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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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die Wälder lagerten, so zauberten diese ihrem Blick ein ganzes Liebesparndies
vor, einen Garten der Liebe mit schattigen Gängen und süß duftenden Hainen,
in die sie sich in Gedanken mit ihrem Geliebten verlor.

Wenn sie aber dann von diesen seligen Wanderungen ihren Blick wieder
der Erde zuwandte und sich in der dumpfen, räucherigen Stube umschaute, in
deren Staub und Fuselgestank ihre Tage verrinnen sollten, dann verfinsterten
sich ihre Züge. War es denn nicht alles vergebens? Waren es nicht Gaukel¬
bilder und eitle Träume? Konnte ihr dies Wunderland jemals seine Thore
erschließen, konnte sie auch nur ein einzigesmcil jenes überirdische Glück kosten?
Es ging ihr wie ein Stich durchs Herz, wenn sie aus ihren seligen Träumen
von zärtlichen Liebkosungen, von liebevollen Worten und weichem Händedruck
erwachend sich mitten unter den trunkner Reden, den schmutzigen Flüchen und
den starren, stierenden Angen der Mutter befand.

Eine heimliche Angst überkam sie, sobald es ihr klar wurde, was Jespers
häufige Besuche und sein merkwürdiges Benehmen bezweckten. Er kam in der
letzten Zeit beinahe täglich, und dann saß er zwischen den andern, die Hände
unter dem Tische, das Kinn ans die Tischplatte gestützt und blickte sie fast
unverwandt mit einem Lächeln an, das ihr das Blut erstarren machte. Zu¬
weilen, besonders wenn er getrunken hatte, setzte er sich hin und beunruhigte
sie mit seiner plumpen Faust. Und ihr Entsetzen verringerte sich nicht, als
sie gewahr wurde, daß nicht er allem sich auf diese Weise bei ihr einschmeicheln
wollte, sondern daß sie alle, selbst Lars Einange, mit dahinter steckten und im
geheimen seinen Plan unterstützten.

Mit Zagen und Verminderung fragte sie sich einmal über das andre, ob
dies wirklich das Los sein könne, das ihr beschieden sei? Ob dies wirklich
das sei, was ihr Glück sein solle?

Dann schwur sie sich selber im stillen zu, daß dies nicht der Fall sein
sollte. Eher wollte sie sich vou wilden Pferden zerreißen lassen, wollte sich
ins Meer stürzen! Aber in den vielen schweren, trübseligen Stunden, die jetzt
über sie hereinbrachen, fragte sie sich dann wieder selber, welche andre Hoff¬
nung es wohl für ein armes Mädchen wie sie gebe, welches andre und bessere
Schicksal sie wohl erwarten könne, und ob sie nicht unwiderruflich und auf
ewig zu einem dunkeln, freudlosen Leben verurteilt sei. Es geschah ja nur im
Märchen, daß Ritter Robert an die Thür der armen Hirtin pochte. Und
selbst wenn es geschah -- wie war es nicht Webers Jörgine ergangen, die
sich im verflossenen Jahr erhängte! oder der armen Ane-Mette, mit der sie
selber eingesegnet worden war! oder -- und sie schauderte -- ihrer eignen
Mutter!

Zuweilen empfand sie eine seltsame Aufregung bei dein Gedanken, daß sie
das Kind einer solchen Verbindung war, die Frucht eines kurzen, glückliche"
Beisammenseins, vielleicht in einem Walde, vielleicht unter dem nächtlichen


die Wälder lagerten, so zauberten diese ihrem Blick ein ganzes Liebesparndies
vor, einen Garten der Liebe mit schattigen Gängen und süß duftenden Hainen,
in die sie sich in Gedanken mit ihrem Geliebten verlor.

Wenn sie aber dann von diesen seligen Wanderungen ihren Blick wieder
der Erde zuwandte und sich in der dumpfen, räucherigen Stube umschaute, in
deren Staub und Fuselgestank ihre Tage verrinnen sollten, dann verfinsterten
sich ihre Züge. War es denn nicht alles vergebens? Waren es nicht Gaukel¬
bilder und eitle Träume? Konnte ihr dies Wunderland jemals seine Thore
erschließen, konnte sie auch nur ein einzigesmcil jenes überirdische Glück kosten?
Es ging ihr wie ein Stich durchs Herz, wenn sie aus ihren seligen Träumen
von zärtlichen Liebkosungen, von liebevollen Worten und weichem Händedruck
erwachend sich mitten unter den trunkner Reden, den schmutzigen Flüchen und
den starren, stierenden Angen der Mutter befand.

Eine heimliche Angst überkam sie, sobald es ihr klar wurde, was Jespers
häufige Besuche und sein merkwürdiges Benehmen bezweckten. Er kam in der
letzten Zeit beinahe täglich, und dann saß er zwischen den andern, die Hände
unter dem Tische, das Kinn ans die Tischplatte gestützt und blickte sie fast
unverwandt mit einem Lächeln an, das ihr das Blut erstarren machte. Zu¬
weilen, besonders wenn er getrunken hatte, setzte er sich hin und beunruhigte
sie mit seiner plumpen Faust. Und ihr Entsetzen verringerte sich nicht, als
sie gewahr wurde, daß nicht er allem sich auf diese Weise bei ihr einschmeicheln
wollte, sondern daß sie alle, selbst Lars Einange, mit dahinter steckten und im
geheimen seinen Plan unterstützten.

Mit Zagen und Verminderung fragte sie sich einmal über das andre, ob
dies wirklich das Los sein könne, das ihr beschieden sei? Ob dies wirklich
das sei, was ihr Glück sein solle?

Dann schwur sie sich selber im stillen zu, daß dies nicht der Fall sein
sollte. Eher wollte sie sich vou wilden Pferden zerreißen lassen, wollte sich
ins Meer stürzen! Aber in den vielen schweren, trübseligen Stunden, die jetzt
über sie hereinbrachen, fragte sie sich dann wieder selber, welche andre Hoff¬
nung es wohl für ein armes Mädchen wie sie gebe, welches andre und bessere
Schicksal sie wohl erwarten könne, und ob sie nicht unwiderruflich und auf
ewig zu einem dunkeln, freudlosen Leben verurteilt sei. Es geschah ja nur im
Märchen, daß Ritter Robert an die Thür der armen Hirtin pochte. Und
selbst wenn es geschah — wie war es nicht Webers Jörgine ergangen, die
sich im verflossenen Jahr erhängte! oder der armen Ane-Mette, mit der sie
selber eingesegnet worden war! oder — und sie schauderte — ihrer eignen
Mutter!

Zuweilen empfand sie eine seltsame Aufregung bei dein Gedanken, daß sie
das Kind einer solchen Verbindung war, die Frucht eines kurzen, glückliche»
Beisammenseins, vielleicht in einem Walde, vielleicht unter dem nächtlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/247>, abgerufen am 22.07.2024.