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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die französische Emigration und die öffentliche Meinung in Deutschland

stitution znsammenthue und darin die Unterwerfung der Minderheit nnter die
Mehrheit zum Gesetz erhebe. Ehe das aber geschehen sei, befinde sich die Ge¬
sellschaft, nach dem Dahinfallen der alten Verfassung, im Naturzustände, worin
die Mehrheit die Minderheit nicht binde. Der Minderheit, die von der Kon¬
stitution nichts wissen wolle, sei es daher rechtlich unverwehrt, auszuwandern
und dann als Macht gegen Macht dem Staate, um welchem sie selbst keinen
Anteil habe, den Krieg zu erklären.

Auch den treffendsten theoretischen Erörterungen hätte es freilich schwer
fallen müssen, in der öffentlichen Meinung den Sieg davonzutragen über die
Eindrücke, die das persönliche Betragen der hervorragendsten Teile der Emi¬
gration sowie der Anblick dessen, was ihnen aus deutscher Erde gestattet wurde,
hervorbrachte. Das alte Frankreich, wie es sich in den Unarten und Untugenden
dieser Ausgewanderten darstellte, und das alte deutsche Reich, das in seiner
Schwäche den Tummelplatz für diese Unarten und Untugenden darbot, schienen
hier zusammenwirken und wetteifern zu wollen, um der modernen Welt das
grellste Ärgernis darzubieten. Stieg doch der Unfug auf eine Höhe, daß es
sich schließlich sür manche deutsche Regierungsgewalten nicht mehr um die
Frage, was sie deu Emigranten gestatten wollten, sondern ob man ihnen
noch überhaupt etwas verwehren könne, zu handeln schien. Als Kaiser
Leopold II. gegen Ausgang des Jahres 17!N kraft seiner kaiserlichen Autorität
den lebhaften Vorstellungen, die von Paris einliefen, durch Weisungen an die
Landesherrschafteu Folge gab, und es nun darauf ankam, die Emigranten von
der französischen Grenze zu entfernen, sowie ihre Kriegsvorbereitungen abzustellen,
ließen sich hie und da die Dinge wunderlich an. Mntmaßlich um diese Zeit
hielten die französischen Prinzen in Koblenz den Korsen, von welchem berichtet
wird, daß darin selbst der Gedanke laut geworden sei, sich des Trierschen
Landes, vor allem der Stadt Koblenz und des Ehrcubreitstein noblömsnt zu
bemächtigen und sich als Herren daselbst auszuwerfen. Unabhängig von deu
deutschen Gewalten und ihnen zum Trotze hätte dann dort ein Sammelpunkt
für alle französischen Ausgewanderten und ein Ausgangspunkt für die Unter¬
nehmung gegen Frankreich geschaffen werden sollen. Am Rhein und in Schwaben
mußten die Reichs- und Landesbehörden ein wachsames Ange haben. Truppen
des Nicomte von Mirabeau plünderten in einem württembergischen Amte; der
Herzog des Landes setzte Streitkräfte in Bewegung und wehrte dann auch dem
Corps des Kardinals Rohan (gewesenen Bischofs von Straßburg) den Eintritt
in sein Gebiet. Der Markgraf von Baden hielt scharf darauf, daß durch sein
Land kein gewaffneter Durchzug stattfand. Aber an mehr als einem Orte blieb
Organisation und Rüstung so ziemlich ans dem bisherigen Fuße. Der Fürst
von Hohenlohe-Schillingsfiirst schloß sogar einen Subsidienvertrag mit den
Prinzen und nahm infolge dessen die Mirabeansche Legion mit Waffen, Artillerie
und Munition in sein Ländchen ans. Seine Unterthanen erhoben Widerspruch,


Die französische Emigration und die öffentliche Meinung in Deutschland

stitution znsammenthue und darin die Unterwerfung der Minderheit nnter die
Mehrheit zum Gesetz erhebe. Ehe das aber geschehen sei, befinde sich die Ge¬
sellschaft, nach dem Dahinfallen der alten Verfassung, im Naturzustände, worin
die Mehrheit die Minderheit nicht binde. Der Minderheit, die von der Kon¬
stitution nichts wissen wolle, sei es daher rechtlich unverwehrt, auszuwandern
und dann als Macht gegen Macht dem Staate, um welchem sie selbst keinen
Anteil habe, den Krieg zu erklären.

Auch den treffendsten theoretischen Erörterungen hätte es freilich schwer
fallen müssen, in der öffentlichen Meinung den Sieg davonzutragen über die
Eindrücke, die das persönliche Betragen der hervorragendsten Teile der Emi¬
gration sowie der Anblick dessen, was ihnen aus deutscher Erde gestattet wurde,
hervorbrachte. Das alte Frankreich, wie es sich in den Unarten und Untugenden
dieser Ausgewanderten darstellte, und das alte deutsche Reich, das in seiner
Schwäche den Tummelplatz für diese Unarten und Untugenden darbot, schienen
hier zusammenwirken und wetteifern zu wollen, um der modernen Welt das
grellste Ärgernis darzubieten. Stieg doch der Unfug auf eine Höhe, daß es
sich schließlich sür manche deutsche Regierungsgewalten nicht mehr um die
Frage, was sie deu Emigranten gestatten wollten, sondern ob man ihnen
noch überhaupt etwas verwehren könne, zu handeln schien. Als Kaiser
Leopold II. gegen Ausgang des Jahres 17!N kraft seiner kaiserlichen Autorität
den lebhaften Vorstellungen, die von Paris einliefen, durch Weisungen an die
Landesherrschafteu Folge gab, und es nun darauf ankam, die Emigranten von
der französischen Grenze zu entfernen, sowie ihre Kriegsvorbereitungen abzustellen,
ließen sich hie und da die Dinge wunderlich an. Mntmaßlich um diese Zeit
hielten die französischen Prinzen in Koblenz den Korsen, von welchem berichtet
wird, daß darin selbst der Gedanke laut geworden sei, sich des Trierschen
Landes, vor allem der Stadt Koblenz und des Ehrcubreitstein noblömsnt zu
bemächtigen und sich als Herren daselbst auszuwerfen. Unabhängig von deu
deutschen Gewalten und ihnen zum Trotze hätte dann dort ein Sammelpunkt
für alle französischen Ausgewanderten und ein Ausgangspunkt für die Unter¬
nehmung gegen Frankreich geschaffen werden sollen. Am Rhein und in Schwaben
mußten die Reichs- und Landesbehörden ein wachsames Ange haben. Truppen
des Nicomte von Mirabeau plünderten in einem württembergischen Amte; der
Herzog des Landes setzte Streitkräfte in Bewegung und wehrte dann auch dem
Corps des Kardinals Rohan (gewesenen Bischofs von Straßburg) den Eintritt
in sein Gebiet. Der Markgraf von Baden hielt scharf darauf, daß durch sein
Land kein gewaffneter Durchzug stattfand. Aber an mehr als einem Orte blieb
Organisation und Rüstung so ziemlich ans dem bisherigen Fuße. Der Fürst
von Hohenlohe-Schillingsfiirst schloß sogar einen Subsidienvertrag mit den
Prinzen und nahm infolge dessen die Mirabeansche Legion mit Waffen, Artillerie
und Munition in sein Ländchen ans. Seine Unterthanen erhoben Widerspruch,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/181>, abgerufen am 22.07.2024.