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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Umsor in Stambul und Athen

zur Erhalticng des europäischen Friedens in eine Verbindung verwandeln, die
den Nusbruch eines Krieges wahrscheinlicher "nichte. Das Kleeblatt Deutsch¬
land, Österreich und Italien wirkt als Oliveublatt, es bannt feindselige Gelüste,
weil die drei Staaten, die es bilden, befriedigte politische (Gemeinschaften sind;
die österreichisch-ungarischen Slawen und die Jrredenta Italiens lärmen zwar
gelegentlich recht laut, habe"? aber für die große Politik keine Bedeutung als
die, die ihnen ihre überspannten Volksredner und ihre querköpfigen Zeitungs¬
schreiber beimessen. Die Fürsten, lind Völker jener Länder sind zufrieden mit
dem, was sie sind, haben und gelten, und sehen nnr Feinde neben sich, die
sich vor einem Angriff auf sie Hüten werden, so lange sie vereinigt bleiben,
indem, ein solcher Angriff, wie dieser Tage selbst ein französischer Soldat
öffentlich zugestand, sehr wahrscheinlich mit einer furchtbaren Niederlage der
Friedensbrecher enden würde. Wollte mau die Türkei in diese" Zauberkreis
der Verteidigung gegen böse Geister hineinziehen, so hieße das, diese Geister in
übergroßem Selbstvertrauen herbeirufen. Die Türkei würde allerlei Un-
willkvmmnes mitbringen: die Ansprüche Bulgariens ans volle Unabhängigkeit
und ans Einverleibung Makedoniens, die Bestrebungen der Pauserben, die
griechische Großmannssucht mit ihrer voreiligen Begier u. dergl, in. Fürst
Bismarck, der Schöpfer des Dreibnndes, denkt sicherlich nicht an eine solche
Umbildung seines verheißungsvoller Kindes, und sein Kaiser steht ihr un¬
zweifelhaft ganz ebenso sern. Er hat neulich in Berlin an der Seite des
Zaren auf die tapfer" Soldaten, die Plewna stürmten, getrunken, was gewiß
nicht wie eine Andeutung des Wunsches klang, sich mit dem Gegner dieser
Kriegsleute zu verbünden. Er ist dann nach Athen zum Besuche des Königs
von Griechenland gegangen, einem Staate, der nnr gewinnen kann, wenn die
benachbarte Pforte verliert. Der nächste Anlaß hierzu war eine Familienfeier,
eine Hochzeit ans seinem Hanse, der sich auch keine andre Bedeutung beilegen
läßt als die eiuer Vermählung zweier Fürsteitkinder. "Und als er die Schwester
dem Gatten gefreit," begab er sich nach dem nicht mehr fernen Konstantinopel --
ein Abstecher, den nur nnr als Teil eines Tvuristenprvgramms auffassen dürfen,
wenn wir ihn natürlich deuten wollen. Kaiser Wilhelm hat das Bedürfnis,
wie Odysseus vieler Menschen Städte und Länder zu sehen, und, einmal in
Athen, wünschte er auch die nnn so nahe liegende schönste dieser Städte zu
besuchen. Er fuhr nach dem Bosporus zu keinem andern Zwecke als zu dem,
der ihn uach den Lofoten führte. Jngendfrisch, von unruhigem Temperament,
wanderlustig, hat er im Reisen innerhalb eines Jahres mehr geleistet als seine
Vorfahren in Jahrzehnten. Warum in aller Welt sollte er sich nicht auch
das Vergnügen gewähren, die Prachtstube am Goldner Horn seinen Tvnristen-
erinnernngen einzuverleiben? War es doch daneben fast ein Gebot der Höflich¬
keit, von Athen ans dem Sultan einen Besuch abzustatten.

Der Name Athens veranlaßt uns, noch ein paar Worte über Griechen-


Der Umsor in Stambul und Athen

zur Erhalticng des europäischen Friedens in eine Verbindung verwandeln, die
den Nusbruch eines Krieges wahrscheinlicher »nichte. Das Kleeblatt Deutsch¬
land, Österreich und Italien wirkt als Oliveublatt, es bannt feindselige Gelüste,
weil die drei Staaten, die es bilden, befriedigte politische (Gemeinschaften sind;
die österreichisch-ungarischen Slawen und die Jrredenta Italiens lärmen zwar
gelegentlich recht laut, habe»? aber für die große Politik keine Bedeutung als
die, die ihnen ihre überspannten Volksredner und ihre querköpfigen Zeitungs¬
schreiber beimessen. Die Fürsten, lind Völker jener Länder sind zufrieden mit
dem, was sie sind, haben und gelten, und sehen nnr Feinde neben sich, die
sich vor einem Angriff auf sie Hüten werden, so lange sie vereinigt bleiben,
indem, ein solcher Angriff, wie dieser Tage selbst ein französischer Soldat
öffentlich zugestand, sehr wahrscheinlich mit einer furchtbaren Niederlage der
Friedensbrecher enden würde. Wollte mau die Türkei in diese» Zauberkreis
der Verteidigung gegen böse Geister hineinziehen, so hieße das, diese Geister in
übergroßem Selbstvertrauen herbeirufen. Die Türkei würde allerlei Un-
willkvmmnes mitbringen: die Ansprüche Bulgariens ans volle Unabhängigkeit
und ans Einverleibung Makedoniens, die Bestrebungen der Pauserben, die
griechische Großmannssucht mit ihrer voreiligen Begier u. dergl, in. Fürst
Bismarck, der Schöpfer des Dreibnndes, denkt sicherlich nicht an eine solche
Umbildung seines verheißungsvoller Kindes, und sein Kaiser steht ihr un¬
zweifelhaft ganz ebenso sern. Er hat neulich in Berlin an der Seite des
Zaren auf die tapfer» Soldaten, die Plewna stürmten, getrunken, was gewiß
nicht wie eine Andeutung des Wunsches klang, sich mit dem Gegner dieser
Kriegsleute zu verbünden. Er ist dann nach Athen zum Besuche des Königs
von Griechenland gegangen, einem Staate, der nnr gewinnen kann, wenn die
benachbarte Pforte verliert. Der nächste Anlaß hierzu war eine Familienfeier,
eine Hochzeit ans seinem Hanse, der sich auch keine andre Bedeutung beilegen
läßt als die eiuer Vermählung zweier Fürsteitkinder. „Und als er die Schwester
dem Gatten gefreit," begab er sich nach dem nicht mehr fernen Konstantinopel —
ein Abstecher, den nur nnr als Teil eines Tvuristenprvgramms auffassen dürfen,
wenn wir ihn natürlich deuten wollen. Kaiser Wilhelm hat das Bedürfnis,
wie Odysseus vieler Menschen Städte und Länder zu sehen, und, einmal in
Athen, wünschte er auch die nnn so nahe liegende schönste dieser Städte zu
besuchen. Er fuhr nach dem Bosporus zu keinem andern Zwecke als zu dem,
der ihn uach den Lofoten führte. Jngendfrisch, von unruhigem Temperament,
wanderlustig, hat er im Reisen innerhalb eines Jahres mehr geleistet als seine
Vorfahren in Jahrzehnten. Warum in aller Welt sollte er sich nicht auch
das Vergnügen gewähren, die Prachtstube am Goldner Horn seinen Tvnristen-
erinnernngen einzuverleiben? War es doch daneben fast ein Gebot der Höflich¬
keit, von Athen ans dem Sultan einen Besuch abzustatten.

Der Name Athens veranlaßt uns, noch ein paar Worte über Griechen-


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[0262] Der Umsor in Stambul und Athen zur Erhalticng des europäischen Friedens in eine Verbindung verwandeln, die den Nusbruch eines Krieges wahrscheinlicher »nichte. Das Kleeblatt Deutsch¬ land, Österreich und Italien wirkt als Oliveublatt, es bannt feindselige Gelüste, weil die drei Staaten, die es bilden, befriedigte politische (Gemeinschaften sind; die österreichisch-ungarischen Slawen und die Jrredenta Italiens lärmen zwar gelegentlich recht laut, habe»? aber für die große Politik keine Bedeutung als die, die ihnen ihre überspannten Volksredner und ihre querköpfigen Zeitungs¬ schreiber beimessen. Die Fürsten, lind Völker jener Länder sind zufrieden mit dem, was sie sind, haben und gelten, und sehen nnr Feinde neben sich, die sich vor einem Angriff auf sie Hüten werden, so lange sie vereinigt bleiben, indem, ein solcher Angriff, wie dieser Tage selbst ein französischer Soldat öffentlich zugestand, sehr wahrscheinlich mit einer furchtbaren Niederlage der Friedensbrecher enden würde. Wollte mau die Türkei in diese» Zauberkreis der Verteidigung gegen böse Geister hineinziehen, so hieße das, diese Geister in übergroßem Selbstvertrauen herbeirufen. Die Türkei würde allerlei Un- willkvmmnes mitbringen: die Ansprüche Bulgariens ans volle Unabhängigkeit und ans Einverleibung Makedoniens, die Bestrebungen der Pauserben, die griechische Großmannssucht mit ihrer voreiligen Begier u. dergl, in. Fürst Bismarck, der Schöpfer des Dreibnndes, denkt sicherlich nicht an eine solche Umbildung seines verheißungsvoller Kindes, und sein Kaiser steht ihr un¬ zweifelhaft ganz ebenso sern. Er hat neulich in Berlin an der Seite des Zaren auf die tapfer» Soldaten, die Plewna stürmten, getrunken, was gewiß nicht wie eine Andeutung des Wunsches klang, sich mit dem Gegner dieser Kriegsleute zu verbünden. Er ist dann nach Athen zum Besuche des Königs von Griechenland gegangen, einem Staate, der nnr gewinnen kann, wenn die benachbarte Pforte verliert. Der nächste Anlaß hierzu war eine Familienfeier, eine Hochzeit ans seinem Hanse, der sich auch keine andre Bedeutung beilegen läßt als die eiuer Vermählung zweier Fürsteitkinder. „Und als er die Schwester dem Gatten gefreit," begab er sich nach dem nicht mehr fernen Konstantinopel — ein Abstecher, den nur nnr als Teil eines Tvuristenprvgramms auffassen dürfen, wenn wir ihn natürlich deuten wollen. Kaiser Wilhelm hat das Bedürfnis, wie Odysseus vieler Menschen Städte und Länder zu sehen, und, einmal in Athen, wünschte er auch die nnn so nahe liegende schönste dieser Städte zu besuchen. Er fuhr nach dem Bosporus zu keinem andern Zwecke als zu dem, der ihn uach den Lofoten führte. Jngendfrisch, von unruhigem Temperament, wanderlustig, hat er im Reisen innerhalb eines Jahres mehr geleistet als seine Vorfahren in Jahrzehnten. Warum in aller Welt sollte er sich nicht auch das Vergnügen gewähren, die Prachtstube am Goldner Horn seinen Tvnristen- erinnernngen einzuverleiben? War es doch daneben fast ein Gebot der Höflich¬ keit, von Athen ans dem Sultan einen Besuch abzustatten. Der Name Athens veranlaßt uns, noch ein paar Worte über Griechen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/262>, abgerufen am 22.12.2024.