Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur Frauenfrage (2. Aufl., Leipzig, 1833) wiederholt mit ziemlich eingehend mit unsrer Frauen- Die Auffassungen des Philosophen über die moderne Frauenbildung und Zur Frauenfrage (2. Aufl., Leipzig, 1833) wiederholt mit ziemlich eingehend mit unsrer Frauen- Die Auffassungen des Philosophen über die moderne Frauenbildung und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204823"/> <fw type="header" place="top"> Zur Frauenfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_225" prev="#ID_224"> (2. Aufl., Leipzig, 1833) wiederholt mit ziemlich eingehend mit unsrer Frauen-<lb/> bildung, besonders in den Abhandlungen, die die „Gleichstellung beider Ge¬<lb/> schlechter" und die „Lebensfrage der Familie" zum Gegenstand haben. Hart¬<lb/> mann reizt mich die Unparteiischen oft zum Widerspruch, aber er regt zum<lb/> Nachdenken an und giebt Vorschläge, die doch der Beachtung wert sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_226" next="#ID_227"> Die Auffassungen des Philosophen über die moderne Frauenbildung und<lb/> unsre höhere Mädchenschule schließen sich an die Ergebnisse um, die er in seiner<lb/> „Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins" gefunden hat, besonders dort,<lb/> wo er das wirtschaftliche Emanzipativnsstreben des weiblichen Geschlechtes im<lb/> Lichte der Kulturentwicklung betrachtet und auf die wirkliche ethische Kultur-<lb/> mission des weiblichen Geschlechtes zu sprechen kommt (S. 672—7()Z). Hart-<lb/> mann ist der Meinung, daß unsre Jugend in ihrer großen Masse zu den<lb/> schwersten Bedenke» Anlaß gebe, daß sich der größte Teil dnrch nichts mehr<lb/> auszeichne, als durch unverkennbaren Mangel an idealem Streben, durch<lb/> Armut an eigenen Gedanken, dnrch offenbaren Widerwillen — Hartmann nennt<lb/> es geradezu „dauerhaften Ekel" — vor aller Geistesarbeit, durch Sucht und Jagd<lb/> nach materiellem (^muß und mühelosem Dasein, daß vor allem unsre Jugend<lb/> aufgehört habe, vor irgend einer Autorität, am wenigsten vor ihren eigenen<lb/> Erziehern, irgendwelchen Respekt zu empfinden. Alle diese betrübenden Erschei¬<lb/> nungen findet Hartmann in demselben Maße bei der weiblichen, wie bei der<lb/> männlichen Jugend; ja gerade bei den Mädchen höherer Stände zeigten sie<lb/> sich in einer stetig wachsenden Naturentfremduug, in körperlicher und geistiger<lb/> Berufsnntiichtigkeit, in Arbeitsscheu, Nerwöhnuug und Selbstsucht. Hartmann<lb/> belegt seine Beobachtungen besonders ans dein gesellschaftlkhen Leben der<lb/> Großstadt, und wir können nicht umhin, ihn: in seinen Behauptungen bei¬<lb/> zustimmen; allein wir weichen von seiner Ansicht völlig ab, wenn er alle<lb/> bestehenden Mißverhältnisse, Schäden und Gebrechen in unsrer Frauenwelt dem<lb/> Einfluß der höheren Mädchenschule zuschreibt. Es ist doch mindestens sehr<lb/> einseitig geurteilt, wenn er zu dem Aussprache gelaugt: „Man kaun sage»,<lb/> daß der letzte handgreifliche Grund unsrer verschrobenen Weiber in dem höheren<lb/> Töchterschulwefen liegt, das sich erst in dein letzten halben Jahrhundert ent¬<lb/> wickelt hat. Könnten wir diese Entwicklung mit einem Striche rückgängig<lb/> machen und unsre Töchter auf das Niveau der Volksschillbildiing, mit den,<lb/> unsre Großmütter sich begnügen mußten, znrückschranben, so würden sie eben¬<lb/> sowenig, wie diese es thaten, sich für zu vornehin und zu gebildet zur Er¬<lb/> füllung ihrer natürlichen lind sozialen Pflichten, zur Kinderpflege und Haus¬<lb/> arbeit halten" (Moderne Probleme S. 83.) Aber seine Anklage geht noch<lb/> weiter" in seiner „Phänomenologie" behauptet er geradezu, daß die höhere<lb/> Bcüdchenschnlbildling jede feiner angelegte und ungewöhnliche weibliche Indi¬<lb/> vidualität ihres originellen Duftes beraube, indem sie sie in die Schablone<lb/> der Mittelmäßigkeit eiuzwäuge. Seitdem die höheren Töchterschule,! bestünden,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Zur Frauenfrage
(2. Aufl., Leipzig, 1833) wiederholt mit ziemlich eingehend mit unsrer Frauen-
bildung, besonders in den Abhandlungen, die die „Gleichstellung beider Ge¬
schlechter" und die „Lebensfrage der Familie" zum Gegenstand haben. Hart¬
mann reizt mich die Unparteiischen oft zum Widerspruch, aber er regt zum
Nachdenken an und giebt Vorschläge, die doch der Beachtung wert sind.
Die Auffassungen des Philosophen über die moderne Frauenbildung und
unsre höhere Mädchenschule schließen sich an die Ergebnisse um, die er in seiner
„Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins" gefunden hat, besonders dort,
wo er das wirtschaftliche Emanzipativnsstreben des weiblichen Geschlechtes im
Lichte der Kulturentwicklung betrachtet und auf die wirkliche ethische Kultur-
mission des weiblichen Geschlechtes zu sprechen kommt (S. 672—7()Z). Hart-
mann ist der Meinung, daß unsre Jugend in ihrer großen Masse zu den
schwersten Bedenke» Anlaß gebe, daß sich der größte Teil dnrch nichts mehr
auszeichne, als durch unverkennbaren Mangel an idealem Streben, durch
Armut an eigenen Gedanken, dnrch offenbaren Widerwillen — Hartmann nennt
es geradezu „dauerhaften Ekel" — vor aller Geistesarbeit, durch Sucht und Jagd
nach materiellem (^muß und mühelosem Dasein, daß vor allem unsre Jugend
aufgehört habe, vor irgend einer Autorität, am wenigsten vor ihren eigenen
Erziehern, irgendwelchen Respekt zu empfinden. Alle diese betrübenden Erschei¬
nungen findet Hartmann in demselben Maße bei der weiblichen, wie bei der
männlichen Jugend; ja gerade bei den Mädchen höherer Stände zeigten sie
sich in einer stetig wachsenden Naturentfremduug, in körperlicher und geistiger
Berufsnntiichtigkeit, in Arbeitsscheu, Nerwöhnuug und Selbstsucht. Hartmann
belegt seine Beobachtungen besonders ans dein gesellschaftlkhen Leben der
Großstadt, und wir können nicht umhin, ihn: in seinen Behauptungen bei¬
zustimmen; allein wir weichen von seiner Ansicht völlig ab, wenn er alle
bestehenden Mißverhältnisse, Schäden und Gebrechen in unsrer Frauenwelt dem
Einfluß der höheren Mädchenschule zuschreibt. Es ist doch mindestens sehr
einseitig geurteilt, wenn er zu dem Aussprache gelaugt: „Man kaun sage»,
daß der letzte handgreifliche Grund unsrer verschrobenen Weiber in dem höheren
Töchterschulwefen liegt, das sich erst in dein letzten halben Jahrhundert ent¬
wickelt hat. Könnten wir diese Entwicklung mit einem Striche rückgängig
machen und unsre Töchter auf das Niveau der Volksschillbildiing, mit den,
unsre Großmütter sich begnügen mußten, znrückschranben, so würden sie eben¬
sowenig, wie diese es thaten, sich für zu vornehin und zu gebildet zur Er¬
füllung ihrer natürlichen lind sozialen Pflichten, zur Kinderpflege und Haus¬
arbeit halten" (Moderne Probleme S. 83.) Aber seine Anklage geht noch
weiter" in seiner „Phänomenologie" behauptet er geradezu, daß die höhere
Bcüdchenschnlbildling jede feiner angelegte und ungewöhnliche weibliche Indi¬
vidualität ihres originellen Duftes beraube, indem sie sie in die Schablone
der Mittelmäßigkeit eiuzwäuge. Seitdem die höheren Töchterschule,! bestünden,
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