem Wege vorübergehen. Und jedesmal, wenn
sie von nun an den Wald betrat, traf es sich wunderbar, daß sie einander
stets auf irgend eine Weise begegneten. Dann gingen sie regelmäßig ein Stück
Weges zusammen, zuweilen saßen sie auch im Grase oder pflückten Erdbeeren;
am Waldessaum aber gab er ihr regelmäßig die Hand und lüftete höflich die
Mütze. Das war alles, was geschehen war.

Und nun hatte er gesagt, daß er heute kommen würde -- vielleicht um
Abschied zu nehmen.

Sie setzte sich auf die Bank und nahm ihr Nähzeug zur Hand. Aber sie
warf es gleich wieder hin und stützte den Kopf in die Hände. So saß sie
lange unbeweglich da. Rings um sie her war es still geworden.


Junge Rede

Dn fiel ihr plötzlich ein, daß sie in der Schublade zwischen dem andern Zeug
ein Paar Ohrringe gesehen hatte, ein Paar kleine silberne Knöpfe. Sie holte
sie schnell hervor und probirte sie an, indem sie einen Schritt vom Spiegel
zurücktrat; dann nickte sie zufrieden.

Plötzlich errötete sie. Sie entsann sich, daß es ein Lied ihres Vaters
war, das sie eben vor sich hingesummt hatte, vielleicht hatte er es in
eben diesem Zimmer gesungen, vielleicht während die Mutter — Ohne
eigentlich zu wissen, weshalb, schauderte sie leicht bei dem Gedanken, daß
ihr die Melodie gerade jetzt ans die Zunge gekommen war. Aber nach
einer Weile, als sie ihr Kleid angezogen hatte, sang sie wieder mit leiser
Stimme, während sie sich vor dem Spiegel umdrehte und an ihrem Rücken
hinabsah.

Endlich war sie fertig. Sie trug die Waschkumme hinaus und räumte
im Zimmer auf. Aber plötzlich stand sie mitten in der Stube still und preßte
ihre Hände vors Gesicht, wie um sich zu sammeln.

Ja, was war denn eigentlich geschehen? Nun, wenig genug. Als sie
neulich im Walde war, hörte sie plötzlich eine Stimme in ihrer Nähe laut
singen. Hastig verbarg sie sich unter einem Busch, aber gleich darauf ward
ein Zweig zur Seite gebogen, und ein junger, blonder Mann mit einer
Studentenmütze stand neben ihr. Sie sprang auf und wollte fortlaufen; aber
er sah so gut und rechtschaffen aus und bat sie so eindringlich, sich nicht zu
fürchten, daß sie blieb. Sie gingen mit einander bis an den Rand des Waldes,
wo er ihr freundlich die Hand zum Abschied reichte, ja sogar seine Mütze ab¬
nahm, sodaß sie ganz verschämt eine Blume fallen ließ, die sie zwischen den
Lippen hielt. Zwei Tage später, als sie, ohne an etwas zu deuten, über die
Wiese ging, war er wieder neben ihr. Sie hätte beinahe vor Schrecken ge¬
schrieen. Diesmal endete ihre Begegnung damit, daß sie zusammen Wasserrosen
um Ufer des Flusses pflückten; nud weil sie keine Schürze umhatte, in der
sie die Blumen Hütte nach Hanse tragen können, gab er ihr ein seidnes Taschen¬
tuch und bat sie, es zur Erinnerung an ihn zu behalten. Aber schon am
nächsten Tage sah sie ihn auf dem Wege vorübergehen. Und jedesmal, wenn
sie von nun an den Wald betrat, traf es sich wunderbar, daß sie einander
stets auf irgend eine Weise begegneten. Dann gingen sie regelmäßig ein Stück
Weges zusammen, zuweilen saßen sie auch im Grase oder pflückten Erdbeeren;
am Waldessaum aber gab er ihr regelmäßig die Hand und lüftete höflich die
Mütze. Das war alles, was geschehen war.

Und nun hatte er gesagt, daß er heute kommen würde — vielleicht um
Abschied zu nehmen.

Sie setzte sich auf die Bank und nahm ihr Nähzeug zur Hand. Aber sie
warf es gleich wieder hin und stützte den Kopf in die Hände. So saß sie
lange unbeweglich da. Rings um sie her war es still geworden.


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[0301] Junge Rede Dn fiel ihr plötzlich ein, daß sie in der Schublade zwischen dem andern Zeug ein Paar Ohrringe gesehen hatte, ein Paar kleine silberne Knöpfe. Sie holte sie schnell hervor und probirte sie an, indem sie einen Schritt vom Spiegel zurücktrat; dann nickte sie zufrieden. Plötzlich errötete sie. Sie entsann sich, daß es ein Lied ihres Vaters war, das sie eben vor sich hingesummt hatte, vielleicht hatte er es in eben diesem Zimmer gesungen, vielleicht während die Mutter — Ohne eigentlich zu wissen, weshalb, schauderte sie leicht bei dem Gedanken, daß ihr die Melodie gerade jetzt ans die Zunge gekommen war. Aber nach einer Weile, als sie ihr Kleid angezogen hatte, sang sie wieder mit leiser Stimme, während sie sich vor dem Spiegel umdrehte und an ihrem Rücken hinabsah. Endlich war sie fertig. Sie trug die Waschkumme hinaus und räumte im Zimmer auf. Aber plötzlich stand sie mitten in der Stube still und preßte ihre Hände vors Gesicht, wie um sich zu sammeln. Ja, was war denn eigentlich geschehen? Nun, wenig genug. Als sie neulich im Walde war, hörte sie plötzlich eine Stimme in ihrer Nähe laut singen. Hastig verbarg sie sich unter einem Busch, aber gleich darauf ward ein Zweig zur Seite gebogen, und ein junger, blonder Mann mit einer Studentenmütze stand neben ihr. Sie sprang auf und wollte fortlaufen; aber er sah so gut und rechtschaffen aus und bat sie so eindringlich, sich nicht zu fürchten, daß sie blieb. Sie gingen mit einander bis an den Rand des Waldes, wo er ihr freundlich die Hand zum Abschied reichte, ja sogar seine Mütze ab¬ nahm, sodaß sie ganz verschämt eine Blume fallen ließ, die sie zwischen den Lippen hielt. Zwei Tage später, als sie, ohne an etwas zu deuten, über die Wiese ging, war er wieder neben ihr. Sie hätte beinahe vor Schrecken ge¬ schrieen. Diesmal endete ihre Begegnung damit, daß sie zusammen Wasserrosen um Ufer des Flusses pflückten; nud weil sie keine Schürze umhatte, in der sie die Blumen Hütte nach Hanse tragen können, gab er ihr ein seidnes Taschen¬ tuch und bat sie, es zur Erinnerung an ihn zu behalten. Aber schon am nächsten Tage sah sie ihn auf dem Wege vorübergehen. Und jedesmal, wenn sie von nun an den Wald betrat, traf es sich wunderbar, daß sie einander stets auf irgend eine Weise begegneten. Dann gingen sie regelmäßig ein Stück Weges zusammen, zuweilen saßen sie auch im Grase oder pflückten Erdbeeren; am Waldessaum aber gab er ihr regelmäßig die Hand und lüftete höflich die Mütze. Das war alles, was geschehen war. Und nun hatte er gesagt, daß er heute kommen würde — vielleicht um Abschied zu nehmen. Sie setzte sich auf die Bank und nahm ihr Nähzeug zur Hand. Aber sie warf es gleich wieder hin und stützte den Kopf in die Hände. So saß sie lange unbeweglich da. Rings um sie her war es still geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/301>, abgerufen am 22.12.2024.