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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Von dem lange verzögerten, endlich doch erfolgten Gegenbesuche des Zaren
i" Berlin wurde nicht viel erwartet. Gleichwohl scheint es, als sei es dabei
zu einer gewissen Verständigung gekommen. Was insbesondre die Unterredung
unsers Reichskanzlers mit dein Kaiser Alexander betrifft, so ist darüber aller¬
dings nichts Bestimmtes in die Öffentlichkeit gedrungen, aber ein Teil dessen,
was darüber berichtet wurde, verdient als wahrscheinlich augesehen zu werden.
Dahin gehört zunächst die Mitteilung, daß der Zar dem Fürsten Vismarck seinen
Dank für sein Auftrete,, gegen die Anarchisten in der Schweiz ausgesprochen und
dabei bemerkt habe, diese Frage verbinde überhaupt alle Monarchien, und der
Fürst könne ihm dazu vo" großem Nutzen sein. Diese Äußerungen erinnern
an ähnliche, die in den ersten Jahren nach 1870, als der Kommuneanfstand
die Welt erschreckte und die Internationale in Deutschland, Österreich und
Nußland zu gemeinsamen Gegenmaßregeln aufforderte, zu denen von Berlin
aus angeregt wurde, von Seiten des Vaters des Zaren ergingen und seine
lebhafte Anerkennung der Solidarität der Monarchien gegenüber den anarchi-
schen Parteien bekundeten. Ferner dürfte dahin die Nachricht gehören, daß der
Zar dem Fürsten die Meldung der deutscheu Blätter von dem Berichte Obru-
tschews als auf Mißverständnis beruhend bezeichnet habe. Ganz naturgemäß
sei es doch, daß der Chef des Genernlstabes der russischen Armee sie und das
Reich so stark als nnr möglich zu machen strebe, und wenn er darüber all¬
jährlich seinem Kaiser Bericht erstatte, so sei dies in Deutschland gleichfalls
Gebrauch. Glaubwürdig ist sodann, daß die Frage der Rüstungen nicht weiter
zur Sprache gekommen und daß Erklärungen über die Stellung Deutschlands
zu Österreich-Ungar" vom Zaren uicht verlangt und vom Fürsten nicht gegeben
worden seien. Ob man zu einem Einvernehmen bezüglich derjenigen besondern
internationale,, Fragen gelangt ist, die den Keim zu Zerwürfnissen des Drei¬
bundes mi Rußland einschließen könnten, d. h. zu einem Abkommen über die
Angelegenheiten, die die Zukunft der Balkanstaateu betreffen, ist nicht bekannt.
Da diese Dinge aber für die Erhaltung des Friedens von größter Bedeutung
sind, so ist anzunehmen, daß über sie verhandelt worden ist, und daß die Be¬
sprechung zu dem befriedigenden Ergebnis geführt hat, das die Thronrede
andeutet. Aller Wahrscheinlichkeit "ach kam der Kaiser Alexander mit der
Besorgnis uach Berlin, die leitenden Politiker des Dreibundes könnten eine
ihnen günstig vorkommende Gelegenheit ergreifen, Rußland im Südosten vor
die Kriegsfrage zu stellen, oder Deutschland könnte im Hinblick ans gewisse
militärische Aussichten einen Krieg mit Frankreich vom Zaune brechen und
Rußland nötigen, sich über die Teilnahme an einem solchen zu entscheiden.
War dies in der That der Fall, so ist zu vermuten, daß es in beiden Be¬
ziehungen gelungen ist, dein Zaren seinen Argwohn zu benehmen, und das
wird in Bezug auf die Balkanfragen dadurch geschehen sein, daß Fürst Vis¬
marck sich im Sinne der Erklärungen geäußert hat, die er in seiner Rede vom


Von dem lange verzögerten, endlich doch erfolgten Gegenbesuche des Zaren
i» Berlin wurde nicht viel erwartet. Gleichwohl scheint es, als sei es dabei
zu einer gewissen Verständigung gekommen. Was insbesondre die Unterredung
unsers Reichskanzlers mit dein Kaiser Alexander betrifft, so ist darüber aller¬
dings nichts Bestimmtes in die Öffentlichkeit gedrungen, aber ein Teil dessen,
was darüber berichtet wurde, verdient als wahrscheinlich augesehen zu werden.
Dahin gehört zunächst die Mitteilung, daß der Zar dem Fürsten Vismarck seinen
Dank für sein Auftrete,, gegen die Anarchisten in der Schweiz ausgesprochen und
dabei bemerkt habe, diese Frage verbinde überhaupt alle Monarchien, und der
Fürst könne ihm dazu vo» großem Nutzen sein. Diese Äußerungen erinnern
an ähnliche, die in den ersten Jahren nach 1870, als der Kommuneanfstand
die Welt erschreckte und die Internationale in Deutschland, Österreich und
Nußland zu gemeinsamen Gegenmaßregeln aufforderte, zu denen von Berlin
aus angeregt wurde, von Seiten des Vaters des Zaren ergingen und seine
lebhafte Anerkennung der Solidarität der Monarchien gegenüber den anarchi-
schen Parteien bekundeten. Ferner dürfte dahin die Nachricht gehören, daß der
Zar dem Fürsten die Meldung der deutscheu Blätter von dem Berichte Obru-
tschews als auf Mißverständnis beruhend bezeichnet habe. Ganz naturgemäß
sei es doch, daß der Chef des Genernlstabes der russischen Armee sie und das
Reich so stark als nnr möglich zu machen strebe, und wenn er darüber all¬
jährlich seinem Kaiser Bericht erstatte, so sei dies in Deutschland gleichfalls
Gebrauch. Glaubwürdig ist sodann, daß die Frage der Rüstungen nicht weiter
zur Sprache gekommen und daß Erklärungen über die Stellung Deutschlands
zu Österreich-Ungar» vom Zaren uicht verlangt und vom Fürsten nicht gegeben
worden seien. Ob man zu einem Einvernehmen bezüglich derjenigen besondern
internationale,, Fragen gelangt ist, die den Keim zu Zerwürfnissen des Drei¬
bundes mi Rußland einschließen könnten, d. h. zu einem Abkommen über die
Angelegenheiten, die die Zukunft der Balkanstaateu betreffen, ist nicht bekannt.
Da diese Dinge aber für die Erhaltung des Friedens von größter Bedeutung
sind, so ist anzunehmen, daß über sie verhandelt worden ist, und daß die Be¬
sprechung zu dem befriedigenden Ergebnis geführt hat, das die Thronrede
andeutet. Aller Wahrscheinlichkeit »ach kam der Kaiser Alexander mit der
Besorgnis uach Berlin, die leitenden Politiker des Dreibundes könnten eine
ihnen günstig vorkommende Gelegenheit ergreifen, Rußland im Südosten vor
die Kriegsfrage zu stellen, oder Deutschland könnte im Hinblick ans gewisse
militärische Aussichten einen Krieg mit Frankreich vom Zaune brechen und
Rußland nötigen, sich über die Teilnahme an einem solchen zu entscheiden.
War dies in der That der Fall, so ist zu vermuten, daß es in beiden Be¬
ziehungen gelungen ist, dein Zaren seinen Argwohn zu benehmen, und das
wird in Bezug auf die Balkanfragen dadurch geschehen sein, daß Fürst Vis¬
marck sich im Sinne der Erklärungen geäußert hat, die er in seiner Rede vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/210>, abgerufen am 22.07.2024.