Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Boris Lensky Man ficht, der Grundton dieses Romans ist so schwermütig, so pessimistisch Moritz Neckar Boris Lensky Man ficht, der Grundton dieses Romans ist so schwermütig, so pessimistisch Moritz Neckar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206100"/> <fw type="header" place="top"> Boris Lensky</fw><lb/> <p xml:id="ID_359"> Man ficht, der Grundton dieses Romans ist so schwermütig, so pessimistisch<lb/> wie fast in allen ihren andern Erzählungen. Sie hat in Dingen der allge¬<lb/> meinen Weltanschauung abgeschlossen mit dein skeptischen Urteil: diese Welt<lb/> ist ungereimt und unverständlich. Ihre Vortragsweise ist auch erfüllt von<lb/> dieser Schwermut. Was sie vor vielen Erzählern auszeichnet, ist der lyrische<lb/> Hauch, der ans ihrer Prosa liegt, es ist alles durchempfunden und gefühlt,<lb/> was sie schreibt. Sie ist von Hans ans eine musikalische Natur, darum legt<lb/> sie so viel Gewicht auf die reiche Stimmung der Erzählung, und man kann<lb/> sich dem Reiz ihrer schwermütigen Tonart nicht entziehen. Dazu kommt die<lb/> große Sorgfalt, die Ossip Schubin als richtiger Realist aus die Schilderung<lb/> der äußern Umgebung ihrer Menschen verwendet. Der Roman führt uus nach<lb/> Paris, London, Venedig, Rom; die Bilder dieser Städte atmen alle Lokal-<lb/> stimmnng. Mit Nita wird uus ein interessanter Menschenkreis geöffnet, der<lb/> der Malerinnen in Paris, junger weiblicher Wesen, die meist ihren eigentlichen<lb/> Beruf — zu heiraten verfehlt haben und es darum mit der Kunst versuchen.<lb/> Das Maleratelier mit seinein Humor gehört zu den schönsten Teilen des Romans.<lb/> Nicht minder glänzend sind die Kapitel, die den Veifterungstaumel schildern,<lb/> den Lenskhs Geige hervorruft. So lebhaft wie Ossip Schubin Gemälde schildert,<lb/> so lebhaft kann sie von Musikstücken und -Wirkungen berichten. Auch die<lb/> Spannweite ihrer Charakteristik muß hervorgehoben werden: eine durch und<lb/> dnrch reflektirte Natur wie Boris steht rede» der unverdorbenen Unschuld<lb/> Mahadas, und wir müssen an beide Charaktere glauben. Mehrere Episoden-<lb/> figureu sind köstlich gelungen. Aber bei all dem Reichtum an Farbe und<lb/> musikalischer Stimmung ist Ossip Schubin doch viel zu innerlich für die epische<lb/> Kunst, sie spricht viel zu lange im Namen ihrer Helden, und abgesehen von<lb/> der Breite, in die sie dadurch gerät, verlieren ihre Gestalten alle Plastik. Wir<lb/> haben mehr ein starkes Gefühl als eine klare Anschauung von den Charakteren<lb/> der Dichtung. Dies und ihr Kern: die häßlichen Verführnngsgeschichten der<lb/> Geschwister Lensky, sind die Schwächen des im übrigen geistvollen Werkes.</p><lb/> <note type="byline"> Moritz Neckar</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Boris Lensky
Man ficht, der Grundton dieses Romans ist so schwermütig, so pessimistisch
wie fast in allen ihren andern Erzählungen. Sie hat in Dingen der allge¬
meinen Weltanschauung abgeschlossen mit dein skeptischen Urteil: diese Welt
ist ungereimt und unverständlich. Ihre Vortragsweise ist auch erfüllt von
dieser Schwermut. Was sie vor vielen Erzählern auszeichnet, ist der lyrische
Hauch, der ans ihrer Prosa liegt, es ist alles durchempfunden und gefühlt,
was sie schreibt. Sie ist von Hans ans eine musikalische Natur, darum legt
sie so viel Gewicht auf die reiche Stimmung der Erzählung, und man kann
sich dem Reiz ihrer schwermütigen Tonart nicht entziehen. Dazu kommt die
große Sorgfalt, die Ossip Schubin als richtiger Realist aus die Schilderung
der äußern Umgebung ihrer Menschen verwendet. Der Roman führt uus nach
Paris, London, Venedig, Rom; die Bilder dieser Städte atmen alle Lokal-
stimmnng. Mit Nita wird uus ein interessanter Menschenkreis geöffnet, der
der Malerinnen in Paris, junger weiblicher Wesen, die meist ihren eigentlichen
Beruf — zu heiraten verfehlt haben und es darum mit der Kunst versuchen.
Das Maleratelier mit seinein Humor gehört zu den schönsten Teilen des Romans.
Nicht minder glänzend sind die Kapitel, die den Veifterungstaumel schildern,
den Lenskhs Geige hervorruft. So lebhaft wie Ossip Schubin Gemälde schildert,
so lebhaft kann sie von Musikstücken und -Wirkungen berichten. Auch die
Spannweite ihrer Charakteristik muß hervorgehoben werden: eine durch und
dnrch reflektirte Natur wie Boris steht rede» der unverdorbenen Unschuld
Mahadas, und wir müssen an beide Charaktere glauben. Mehrere Episoden-
figureu sind köstlich gelungen. Aber bei all dem Reichtum an Farbe und
musikalischer Stimmung ist Ossip Schubin doch viel zu innerlich für die epische
Kunst, sie spricht viel zu lange im Namen ihrer Helden, und abgesehen von
der Breite, in die sie dadurch gerät, verlieren ihre Gestalten alle Plastik. Wir
haben mehr ein starkes Gefühl als eine klare Anschauung von den Charakteren
der Dichtung. Dies und ihr Kern: die häßlichen Verführnngsgeschichten der
Geschwister Lensky, sind die Schwächen des im übrigen geistvollen Werkes.
Moritz Neckar
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