Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Grillparzer und die klugen Frauen

gebenden Schriftsteller gießen muß. Oder soll es überhaupt bloß heißen: Die
Übertragung eines Gedankens hält zum Denken an, stärkt die Denkkraft V So
etwas muß Wohl gemeint sein, denn es soll ja eine gute Übung für nicht¬
geniale Menschen sein.

Ich erkenne selbstverständlich den Wert der Übertragungen und besonders
den Wert an, der in der Betreibung einer fremden Sprache liegt. Vielleicht wird
sich später einmal Gelegenheit finden, diesen Wert so manchen verschwommenen
Ansichten gegenüber etwas genauer festzustellen. Aber in einem Punkte gehöre
ich zu den Ketzern. Ich meine nämlich: Kann ein Schüler bei normalen Geistes-
verhültnissen sich nicht im Deutschen klar ausdrücken oder handhabt er die
Muttersprache ungeschickt, so liegt dies hauptsächlich daran, daß er seine eigne
Sprache noch nicht ordentlich beherrscht, und dann ist es die höchste Zeit, daß
er durch Lesen und durch Anleitung bei deutschen Aufsätzen diesen bedauerlichen
Mangel auszugleichen sucht. Thut er dies gewissenhaft, dann wird er sich dem
"originalen Denken" hierdurch sicherlich eher nähern, als durch Übertragungen
in fremde Sprachen.

Dies find die Punkte, die mir einer nähern Besprechung wert erschienen,
und die, wie ich glaube, rein sachlich von mir erörtert worden sind. Es sind
nicht die einzigen, die einer Klärung bedürfen. In dem großen Streite: Hie
Gymnasium, hie Realgymnasium, hie Einheitsschule! findet man oft Urteile
über wichtige Dinge in einer Weise vorgetragen, als ob gar keine andre Ansicht
daneben denkbar wäre. Es wäre in hohem Grade zu bedauern, wenn ein solches
Verfahren immer mehr um sich griffe, und ich würde es doch für sehr an¬
gebracht halten, wenn zunächst einmal über gewisse allgemeine Gesichtspunkte
eine gründliche und dabei ruhige, leidenschaftslose Erörterung stattfände.




Grillparzer und die klugen Frauen
von Adolf Lichtenheld

rillparzer berichtet wiederholt, z. B. in seiner Selbstbiographie
bei der Erzählung, wie die Ahnfrau entstand, daß er die Gestalten
seiner Phantasie leibhaftig gesehen und gehört habe, hier ins¬
besondre mit der Wirkung, daß ihn "die Gespensterfurcht seiner
Jugend" wieder überkam. Ebenso bestätigt er wiederholt (z. B.
Band 15, S. 195 der neuesten Ausgabe von Sauer), daß er nur nach starken
Anschauungen gearbeitet habe, wofür als ein Beleg das Titelbild des Mars


Grillparzer und die klugen Frauen

gebenden Schriftsteller gießen muß. Oder soll es überhaupt bloß heißen: Die
Übertragung eines Gedankens hält zum Denken an, stärkt die Denkkraft V So
etwas muß Wohl gemeint sein, denn es soll ja eine gute Übung für nicht¬
geniale Menschen sein.

Ich erkenne selbstverständlich den Wert der Übertragungen und besonders
den Wert an, der in der Betreibung einer fremden Sprache liegt. Vielleicht wird
sich später einmal Gelegenheit finden, diesen Wert so manchen verschwommenen
Ansichten gegenüber etwas genauer festzustellen. Aber in einem Punkte gehöre
ich zu den Ketzern. Ich meine nämlich: Kann ein Schüler bei normalen Geistes-
verhültnissen sich nicht im Deutschen klar ausdrücken oder handhabt er die
Muttersprache ungeschickt, so liegt dies hauptsächlich daran, daß er seine eigne
Sprache noch nicht ordentlich beherrscht, und dann ist es die höchste Zeit, daß
er durch Lesen und durch Anleitung bei deutschen Aufsätzen diesen bedauerlichen
Mangel auszugleichen sucht. Thut er dies gewissenhaft, dann wird er sich dem
„originalen Denken" hierdurch sicherlich eher nähern, als durch Übertragungen
in fremde Sprachen.

Dies find die Punkte, die mir einer nähern Besprechung wert erschienen,
und die, wie ich glaube, rein sachlich von mir erörtert worden sind. Es sind
nicht die einzigen, die einer Klärung bedürfen. In dem großen Streite: Hie
Gymnasium, hie Realgymnasium, hie Einheitsschule! findet man oft Urteile
über wichtige Dinge in einer Weise vorgetragen, als ob gar keine andre Ansicht
daneben denkbar wäre. Es wäre in hohem Grade zu bedauern, wenn ein solches
Verfahren immer mehr um sich griffe, und ich würde es doch für sehr an¬
gebracht halten, wenn zunächst einmal über gewisse allgemeine Gesichtspunkte
eine gründliche und dabei ruhige, leidenschaftslose Erörterung stattfände.




Grillparzer und die klugen Frauen
von Adolf Lichtenheld

rillparzer berichtet wiederholt, z. B. in seiner Selbstbiographie
bei der Erzählung, wie die Ahnfrau entstand, daß er die Gestalten
seiner Phantasie leibhaftig gesehen und gehört habe, hier ins¬
besondre mit der Wirkung, daß ihn „die Gespensterfurcht seiner
Jugend" wieder überkam. Ebenso bestätigt er wiederholt (z. B.
Band 15, S. 195 der neuesten Ausgabe von Sauer), daß er nur nach starken
Anschauungen gearbeitet habe, wofür als ein Beleg das Titelbild des Mars


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206145"/>
          <fw type="header" place="top"> Grillparzer und die klugen Frauen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_529" prev="#ID_528"> gebenden Schriftsteller gießen muß. Oder soll es überhaupt bloß heißen: Die<lb/>
Übertragung eines Gedankens hält zum Denken an, stärkt die Denkkraft V So<lb/>
etwas muß Wohl gemeint sein, denn es soll ja eine gute Übung für nicht¬<lb/>
geniale Menschen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_530"> Ich erkenne selbstverständlich den Wert der Übertragungen und besonders<lb/>
den Wert an, der in der Betreibung einer fremden Sprache liegt. Vielleicht wird<lb/>
sich später einmal Gelegenheit finden, diesen Wert so manchen verschwommenen<lb/>
Ansichten gegenüber etwas genauer festzustellen. Aber in einem Punkte gehöre<lb/>
ich zu den Ketzern. Ich meine nämlich: Kann ein Schüler bei normalen Geistes-<lb/>
verhültnissen sich nicht im Deutschen klar ausdrücken oder handhabt er die<lb/>
Muttersprache ungeschickt, so liegt dies hauptsächlich daran, daß er seine eigne<lb/>
Sprache noch nicht ordentlich beherrscht, und dann ist es die höchste Zeit, daß<lb/>
er durch Lesen und durch Anleitung bei deutschen Aufsätzen diesen bedauerlichen<lb/>
Mangel auszugleichen sucht. Thut er dies gewissenhaft, dann wird er sich dem<lb/>
&#x201E;originalen Denken" hierdurch sicherlich eher nähern, als durch Übertragungen<lb/>
in fremde Sprachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_531"> Dies find die Punkte, die mir einer nähern Besprechung wert erschienen,<lb/>
und die, wie ich glaube, rein sachlich von mir erörtert worden sind. Es sind<lb/>
nicht die einzigen, die einer Klärung bedürfen. In dem großen Streite: Hie<lb/>
Gymnasium, hie Realgymnasium, hie Einheitsschule! findet man oft Urteile<lb/>
über wichtige Dinge in einer Weise vorgetragen, als ob gar keine andre Ansicht<lb/>
daneben denkbar wäre. Es wäre in hohem Grade zu bedauern, wenn ein solches<lb/>
Verfahren immer mehr um sich griffe, und ich würde es doch für sehr an¬<lb/>
gebracht halten, wenn zunächst einmal über gewisse allgemeine Gesichtspunkte<lb/>
eine gründliche und dabei ruhige, leidenschaftslose Erörterung stattfände.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Grillparzer und die klugen Frauen<lb/><note type="byline"> von Adolf Lichtenheld</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_532" next="#ID_533"> rillparzer berichtet wiederholt, z. B. in seiner Selbstbiographie<lb/>
bei der Erzählung, wie die Ahnfrau entstand, daß er die Gestalten<lb/>
seiner Phantasie leibhaftig gesehen und gehört habe, hier ins¬<lb/>
besondre mit der Wirkung, daß ihn &#x201E;die Gespensterfurcht seiner<lb/>
Jugend" wieder überkam. Ebenso bestätigt er wiederholt (z. B.<lb/>
Band 15, S. 195 der neuesten Ausgabe von Sauer), daß er nur nach starken<lb/>
Anschauungen gearbeitet habe, wofür als ein Beleg das Titelbild des Mars</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] Grillparzer und die klugen Frauen gebenden Schriftsteller gießen muß. Oder soll es überhaupt bloß heißen: Die Übertragung eines Gedankens hält zum Denken an, stärkt die Denkkraft V So etwas muß Wohl gemeint sein, denn es soll ja eine gute Übung für nicht¬ geniale Menschen sein. Ich erkenne selbstverständlich den Wert der Übertragungen und besonders den Wert an, der in der Betreibung einer fremden Sprache liegt. Vielleicht wird sich später einmal Gelegenheit finden, diesen Wert so manchen verschwommenen Ansichten gegenüber etwas genauer festzustellen. Aber in einem Punkte gehöre ich zu den Ketzern. Ich meine nämlich: Kann ein Schüler bei normalen Geistes- verhültnissen sich nicht im Deutschen klar ausdrücken oder handhabt er die Muttersprache ungeschickt, so liegt dies hauptsächlich daran, daß er seine eigne Sprache noch nicht ordentlich beherrscht, und dann ist es die höchste Zeit, daß er durch Lesen und durch Anleitung bei deutschen Aufsätzen diesen bedauerlichen Mangel auszugleichen sucht. Thut er dies gewissenhaft, dann wird er sich dem „originalen Denken" hierdurch sicherlich eher nähern, als durch Übertragungen in fremde Sprachen. Dies find die Punkte, die mir einer nähern Besprechung wert erschienen, und die, wie ich glaube, rein sachlich von mir erörtert worden sind. Es sind nicht die einzigen, die einer Klärung bedürfen. In dem großen Streite: Hie Gymnasium, hie Realgymnasium, hie Einheitsschule! findet man oft Urteile über wichtige Dinge in einer Weise vorgetragen, als ob gar keine andre Ansicht daneben denkbar wäre. Es wäre in hohem Grade zu bedauern, wenn ein solches Verfahren immer mehr um sich griffe, und ich würde es doch für sehr an¬ gebracht halten, wenn zunächst einmal über gewisse allgemeine Gesichtspunkte eine gründliche und dabei ruhige, leidenschaftslose Erörterung stattfände. Grillparzer und die klugen Frauen von Adolf Lichtenheld rillparzer berichtet wiederholt, z. B. in seiner Selbstbiographie bei der Erzählung, wie die Ahnfrau entstand, daß er die Gestalten seiner Phantasie leibhaftig gesehen und gehört habe, hier ins¬ besondre mit der Wirkung, daß ihn „die Gespensterfurcht seiner Jugend" wieder überkam. Ebenso bestätigt er wiederholt (z. B. Band 15, S. 195 der neuesten Ausgabe von Sauer), daß er nur nach starken Anschauungen gearbeitet habe, wofür als ein Beleg das Titelbild des Mars

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/146>, abgerufen am 22.12.2024.