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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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nur dazu dienen, dem Reichstage eine Bürgschaft für dessen ordnungsmäßigen
Gebrauch zu gewähren. Darnach ist es fast komisch, wenn uativualliberale
Organe jetzt ihre Partei gewissermaßen entschuldigen, daß sie so lauge Jahre
hindurch für Aufrechthaltung des Gesetzes gestimmt habe. Bei allen Ver¬
ständigen der Partei ist dies im vollen Bewußtsein der andauernden Not¬
wendigkeit geschehen; gerade so, wie im Bewußtsein dieser Notwendigkeit auch
große Teile der Freisinnigen und des Zentrums bei der Abstimmung im
Jahre 1884 für die Verlängerung des Gesetzes gestimmt haben.

Fragen wir nun, wie etwa ein gemildertes gegen die Sozialdemokratie
gerichtetes Spezialgesctz aussehen konnte, so sind die in dieser Beziehung ge¬
machten Vorschläge äußerst dürftig.

Die Kölnische Zeitung, die in diesem Preßfeldzug eine relativ maßvolle
Stellung eingenommen hat, hat kürzlich verkündigt, wie sie sich die neue Spezial-
gesetzgebnng "in allgemeinen Umrissen" etwa denke. An die Stelle der Ver-
waltnngsorgane und der Beschwerdekommissiou sollen die höchste" Gerichts¬
höfe -- Reichsgericht, Oberverwaltungsgericht, Oberlandesgericht -- treten.
Die strafbaren Bestrebungen und Vergehen sollen eine schärfere, jeden Mi߬
brauch ausschließende Begriffsbestimmung erhalten. Die Ausweisnngs- und
Unterdrücknngsbefngnissc sollen beschnitten, die Verhängung des kleinen Be¬
lagerungszustandes auf Berlin beschränkt werben. ES leuchtet ein, daß auch
diese Vorschläge noch sehr verschwimmend gehalten sind. Am wenigsten können
Nur uns einen praktische" Erfolg von der begehrten "schärfern BegriffSbestnn-
mung" verspreche". ES wird doch immer alles von den Menschen abhängen,
die sie handhabe". An die Stelle der jetzigen Organe die schwerfälligen höchsten
Gerichtshöfe zu setze", halten Nur für keinen glücklichen Gedanken; und vor
allem möchte" wir im Namen dieser Gerichtshöfe selbst eifrige" Widerspruch
dagege" erhebe". Auch ist bei alle" Verweisungen an die Gerichte im Auge
zu behalten, daß bei diesen die öffentliche Verhandlung erst recht Gelegenheit
giebt, agitatorische Reden zu halte" und damit Öl ins Feuer zu gießen. Die
Ausweisungen sind ja stets der schmerzlichste Punkt des Sozialistengesetzes ge¬
wesen. Es fragt sich nur, was daraus wird, wenn die sozialistischen Agitatoren
in die großen Städte, wo sie förmliche Agitativnsnester bildeten, zurückkehren.

Erklärte" die Regierungen, daß sie auch mit geringern Mittel", als den
durch das gegenwärtige Gesetz in ihre Hand gelegten, der sozialdemokratischen
Bewegung Herr bleiben zu können glaubten, daß sie namentlich auf die Aus-
weisuugsbefugnis in den Orten des Belagerungszustandes verzichten könnte", so
würden auch wir das mit Freuden begrüßen. Ihr Urteil würde in dieser Beziehung
für uns maßgebe"d sein. Wie nnn aber, wenn die Regierungen erklärten, daß
sie nicht glaubten, mit geringern Mittel", als de"c" des bestehende" Gesetzes,
auskommen zu können, und deshalb an diesem in allem Wesentlichen festhalten
müßten? Wie wird sich dann namentlich die nationalliberale Partei stellen?


nur dazu dienen, dem Reichstage eine Bürgschaft für dessen ordnungsmäßigen
Gebrauch zu gewähren. Darnach ist es fast komisch, wenn uativualliberale
Organe jetzt ihre Partei gewissermaßen entschuldigen, daß sie so lauge Jahre
hindurch für Aufrechthaltung des Gesetzes gestimmt habe. Bei allen Ver¬
ständigen der Partei ist dies im vollen Bewußtsein der andauernden Not¬
wendigkeit geschehen; gerade so, wie im Bewußtsein dieser Notwendigkeit auch
große Teile der Freisinnigen und des Zentrums bei der Abstimmung im
Jahre 1884 für die Verlängerung des Gesetzes gestimmt haben.

Fragen wir nun, wie etwa ein gemildertes gegen die Sozialdemokratie
gerichtetes Spezialgesctz aussehen konnte, so sind die in dieser Beziehung ge¬
machten Vorschläge äußerst dürftig.

Die Kölnische Zeitung, die in diesem Preßfeldzug eine relativ maßvolle
Stellung eingenommen hat, hat kürzlich verkündigt, wie sie sich die neue Spezial-
gesetzgebnng „in allgemeinen Umrissen" etwa denke. An die Stelle der Ver-
waltnngsorgane und der Beschwerdekommissiou sollen die höchste» Gerichts¬
höfe — Reichsgericht, Oberverwaltungsgericht, Oberlandesgericht — treten.
Die strafbaren Bestrebungen und Vergehen sollen eine schärfere, jeden Mi߬
brauch ausschließende Begriffsbestimmung erhalten. Die Ausweisnngs- und
Unterdrücknngsbefngnissc sollen beschnitten, die Verhängung des kleinen Be¬
lagerungszustandes auf Berlin beschränkt werben. ES leuchtet ein, daß auch
diese Vorschläge noch sehr verschwimmend gehalten sind. Am wenigsten können
Nur uns einen praktische» Erfolg von der begehrten „schärfern BegriffSbestnn-
mung" verspreche». ES wird doch immer alles von den Menschen abhängen,
die sie handhabe». An die Stelle der jetzigen Organe die schwerfälligen höchsten
Gerichtshöfe zu setze», halten Nur für keinen glücklichen Gedanken; und vor
allem möchte» wir im Namen dieser Gerichtshöfe selbst eifrige» Widerspruch
dagege» erhebe». Auch ist bei alle» Verweisungen an die Gerichte im Auge
zu behalten, daß bei diesen die öffentliche Verhandlung erst recht Gelegenheit
giebt, agitatorische Reden zu halte» und damit Öl ins Feuer zu gießen. Die
Ausweisungen sind ja stets der schmerzlichste Punkt des Sozialistengesetzes ge¬
wesen. Es fragt sich nur, was daraus wird, wenn die sozialistischen Agitatoren
in die großen Städte, wo sie förmliche Agitativnsnester bildeten, zurückkehren.

Erklärte» die Regierungen, daß sie auch mit geringern Mittel», als den
durch das gegenwärtige Gesetz in ihre Hand gelegten, der sozialdemokratischen
Bewegung Herr bleiben zu können glaubten, daß sie namentlich auf die Aus-
weisuugsbefugnis in den Orten des Belagerungszustandes verzichten könnte», so
würden auch wir das mit Freuden begrüßen. Ihr Urteil würde in dieser Beziehung
für uns maßgebe»d sein. Wie nnn aber, wenn die Regierungen erklärten, daß
sie nicht glaubten, mit geringern Mittel», als de»c» des bestehende» Gesetzes,
auskommen zu können, und deshalb an diesem in allem Wesentlichen festhalten
müßten? Wie wird sich dann namentlich die nationalliberale Partei stellen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/18>, abgerufen am 22.07.2024.