Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart

Gesellte eines bleichen Engels erscheint, steigen sie hinab. Aber Jahrtausende
sind ihnen im Rausche vergangen, ohne daß sie es gespürt haben -- die Erde
trägt das Menschengeschlecht nicht mehr. In prächtiger Sprache schildert nun
der Dichter die menschenverlassene Stätte, die Ruhe des Todes über den
Trümmern einer untergegangenen Kultur; der Krieg, die Genußsucht, die
Sinnenlust haben die Menschheit aufgerieben; Faustus kommt mit dem Opfer
seiner Menschenliebe zu spät. Er ist verzweifelt, er fühlt, wie ihn alle Ver-
wünschungen und Seufzer der hilflos dahingesunkneu Brüder treffe", aber
stelln reißt ihn aus seiner Zerknirschung mit dein Gedanken, niederzusteigen,
auf der Erde zu bleiben und ihr ein neues Geschlecht zu schenken, das glück¬
lich werden soll ohne zu kämpfen. Lange genug, sagt sie, hat uns eine frucht¬
lose Liebe berauscht. Ich strebe uach einer zwiefachen Ehre, die mich allein
zum Glück führen kann! Meinem Gatten einen ihm ähnlichen Sohn zu schenken
und einen Himmel ans Erden zu gründen, Engel und Mutter zugleich zu sein!
Steigen wir hinab! -- Wir spielen ein furchtbares Spiel! ruft Faustus aus.--
Stellen Raus 1v Hvuons vnsvmdlv! Aber der Todesengel wendet der Erde den
Nücken und trägt die Seligen durch die Bahnen der Sternenwelt, dorthin, wo
das Glück in der Vergötterung besieht, ein, 8im" rvinorÄs L'üvauvuissoiil, un
oxtastss 1v8 volontös. So erreicht denn Fnitstus endlich das Glück, das er
weder in dem geläuterten Sinnenrausch (lo" Jor<zö8s"), noch in der Welt des
Geistes (Ill, l^nsos) gewinnen könnte, durch den erhabnen Aufschwung seiner
Menschenliebe (lo suiMnw I^for).

Das Glück ist der Lohn der Thätigkeit; nicht der egoistische Taumel im
Gefühlsleben, nicht der Fvrschnngsransch in der Geisteswelt führt dahin, sondern
die freie Bethätigung selbsteutsageuder Menschenliebe, des wahren Mitleids,
das jn im tiefsten Grunde ans Erkenntnis der metaphysischen Identität mit
allen andern Wesen beruht. Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede
Liebe, die nicht Mitleid ist, bleibt Selbstsucht.

So konunt Sullh-Prttdhvmnie trotz aller Anstrengitng nicht aus demZanber-
banne heraus, in den ihn Schopenhauers Ethik versetzt hat. Der Dichter hat
seine poetisch-philosophische Untersuchung mit einem staunenswerten Aufwand
von Gedanken durchgeführt, aber er hat gut gethan, das ganze Werk eine
Träumerei zu nennen, in der mau nicht die strenge Lösung großer Probleme
erwarten dürfe; man Hütte ihn: sonst häusig ins Wort fallen und ihn oft an eigne
Widersprüche und offenbare UnWahrscheinlichkeiten erinnern müssen. So aber
lassen wir uns selbst, wie Faustus und stelln, auf deu Flügel" der suprömv
InMLUso traumhaft von einem Zauberbilde zum andern tragen, von einer
poetischen Freude zur andern leiten, von einer geistvollen Betrachtung zur
andern emporheben.

Die französische Kritik hat dem Dichter vorgeworfen, daß die künstlerische
Form und Ausführung nicht immer den großartigen Gedanken entspreche.


Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart

Gesellte eines bleichen Engels erscheint, steigen sie hinab. Aber Jahrtausende
sind ihnen im Rausche vergangen, ohne daß sie es gespürt haben — die Erde
trägt das Menschengeschlecht nicht mehr. In prächtiger Sprache schildert nun
der Dichter die menschenverlassene Stätte, die Ruhe des Todes über den
Trümmern einer untergegangenen Kultur; der Krieg, die Genußsucht, die
Sinnenlust haben die Menschheit aufgerieben; Faustus kommt mit dem Opfer
seiner Menschenliebe zu spät. Er ist verzweifelt, er fühlt, wie ihn alle Ver-
wünschungen und Seufzer der hilflos dahingesunkneu Brüder treffe», aber
stelln reißt ihn aus seiner Zerknirschung mit dein Gedanken, niederzusteigen,
auf der Erde zu bleiben und ihr ein neues Geschlecht zu schenken, das glück¬
lich werden soll ohne zu kämpfen. Lange genug, sagt sie, hat uns eine frucht¬
lose Liebe berauscht. Ich strebe uach einer zwiefachen Ehre, die mich allein
zum Glück führen kann! Meinem Gatten einen ihm ähnlichen Sohn zu schenken
und einen Himmel ans Erden zu gründen, Engel und Mutter zugleich zu sein!
Steigen wir hinab! — Wir spielen ein furchtbares Spiel! ruft Faustus aus.—
Stellen Raus 1v Hvuons vnsvmdlv! Aber der Todesengel wendet der Erde den
Nücken und trägt die Seligen durch die Bahnen der Sternenwelt, dorthin, wo
das Glück in der Vergötterung besieht, ein, 8im« rvinorÄs L'üvauvuissoiil, un
oxtastss 1v8 volontös. So erreicht denn Fnitstus endlich das Glück, das er
weder in dem geläuterten Sinnenrausch (lo« Jor<zö8s«), noch in der Welt des
Geistes (Ill, l^nsos) gewinnen könnte, durch den erhabnen Aufschwung seiner
Menschenliebe (lo suiMnw I^for).

Das Glück ist der Lohn der Thätigkeit; nicht der egoistische Taumel im
Gefühlsleben, nicht der Fvrschnngsransch in der Geisteswelt führt dahin, sondern
die freie Bethätigung selbsteutsageuder Menschenliebe, des wahren Mitleids,
das jn im tiefsten Grunde ans Erkenntnis der metaphysischen Identität mit
allen andern Wesen beruht. Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede
Liebe, die nicht Mitleid ist, bleibt Selbstsucht.

So konunt Sullh-Prttdhvmnie trotz aller Anstrengitng nicht aus demZanber-
banne heraus, in den ihn Schopenhauers Ethik versetzt hat. Der Dichter hat
seine poetisch-philosophische Untersuchung mit einem staunenswerten Aufwand
von Gedanken durchgeführt, aber er hat gut gethan, das ganze Werk eine
Träumerei zu nennen, in der mau nicht die strenge Lösung großer Probleme
erwarten dürfe; man Hütte ihn: sonst häusig ins Wort fallen und ihn oft an eigne
Widersprüche und offenbare UnWahrscheinlichkeiten erinnern müssen. So aber
lassen wir uns selbst, wie Faustus und stelln, auf deu Flügel» der suprömv
InMLUso traumhaft von einem Zauberbilde zum andern tragen, von einer
poetischen Freude zur andern leiten, von einer geistvollen Betrachtung zur
andern emporheben.

Die französische Kritik hat dem Dichter vorgeworfen, daß die künstlerische
Form und Ausführung nicht immer den großartigen Gedanken entspreche.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206029"/>
          <fw type="header" place="top"> Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_77" prev="#ID_76"> Gesellte eines bleichen Engels erscheint, steigen sie hinab. Aber Jahrtausende<lb/>
sind ihnen im Rausche vergangen, ohne daß sie es gespürt haben &#x2014; die Erde<lb/>
trägt das Menschengeschlecht nicht mehr. In prächtiger Sprache schildert nun<lb/>
der Dichter die menschenverlassene Stätte, die Ruhe des Todes über den<lb/>
Trümmern einer untergegangenen Kultur; der Krieg, die Genußsucht, die<lb/>
Sinnenlust haben die Menschheit aufgerieben; Faustus kommt mit dem Opfer<lb/>
seiner Menschenliebe zu spät. Er ist verzweifelt, er fühlt, wie ihn alle Ver-<lb/>
wünschungen und Seufzer der hilflos dahingesunkneu Brüder treffe», aber<lb/>
stelln reißt ihn aus seiner Zerknirschung mit dein Gedanken, niederzusteigen,<lb/>
auf der Erde zu bleiben und ihr ein neues Geschlecht zu schenken, das glück¬<lb/>
lich werden soll ohne zu kämpfen. Lange genug, sagt sie, hat uns eine frucht¬<lb/>
lose Liebe berauscht. Ich strebe uach einer zwiefachen Ehre, die mich allein<lb/>
zum Glück führen kann! Meinem Gatten einen ihm ähnlichen Sohn zu schenken<lb/>
und einen Himmel ans Erden zu gründen, Engel und Mutter zugleich zu sein!<lb/>
Steigen wir hinab! &#x2014; Wir spielen ein furchtbares Spiel! ruft Faustus aus.&#x2014;<lb/>
Stellen Raus 1v Hvuons vnsvmdlv! Aber der Todesengel wendet der Erde den<lb/>
Nücken und trägt die Seligen durch die Bahnen der Sternenwelt, dorthin, wo<lb/>
das Glück in der Vergötterung besieht, ein, 8im« rvinorÄs L'üvauvuissoiil, un<lb/>
oxtastss 1v8 volontös. So erreicht denn Fnitstus endlich das Glück, das er<lb/>
weder in dem geläuterten Sinnenrausch (lo« Jor&lt;zö8s«), noch in der Welt des<lb/>
Geistes (Ill, l^nsos) gewinnen könnte, durch den erhabnen Aufschwung seiner<lb/>
Menschenliebe (lo suiMnw I^for).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_78"> Das Glück ist der Lohn der Thätigkeit; nicht der egoistische Taumel im<lb/>
Gefühlsleben, nicht der Fvrschnngsransch in der Geisteswelt führt dahin, sondern<lb/>
die freie Bethätigung selbsteutsageuder Menschenliebe, des wahren Mitleids,<lb/>
das jn im tiefsten Grunde ans Erkenntnis der metaphysischen Identität mit<lb/>
allen andern Wesen beruht. Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede<lb/>
Liebe, die nicht Mitleid ist, bleibt Selbstsucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_79"> So konunt Sullh-Prttdhvmnie trotz aller Anstrengitng nicht aus demZanber-<lb/>
banne heraus, in den ihn Schopenhauers Ethik versetzt hat. Der Dichter hat<lb/>
seine poetisch-philosophische Untersuchung mit einem staunenswerten Aufwand<lb/>
von Gedanken durchgeführt, aber er hat gut gethan, das ganze Werk eine<lb/>
Träumerei zu nennen, in der mau nicht die strenge Lösung großer Probleme<lb/>
erwarten dürfe; man Hütte ihn: sonst häusig ins Wort fallen und ihn oft an eigne<lb/>
Widersprüche und offenbare UnWahrscheinlichkeiten erinnern müssen. So aber<lb/>
lassen wir uns selbst, wie Faustus und stelln, auf deu Flügel» der suprömv<lb/>
InMLUso traumhaft von einem Zauberbilde zum andern tragen, von einer<lb/>
poetischen Freude zur andern leiten, von einer geistvollen Betrachtung zur<lb/>
andern emporheben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Die französische Kritik hat dem Dichter vorgeworfen, daß die künstlerische<lb/>
Form und Ausführung nicht immer den großartigen Gedanken entspreche.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart Gesellte eines bleichen Engels erscheint, steigen sie hinab. Aber Jahrtausende sind ihnen im Rausche vergangen, ohne daß sie es gespürt haben — die Erde trägt das Menschengeschlecht nicht mehr. In prächtiger Sprache schildert nun der Dichter die menschenverlassene Stätte, die Ruhe des Todes über den Trümmern einer untergegangenen Kultur; der Krieg, die Genußsucht, die Sinnenlust haben die Menschheit aufgerieben; Faustus kommt mit dem Opfer seiner Menschenliebe zu spät. Er ist verzweifelt, er fühlt, wie ihn alle Ver- wünschungen und Seufzer der hilflos dahingesunkneu Brüder treffe», aber stelln reißt ihn aus seiner Zerknirschung mit dein Gedanken, niederzusteigen, auf der Erde zu bleiben und ihr ein neues Geschlecht zu schenken, das glück¬ lich werden soll ohne zu kämpfen. Lange genug, sagt sie, hat uns eine frucht¬ lose Liebe berauscht. Ich strebe uach einer zwiefachen Ehre, die mich allein zum Glück führen kann! Meinem Gatten einen ihm ähnlichen Sohn zu schenken und einen Himmel ans Erden zu gründen, Engel und Mutter zugleich zu sein! Steigen wir hinab! — Wir spielen ein furchtbares Spiel! ruft Faustus aus.— Stellen Raus 1v Hvuons vnsvmdlv! Aber der Todesengel wendet der Erde den Nücken und trägt die Seligen durch die Bahnen der Sternenwelt, dorthin, wo das Glück in der Vergötterung besieht, ein, 8im« rvinorÄs L'üvauvuissoiil, un oxtastss 1v8 volontös. So erreicht denn Fnitstus endlich das Glück, das er weder in dem geläuterten Sinnenrausch (lo« Jor<zö8s«), noch in der Welt des Geistes (Ill, l^nsos) gewinnen könnte, durch den erhabnen Aufschwung seiner Menschenliebe (lo suiMnw I^for). Das Glück ist der Lohn der Thätigkeit; nicht der egoistische Taumel im Gefühlsleben, nicht der Fvrschnngsransch in der Geisteswelt führt dahin, sondern die freie Bethätigung selbsteutsageuder Menschenliebe, des wahren Mitleids, das jn im tiefsten Grunde ans Erkenntnis der metaphysischen Identität mit allen andern Wesen beruht. Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, bleibt Selbstsucht. So konunt Sullh-Prttdhvmnie trotz aller Anstrengitng nicht aus demZanber- banne heraus, in den ihn Schopenhauers Ethik versetzt hat. Der Dichter hat seine poetisch-philosophische Untersuchung mit einem staunenswerten Aufwand von Gedanken durchgeführt, aber er hat gut gethan, das ganze Werk eine Träumerei zu nennen, in der mau nicht die strenge Lösung großer Probleme erwarten dürfe; man Hütte ihn: sonst häusig ins Wort fallen und ihn oft an eigne Widersprüche und offenbare UnWahrscheinlichkeiten erinnern müssen. So aber lassen wir uns selbst, wie Faustus und stelln, auf deu Flügel» der suprömv InMLUso traumhaft von einem Zauberbilde zum andern tragen, von einer poetischen Freude zur andern leiten, von einer geistvollen Betrachtung zur andern emporheben. Die französische Kritik hat dem Dichter vorgeworfen, daß die künstlerische Form und Ausführung nicht immer den großartigen Gedanken entspreche.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/30
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/30>, abgerufen am 22.07.2024.