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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Iniige Rede

Wie U'nnderbar! Wohl tausendmal hatte sie dieses Wort in den kleinen
roten Nvmanheften gelesen, ohne weiter drüber nachzudenken, ja eigentlich ohne
z" wissen, was es bedeute. Jetzt kam es plötzlich wie ein brennendes Licht
über sie. Jetzt war es ihr, als könnte sie, wenn sie nur das Gesicht
mit den Händen bedeckte und die Angen schlösse, fühlen, was es war: Liebe!
Liebe!

Es entfaltete sich gleichsam ein neues Leben in ihr, wenn sie mir den
Klang des Wortes vor ihrem Ohr vernahm. Es war, als öffnete sich auf
einmal die Welt vor ihren Augen, als wölbte sich der Himmel höher über
ihrem Haupte. Sogar der Wald veränderte sich, wie sie so dastand und über
ihn hinblickte. Die Luft schien sich mit Wvhlklängen zu erfüllen, und die
Winde flüsterte" ihr das wonnige Wort ins Ohr.

Eine wuuderbnre Feierlichkeit senkte sich auf sie herab. Halb unbewußt
hatte sie sich erhoben und lehnte den Kops gegen den Fenstcrpfosten. Die ge¬
falteten Hände ruhten auf der Mauer, und der Blick schaute über den See
hinaus, der gerade sein geheimnisvolles Ange öffnete. So stand sie lange
regungslos da. Der letzte matte Schein am Hummel erstarb. Die Dämmerung
breitete sich über das Wasser aus und hüllte die Wälder in ihren dichten
Schleier. Eine Thräne perlte über ihre Wange herab. Als aber ein Wind¬
hauch dnrch das Fenster strich und ihre schweren Stirnlocken hob, fuhr ein
süßer Schuler dnrch ihren Leib.

Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Mit einem leise" Auf¬
schrei wandte sie sich um. An ihrer Seite stand Lars Eiuauge, auf seine Krücke
gestützt, die Binde um die Stirn geschlungen. und lächelte ihr verschmitzt zu.
Das Feuer der kurzen Thonpfeife, die nnter seiner roten Nase dampfte, erhellte
schwach das struppige Gesicht und den großen, zahnlosen Mund.

Was zum Teufel macht denn die kleine Jungfer hier! rief er aus. Und
wir haben -- bei Gott! -- beinahe unser eignes, armes Leben eingebüßt, um
"ach ihr zu suchen. Und da steht sie ganz ruhig hier und fängt Grillen!

Was ist denn die Uhr? fragte sie und sah sich verwundert um.

Was die Uhr ist? fragt sie. was die Uhr ist? Ich glaube, hol mich
der Teufel, sie steht da und hängt verliebten Gedanken nach. Was die
Uhr ist, kleine Jungfer? -- er kniff die Augen zusammen und lachte in sich
hinein -- wer weiß, am Ende hat sie schon geschlagen?

Er brach in ein betäubendes Gelächter aus. Auch Martha lächelte, und
daun gingen sie zusammen hinab ins Zimmer, wo ihr ungewöhnliches Aus¬
bleiben wirklich beinahe Unruhe verursacht hatte. Sie wurde mit einem Sturm,
verwunderter Ausrufe empfangen. Sie erwiderte, sie sei müde gewesen und
im Dunkeln eingeschlafen. Sie rieb sich anch sehr natürlich die Augen und
reckte sich, als wäre sie noch nicht ganz wach. Endlich setzte sie sich auf ihren
Binsenstuhl in die Ecke.


Iniige Rede

Wie U'nnderbar! Wohl tausendmal hatte sie dieses Wort in den kleinen
roten Nvmanheften gelesen, ohne weiter drüber nachzudenken, ja eigentlich ohne
z» wissen, was es bedeute. Jetzt kam es plötzlich wie ein brennendes Licht
über sie. Jetzt war es ihr, als könnte sie, wenn sie nur das Gesicht
mit den Händen bedeckte und die Angen schlösse, fühlen, was es war: Liebe!
Liebe!

Es entfaltete sich gleichsam ein neues Leben in ihr, wenn sie mir den
Klang des Wortes vor ihrem Ohr vernahm. Es war, als öffnete sich auf
einmal die Welt vor ihren Augen, als wölbte sich der Himmel höher über
ihrem Haupte. Sogar der Wald veränderte sich, wie sie so dastand und über
ihn hinblickte. Die Luft schien sich mit Wvhlklängen zu erfüllen, und die
Winde flüsterte« ihr das wonnige Wort ins Ohr.

Eine wuuderbnre Feierlichkeit senkte sich auf sie herab. Halb unbewußt
hatte sie sich erhoben und lehnte den Kops gegen den Fenstcrpfosten. Die ge¬
falteten Hände ruhten auf der Mauer, und der Blick schaute über den See
hinaus, der gerade sein geheimnisvolles Ange öffnete. So stand sie lange
regungslos da. Der letzte matte Schein am Hummel erstarb. Die Dämmerung
breitete sich über das Wasser aus und hüllte die Wälder in ihren dichten
Schleier. Eine Thräne perlte über ihre Wange herab. Als aber ein Wind¬
hauch dnrch das Fenster strich und ihre schweren Stirnlocken hob, fuhr ein
süßer Schuler dnrch ihren Leib.

Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Mit einem leise» Auf¬
schrei wandte sie sich um. An ihrer Seite stand Lars Eiuauge, auf seine Krücke
gestützt, die Binde um die Stirn geschlungen. und lächelte ihr verschmitzt zu.
Das Feuer der kurzen Thonpfeife, die nnter seiner roten Nase dampfte, erhellte
schwach das struppige Gesicht und den großen, zahnlosen Mund.

Was zum Teufel macht denn die kleine Jungfer hier! rief er aus. Und
wir haben — bei Gott! — beinahe unser eignes, armes Leben eingebüßt, um
»ach ihr zu suchen. Und da steht sie ganz ruhig hier und fängt Grillen!

Was ist denn die Uhr? fragte sie und sah sich verwundert um.

Was die Uhr ist? fragt sie. was die Uhr ist? Ich glaube, hol mich
der Teufel, sie steht da und hängt verliebten Gedanken nach. Was die
Uhr ist, kleine Jungfer? — er kniff die Augen zusammen und lachte in sich
hinein — wer weiß, am Ende hat sie schon geschlagen?

Er brach in ein betäubendes Gelächter aus. Auch Martha lächelte, und
daun gingen sie zusammen hinab ins Zimmer, wo ihr ungewöhnliches Aus¬
bleiben wirklich beinahe Unruhe verursacht hatte. Sie wurde mit einem Sturm,
verwunderter Ausrufe empfangen. Sie erwiderte, sie sei müde gewesen und
im Dunkeln eingeschlafen. Sie rieb sich anch sehr natürlich die Augen und
reckte sich, als wäre sie noch nicht ganz wach. Endlich setzte sie sich auf ihren
Binsenstuhl in die Ecke.


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[0109] Iniige Rede Wie U'nnderbar! Wohl tausendmal hatte sie dieses Wort in den kleinen roten Nvmanheften gelesen, ohne weiter drüber nachzudenken, ja eigentlich ohne z» wissen, was es bedeute. Jetzt kam es plötzlich wie ein brennendes Licht über sie. Jetzt war es ihr, als könnte sie, wenn sie nur das Gesicht mit den Händen bedeckte und die Angen schlösse, fühlen, was es war: Liebe! Liebe! Es entfaltete sich gleichsam ein neues Leben in ihr, wenn sie mir den Klang des Wortes vor ihrem Ohr vernahm. Es war, als öffnete sich auf einmal die Welt vor ihren Augen, als wölbte sich der Himmel höher über ihrem Haupte. Sogar der Wald veränderte sich, wie sie so dastand und über ihn hinblickte. Die Luft schien sich mit Wvhlklängen zu erfüllen, und die Winde flüsterte« ihr das wonnige Wort ins Ohr. Eine wuuderbnre Feierlichkeit senkte sich auf sie herab. Halb unbewußt hatte sie sich erhoben und lehnte den Kops gegen den Fenstcrpfosten. Die ge¬ falteten Hände ruhten auf der Mauer, und der Blick schaute über den See hinaus, der gerade sein geheimnisvolles Ange öffnete. So stand sie lange regungslos da. Der letzte matte Schein am Hummel erstarb. Die Dämmerung breitete sich über das Wasser aus und hüllte die Wälder in ihren dichten Schleier. Eine Thräne perlte über ihre Wange herab. Als aber ein Wind¬ hauch dnrch das Fenster strich und ihre schweren Stirnlocken hob, fuhr ein süßer Schuler dnrch ihren Leib. Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Mit einem leise» Auf¬ schrei wandte sie sich um. An ihrer Seite stand Lars Eiuauge, auf seine Krücke gestützt, die Binde um die Stirn geschlungen. und lächelte ihr verschmitzt zu. Das Feuer der kurzen Thonpfeife, die nnter seiner roten Nase dampfte, erhellte schwach das struppige Gesicht und den großen, zahnlosen Mund. Was zum Teufel macht denn die kleine Jungfer hier! rief er aus. Und wir haben — bei Gott! — beinahe unser eignes, armes Leben eingebüßt, um »ach ihr zu suchen. Und da steht sie ganz ruhig hier und fängt Grillen! Was ist denn die Uhr? fragte sie und sah sich verwundert um. Was die Uhr ist? fragt sie. was die Uhr ist? Ich glaube, hol mich der Teufel, sie steht da und hängt verliebten Gedanken nach. Was die Uhr ist, kleine Jungfer? — er kniff die Augen zusammen und lachte in sich hinein — wer weiß, am Ende hat sie schon geschlagen? Er brach in ein betäubendes Gelächter aus. Auch Martha lächelte, und daun gingen sie zusammen hinab ins Zimmer, wo ihr ungewöhnliches Aus¬ bleiben wirklich beinahe Unruhe verursacht hatte. Sie wurde mit einem Sturm, verwunderter Ausrufe empfangen. Sie erwiderte, sie sei müde gewesen und im Dunkeln eingeschlafen. Sie rieb sich anch sehr natürlich die Augen und reckte sich, als wäre sie noch nicht ganz wach. Endlich setzte sie sich auf ihren Binsenstuhl in die Ecke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/109>, abgerufen am 22.07.2024.