Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Wahlen in Frankreich

klar. Erstens haben die Wählerschaften sich diesmal sehr zahlreich beteiligt,
und das beweist, daß die Bevölkerung ein lebhafteres Interesse an den Wahlen
gehabt hat als bei frühern Gelegenheiten. Zweitens scheint die Wahlhandlung
trotz der Aufregung, die sie natürlich hervorrief, doch nirgends zu Unruhen
und audern ungehörigen Kundgebungen ernster Art Veranlassung gegeben zu
haben, wozu wir den Franzosen umsomehr Glück wünschen dürfen, da es sonst
gerade keine hervorstechende Eigenschaft derselben, namentlich der Pariser ist,
dergleichen Rechte und Pflichten in Ruhe und Ordnung auszuüben. Ob schlie߬
lich, d. h. nach den Stichwahlen, eine sehr viel größere Zahl der Mandate
den republikanischen Parteien oder denen der Revisionisten gehören wird, ist
einigermaßen fraglich, wenn auch die Opportunisten und ihre nächsten Ver¬
wandten, die übrigen aufrichtigen Anhänger der Republik, mehr Aussichten zu
haben scheinen als die, welche Abänderung der Verfassung, Boulnngers Dik¬
tatur oder die Rückkehr zur Monarchie mit einem Orleans oder einem Na¬
poleon IV. wollen. Aber wenn diesmal eine größere Menge von Wählern
ihre Zettel in den Stimmkasten geworfen hat als früher, und wenn keine er¬
hebliche Ruhestörung dabei zu beklagen gewesen ist, so ist wohl der Schluß
daraus zu ziehen, daß die Freunde der Ordnung, die Ruhigen und Nüchternen,
die, die ihre Parteileidenschast im Zaume zu halten verstehen, kurz die, die
mau bei uns konservativ nennen würde, da sie wenigstens Anlage dazu haben
und es unter Umständen zu werden versprechen, diesmal überwogen haben,
und darunter werden vermutlich nicht wenige gewesen sein, die der Meinung
sind, man solle die Dinge mit einigen durchaus notwendigen Abstellungen und
Zusätzen gehen lassen, wie sie in der letzten Zeit gegangen sind. "Revision,"
das Feldgeschrei der Boulangisten und der Radikalen wie der Monarchisten,
bedeutet am letzten Ende Revolution, und die Parteien, die das Bestehende
umstürzen möchten, haben sich in der Regel nicht durch Liebe zu ruhigem Ver¬
halten bei öffentlichen Handlungen hervorgethan. Doch darf man aus der
Ordnung, die bei den Pariser Wahlen herrschte, auch nicht zu viel Gutes ab¬
leiten. Auch die Maßregeln, die die Negierung zur Verhütung von Unruhen
getroffen hatte, wirkten unzweifelhaft zu dem erfreulichen Verlaufe der Sache
mit, und der Himmel that mit einem zuletzt einfallenden reichlichen Regen ein
Übriges.

Die Stichwahlen werden bis zu Ende der ersten Oktoberwoche vollzogen
sein und volle Gewißheit geschaffen haben. In der Zwischenzeit bietet Frank¬
reich ein lehrreiches, aber etwas düsteres und trauriges Schauspiel dar. Mau
Pflegt zu sage", Frankreich scheine in der zivilisirten Welt die Aufgabe zu haben,
die Probleme der Politik zu lösen, die sich in andern Ländern kaum über den
Gesichtskreis erhoben, geschweige denn sich zur Dringlichkeit entwickelt hätten.
Träfe diese Behauptung zu , so würden wir jetzt an den Erfahrungen unsrer
Nachbarn inne werden, nicht bloß, was für Verirrungen und Mißgriffe in


Die Wahlen in Frankreich

klar. Erstens haben die Wählerschaften sich diesmal sehr zahlreich beteiligt,
und das beweist, daß die Bevölkerung ein lebhafteres Interesse an den Wahlen
gehabt hat als bei frühern Gelegenheiten. Zweitens scheint die Wahlhandlung
trotz der Aufregung, die sie natürlich hervorrief, doch nirgends zu Unruhen
und audern ungehörigen Kundgebungen ernster Art Veranlassung gegeben zu
haben, wozu wir den Franzosen umsomehr Glück wünschen dürfen, da es sonst
gerade keine hervorstechende Eigenschaft derselben, namentlich der Pariser ist,
dergleichen Rechte und Pflichten in Ruhe und Ordnung auszuüben. Ob schlie߬
lich, d. h. nach den Stichwahlen, eine sehr viel größere Zahl der Mandate
den republikanischen Parteien oder denen der Revisionisten gehören wird, ist
einigermaßen fraglich, wenn auch die Opportunisten und ihre nächsten Ver¬
wandten, die übrigen aufrichtigen Anhänger der Republik, mehr Aussichten zu
haben scheinen als die, welche Abänderung der Verfassung, Boulnngers Dik¬
tatur oder die Rückkehr zur Monarchie mit einem Orleans oder einem Na¬
poleon IV. wollen. Aber wenn diesmal eine größere Menge von Wählern
ihre Zettel in den Stimmkasten geworfen hat als früher, und wenn keine er¬
hebliche Ruhestörung dabei zu beklagen gewesen ist, so ist wohl der Schluß
daraus zu ziehen, daß die Freunde der Ordnung, die Ruhigen und Nüchternen,
die, die ihre Parteileidenschast im Zaume zu halten verstehen, kurz die, die
mau bei uns konservativ nennen würde, da sie wenigstens Anlage dazu haben
und es unter Umständen zu werden versprechen, diesmal überwogen haben,
und darunter werden vermutlich nicht wenige gewesen sein, die der Meinung
sind, man solle die Dinge mit einigen durchaus notwendigen Abstellungen und
Zusätzen gehen lassen, wie sie in der letzten Zeit gegangen sind. „Revision,"
das Feldgeschrei der Boulangisten und der Radikalen wie der Monarchisten,
bedeutet am letzten Ende Revolution, und die Parteien, die das Bestehende
umstürzen möchten, haben sich in der Regel nicht durch Liebe zu ruhigem Ver¬
halten bei öffentlichen Handlungen hervorgethan. Doch darf man aus der
Ordnung, die bei den Pariser Wahlen herrschte, auch nicht zu viel Gutes ab¬
leiten. Auch die Maßregeln, die die Negierung zur Verhütung von Unruhen
getroffen hatte, wirkten unzweifelhaft zu dem erfreulichen Verlaufe der Sache
mit, und der Himmel that mit einem zuletzt einfallenden reichlichen Regen ein
Übriges.

Die Stichwahlen werden bis zu Ende der ersten Oktoberwoche vollzogen
sein und volle Gewißheit geschaffen haben. In der Zwischenzeit bietet Frank¬
reich ein lehrreiches, aber etwas düsteres und trauriges Schauspiel dar. Mau
Pflegt zu sage», Frankreich scheine in der zivilisirten Welt die Aufgabe zu haben,
die Probleme der Politik zu lösen, die sich in andern Ländern kaum über den
Gesichtskreis erhoben, geschweige denn sich zur Dringlichkeit entwickelt hätten.
Träfe diese Behauptung zu , so würden wir jetzt an den Erfahrungen unsrer
Nachbarn inne werden, nicht bloß, was für Verirrungen und Mißgriffe in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206010"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Wahlen in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> klar.  Erstens haben die Wählerschaften sich diesmal sehr zahlreich beteiligt,<lb/>
und das beweist, daß die Bevölkerung ein lebhafteres Interesse an den Wahlen<lb/>
gehabt hat als bei frühern Gelegenheiten. Zweitens scheint die Wahlhandlung<lb/>
trotz der Aufregung, die sie natürlich hervorrief, doch nirgends zu Unruhen<lb/>
und audern ungehörigen Kundgebungen ernster Art Veranlassung gegeben zu<lb/>
haben, wozu wir den Franzosen umsomehr Glück wünschen dürfen, da es sonst<lb/>
gerade keine hervorstechende Eigenschaft derselben, namentlich der Pariser ist,<lb/>
dergleichen Rechte und Pflichten in Ruhe und Ordnung auszuüben. Ob schlie߬<lb/>
lich, d. h. nach den Stichwahlen, eine sehr viel größere Zahl der Mandate<lb/>
den republikanischen Parteien oder denen der Revisionisten gehören wird, ist<lb/>
einigermaßen fraglich, wenn auch die Opportunisten und ihre nächsten Ver¬<lb/>
wandten, die übrigen aufrichtigen Anhänger der Republik, mehr Aussichten zu<lb/>
haben scheinen als die, welche Abänderung der Verfassung, Boulnngers Dik¬<lb/>
tatur oder die Rückkehr zur Monarchie mit einem Orleans oder einem Na¬<lb/>
poleon IV. wollen.  Aber wenn diesmal eine größere Menge von Wählern<lb/>
ihre Zettel in den Stimmkasten geworfen hat als früher, und wenn keine er¬<lb/>
hebliche Ruhestörung dabei zu beklagen gewesen ist, so ist wohl der Schluß<lb/>
daraus zu ziehen, daß die Freunde der Ordnung, die Ruhigen und Nüchternen,<lb/>
die, die ihre Parteileidenschast im Zaume zu halten verstehen, kurz die, die<lb/>
mau bei uns konservativ nennen würde, da sie wenigstens Anlage dazu haben<lb/>
und es unter Umständen zu werden versprechen, diesmal überwogen haben,<lb/>
und darunter werden vermutlich nicht wenige gewesen sein, die der Meinung<lb/>
sind, man solle die Dinge mit einigen durchaus notwendigen Abstellungen und<lb/>
Zusätzen gehen lassen, wie sie in der letzten Zeit gegangen sind. &#x201E;Revision,"<lb/>
das Feldgeschrei der Boulangisten und der Radikalen wie der Monarchisten,<lb/>
bedeutet am letzten Ende Revolution, und die Parteien, die das Bestehende<lb/>
umstürzen möchten, haben sich in der Regel nicht durch Liebe zu ruhigem Ver¬<lb/>
halten bei öffentlichen Handlungen hervorgethan.  Doch darf man aus der<lb/>
Ordnung, die bei den Pariser Wahlen herrschte, auch nicht zu viel Gutes ab¬<lb/>
leiten. Auch die Maßregeln, die die Negierung zur Verhütung von Unruhen<lb/>
getroffen hatte, wirkten unzweifelhaft zu dem erfreulichen Verlaufe der Sache<lb/>
mit, und der Himmel that mit einem zuletzt einfallenden reichlichen Regen ein<lb/>
Übriges.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12" next="#ID_13"> Die Stichwahlen werden bis zu Ende der ersten Oktoberwoche vollzogen<lb/>
sein und volle Gewißheit geschaffen haben. In der Zwischenzeit bietet Frank¬<lb/>
reich ein lehrreiches, aber etwas düsteres und trauriges Schauspiel dar. Mau<lb/>
Pflegt zu sage», Frankreich scheine in der zivilisirten Welt die Aufgabe zu haben,<lb/>
die Probleme der Politik zu lösen, die sich in andern Ländern kaum über den<lb/>
Gesichtskreis erhoben, geschweige denn sich zur Dringlichkeit entwickelt hätten.<lb/>
Träfe diese Behauptung zu , so würden wir jetzt an den Erfahrungen unsrer<lb/>
Nachbarn inne werden, nicht bloß, was für Verirrungen und Mißgriffe in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Die Wahlen in Frankreich klar. Erstens haben die Wählerschaften sich diesmal sehr zahlreich beteiligt, und das beweist, daß die Bevölkerung ein lebhafteres Interesse an den Wahlen gehabt hat als bei frühern Gelegenheiten. Zweitens scheint die Wahlhandlung trotz der Aufregung, die sie natürlich hervorrief, doch nirgends zu Unruhen und audern ungehörigen Kundgebungen ernster Art Veranlassung gegeben zu haben, wozu wir den Franzosen umsomehr Glück wünschen dürfen, da es sonst gerade keine hervorstechende Eigenschaft derselben, namentlich der Pariser ist, dergleichen Rechte und Pflichten in Ruhe und Ordnung auszuüben. Ob schlie߬ lich, d. h. nach den Stichwahlen, eine sehr viel größere Zahl der Mandate den republikanischen Parteien oder denen der Revisionisten gehören wird, ist einigermaßen fraglich, wenn auch die Opportunisten und ihre nächsten Ver¬ wandten, die übrigen aufrichtigen Anhänger der Republik, mehr Aussichten zu haben scheinen als die, welche Abänderung der Verfassung, Boulnngers Dik¬ tatur oder die Rückkehr zur Monarchie mit einem Orleans oder einem Na¬ poleon IV. wollen. Aber wenn diesmal eine größere Menge von Wählern ihre Zettel in den Stimmkasten geworfen hat als früher, und wenn keine er¬ hebliche Ruhestörung dabei zu beklagen gewesen ist, so ist wohl der Schluß daraus zu ziehen, daß die Freunde der Ordnung, die Ruhigen und Nüchternen, die, die ihre Parteileidenschast im Zaume zu halten verstehen, kurz die, die mau bei uns konservativ nennen würde, da sie wenigstens Anlage dazu haben und es unter Umständen zu werden versprechen, diesmal überwogen haben, und darunter werden vermutlich nicht wenige gewesen sein, die der Meinung sind, man solle die Dinge mit einigen durchaus notwendigen Abstellungen und Zusätzen gehen lassen, wie sie in der letzten Zeit gegangen sind. „Revision," das Feldgeschrei der Boulangisten und der Radikalen wie der Monarchisten, bedeutet am letzten Ende Revolution, und die Parteien, die das Bestehende umstürzen möchten, haben sich in der Regel nicht durch Liebe zu ruhigem Ver¬ halten bei öffentlichen Handlungen hervorgethan. Doch darf man aus der Ordnung, die bei den Pariser Wahlen herrschte, auch nicht zu viel Gutes ab¬ leiten. Auch die Maßregeln, die die Negierung zur Verhütung von Unruhen getroffen hatte, wirkten unzweifelhaft zu dem erfreulichen Verlaufe der Sache mit, und der Himmel that mit einem zuletzt einfallenden reichlichen Regen ein Übriges. Die Stichwahlen werden bis zu Ende der ersten Oktoberwoche vollzogen sein und volle Gewißheit geschaffen haben. In der Zwischenzeit bietet Frank¬ reich ein lehrreiches, aber etwas düsteres und trauriges Schauspiel dar. Mau Pflegt zu sage», Frankreich scheine in der zivilisirten Welt die Aufgabe zu haben, die Probleme der Politik zu lösen, die sich in andern Ländern kaum über den Gesichtskreis erhoben, geschweige denn sich zur Dringlichkeit entwickelt hätten. Träfe diese Behauptung zu , so würden wir jetzt an den Erfahrungen unsrer Nachbarn inne werden, nicht bloß, was für Verirrungen und Mißgriffe in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/11>, abgerufen am 22.12.2024.