Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Manzoni und Goethe

Aufschwung genommen hatte, rasch wieder von der Hofdichtung, der POWM
MliAiWg,, überwuchert und verdrängt, die, indem sie sich ein die großen Vor¬
bilder der Vergangenheit zu lehnen vermeinte oder doch vorgab, ihnen doch
nicht einmal in der Form, geschweige denn dem Inhalte nach gerecht zu werden
vermochte. In der Lyrik kam man nicht über eine geistlose Nachahmung
horazischer Oden oder petrarkischer Sonette und Cnnzonen hinaus; im Epos
bemühte man sich vergeblich, auf Ariosts Spuren zu wandeln. Nur im Opern-
librctto und im Melodram leisteten Zeno und Metastasio verhältnismäßig
bedeutendes; und wenn es uns lächerlich erscheint, daß seine Landsleute Goldoni
den italienischen Molivre nannten, so finden wir bei ihm doch wenigstens das
Talent, durch eine gewisse Menschenkenntnis, durch derben Witz und die bühnen¬
gewandte Darstellung alltäglicher Situationen und Konflikte sein Publikum z"
unterhalten, wie wir Gozzi dasselbe dnrch seine phantastischen dramntisirten
Märchen erreichen sehen. Hohe, allgemein menschliche oder vaterländische Stoffe
zu behandeln, besaßen die kleinen Dichter dieser kleinen Zeit weder Mut noch
Verständnis; ja sie verwarfen und verhöhnten jeden derartigen Versuch als
Geschmacklosigkeit oder lächerliche Überhebung. So sank die Dichtkunst, wie ihre
Jünger, auch in der Achtung der Nation tiefer und tiefer; jn die Fürsten selbst, die
man nicht müde wurde anzuräuchern und zu vergöttern, waren sehr geneigt,
den Dichter mit dem Hofnarren zu verwechseln oder beide in einer Person zu
vereinigen. Überblicken wir die Flut von Dramen. Epen, lyrischen und den
in solch armer Zeit ja immer besonders beliebten didaktischen Produkten jener
Zeit, so erstaunen wir ebenso über die klägliche Gedankenarmut wie über die
widerwärtige Unnatur, die darin herrschen. Nirgends wirkliche Menschen von
Fleisch und Blut, vom Kampfe der Leidenschaften oder von hohen Ideen be¬
wegt, nur Engel und Teufel in den grellsten, übertriebensten Farben gemalt,
oder hölzerne Gliederpuppen, die der Dichter zu ihren seltsamen Verrenkungen
am Faden zieht und Grimassen schneiden läßt. Und wie der Inhalt, so die
Form. Einen Gegenstand oder eine Handlung bei ihrem wahren Namen zu
nennen, galt als unpoetisch oder bäurisch; die gesuchtesten und geschnörkelsten
oonostti erschienen als die Quintessenz des feinen Geschmackes. Das Korn
war kein Korn mehr, sondern it In'onäo ouor <1an carvi, der Bart it t'olle.
vnor äst mento. Es kam so weit, daß nicht mehr Geist und Empfindung,
fondern das Ohr über deu Wert der Dichtung entschied; die Poesie löste sich
gleichsam in Klang und Ton auf und wurde zur Dienerin der Musik.

Wenn Alfieri in seinen Dramen gegen diese Richtung nach allen Seiten
hin Front machte und dadurch ungeheure Erfolge errang, so begeht doch dieser
freiheitglühende Stockaristvkrat, wie ihn Goethe nennt, kaum geringere Sünden
gegen den echten Geist der Dichtkunst. Das Verständnis für die wahre Poesie
fehlt ihm fo gut wie seinen Gegnern; auch seine Personen sind keine lebendigen
Menschen; seinen Stücken mangelt alle natürliche, ans innerer Notwendigkeit


Manzoni und Goethe

Aufschwung genommen hatte, rasch wieder von der Hofdichtung, der POWM
MliAiWg,, überwuchert und verdrängt, die, indem sie sich ein die großen Vor¬
bilder der Vergangenheit zu lehnen vermeinte oder doch vorgab, ihnen doch
nicht einmal in der Form, geschweige denn dem Inhalte nach gerecht zu werden
vermochte. In der Lyrik kam man nicht über eine geistlose Nachahmung
horazischer Oden oder petrarkischer Sonette und Cnnzonen hinaus; im Epos
bemühte man sich vergeblich, auf Ariosts Spuren zu wandeln. Nur im Opern-
librctto und im Melodram leisteten Zeno und Metastasio verhältnismäßig
bedeutendes; und wenn es uns lächerlich erscheint, daß seine Landsleute Goldoni
den italienischen Molivre nannten, so finden wir bei ihm doch wenigstens das
Talent, durch eine gewisse Menschenkenntnis, durch derben Witz und die bühnen¬
gewandte Darstellung alltäglicher Situationen und Konflikte sein Publikum z»
unterhalten, wie wir Gozzi dasselbe dnrch seine phantastischen dramntisirten
Märchen erreichen sehen. Hohe, allgemein menschliche oder vaterländische Stoffe
zu behandeln, besaßen die kleinen Dichter dieser kleinen Zeit weder Mut noch
Verständnis; ja sie verwarfen und verhöhnten jeden derartigen Versuch als
Geschmacklosigkeit oder lächerliche Überhebung. So sank die Dichtkunst, wie ihre
Jünger, auch in der Achtung der Nation tiefer und tiefer; jn die Fürsten selbst, die
man nicht müde wurde anzuräuchern und zu vergöttern, waren sehr geneigt,
den Dichter mit dem Hofnarren zu verwechseln oder beide in einer Person zu
vereinigen. Überblicken wir die Flut von Dramen. Epen, lyrischen und den
in solch armer Zeit ja immer besonders beliebten didaktischen Produkten jener
Zeit, so erstaunen wir ebenso über die klägliche Gedankenarmut wie über die
widerwärtige Unnatur, die darin herrschen. Nirgends wirkliche Menschen von
Fleisch und Blut, vom Kampfe der Leidenschaften oder von hohen Ideen be¬
wegt, nur Engel und Teufel in den grellsten, übertriebensten Farben gemalt,
oder hölzerne Gliederpuppen, die der Dichter zu ihren seltsamen Verrenkungen
am Faden zieht und Grimassen schneiden läßt. Und wie der Inhalt, so die
Form. Einen Gegenstand oder eine Handlung bei ihrem wahren Namen zu
nennen, galt als unpoetisch oder bäurisch; die gesuchtesten und geschnörkelsten
oonostti erschienen als die Quintessenz des feinen Geschmackes. Das Korn
war kein Korn mehr, sondern it In'onäo ouor <1an carvi, der Bart it t'olle.
vnor äst mento. Es kam so weit, daß nicht mehr Geist und Empfindung,
fondern das Ohr über deu Wert der Dichtung entschied; die Poesie löste sich
gleichsam in Klang und Ton auf und wurde zur Dienerin der Musik.

Wenn Alfieri in seinen Dramen gegen diese Richtung nach allen Seiten
hin Front machte und dadurch ungeheure Erfolge errang, so begeht doch dieser
freiheitglühende Stockaristvkrat, wie ihn Goethe nennt, kaum geringere Sünden
gegen den echten Geist der Dichtkunst. Das Verständnis für die wahre Poesie
fehlt ihm fo gut wie seinen Gegnern; auch seine Personen sind keine lebendigen
Menschen; seinen Stücken mangelt alle natürliche, ans innerer Notwendigkeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204811"/>
          <fw type="header" place="top"> Manzoni und Goethe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_195" prev="#ID_194"> Aufschwung genommen hatte, rasch wieder von der Hofdichtung, der POWM<lb/>
MliAiWg,, überwuchert und verdrängt, die, indem sie sich ein die großen Vor¬<lb/>
bilder der Vergangenheit zu lehnen vermeinte oder doch vorgab, ihnen doch<lb/>
nicht einmal in der Form, geschweige denn dem Inhalte nach gerecht zu werden<lb/>
vermochte. In der Lyrik kam man nicht über eine geistlose Nachahmung<lb/>
horazischer Oden oder petrarkischer Sonette und Cnnzonen hinaus; im Epos<lb/>
bemühte man sich vergeblich, auf Ariosts Spuren zu wandeln. Nur im Opern-<lb/>
librctto und im Melodram leisteten Zeno und Metastasio verhältnismäßig<lb/>
bedeutendes; und wenn es uns lächerlich erscheint, daß seine Landsleute Goldoni<lb/>
den italienischen Molivre nannten, so finden wir bei ihm doch wenigstens das<lb/>
Talent, durch eine gewisse Menschenkenntnis, durch derben Witz und die bühnen¬<lb/>
gewandte Darstellung alltäglicher Situationen und Konflikte sein Publikum z»<lb/>
unterhalten, wie wir Gozzi dasselbe dnrch seine phantastischen dramntisirten<lb/>
Märchen erreichen sehen. Hohe, allgemein menschliche oder vaterländische Stoffe<lb/>
zu behandeln, besaßen die kleinen Dichter dieser kleinen Zeit weder Mut noch<lb/>
Verständnis; ja sie verwarfen und verhöhnten jeden derartigen Versuch als<lb/>
Geschmacklosigkeit oder lächerliche Überhebung. So sank die Dichtkunst, wie ihre<lb/>
Jünger, auch in der Achtung der Nation tiefer und tiefer; jn die Fürsten selbst, die<lb/>
man nicht müde wurde anzuräuchern und zu vergöttern, waren sehr geneigt,<lb/>
den Dichter mit dem Hofnarren zu verwechseln oder beide in einer Person zu<lb/>
vereinigen. Überblicken wir die Flut von Dramen. Epen, lyrischen und den<lb/>
in solch armer Zeit ja immer besonders beliebten didaktischen Produkten jener<lb/>
Zeit, so erstaunen wir ebenso über die klägliche Gedankenarmut wie über die<lb/>
widerwärtige Unnatur, die darin herrschen. Nirgends wirkliche Menschen von<lb/>
Fleisch und Blut, vom Kampfe der Leidenschaften oder von hohen Ideen be¬<lb/>
wegt, nur Engel und Teufel in den grellsten, übertriebensten Farben gemalt,<lb/>
oder hölzerne Gliederpuppen, die der Dichter zu ihren seltsamen Verrenkungen<lb/>
am Faden zieht und Grimassen schneiden läßt. Und wie der Inhalt, so die<lb/>
Form. Einen Gegenstand oder eine Handlung bei ihrem wahren Namen zu<lb/>
nennen, galt als unpoetisch oder bäurisch; die gesuchtesten und geschnörkelsten<lb/>
oonostti erschienen als die Quintessenz des feinen Geschmackes. Das Korn<lb/>
war kein Korn mehr, sondern it In'onäo ouor &lt;1an carvi, der Bart it t'olle.<lb/>
vnor äst mento. Es kam so weit, daß nicht mehr Geist und Empfindung,<lb/>
fondern das Ohr über deu Wert der Dichtung entschied; die Poesie löste sich<lb/>
gleichsam in Klang und Ton auf und wurde zur Dienerin der Musik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_196" next="#ID_197"> Wenn Alfieri in seinen Dramen gegen diese Richtung nach allen Seiten<lb/>
hin Front machte und dadurch ungeheure Erfolge errang, so begeht doch dieser<lb/>
freiheitglühende Stockaristvkrat, wie ihn Goethe nennt, kaum geringere Sünden<lb/>
gegen den echten Geist der Dichtkunst. Das Verständnis für die wahre Poesie<lb/>
fehlt ihm fo gut wie seinen Gegnern; auch seine Personen sind keine lebendigen<lb/>
Menschen; seinen Stücken mangelt alle natürliche, ans innerer Notwendigkeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0080] Manzoni und Goethe Aufschwung genommen hatte, rasch wieder von der Hofdichtung, der POWM MliAiWg,, überwuchert und verdrängt, die, indem sie sich ein die großen Vor¬ bilder der Vergangenheit zu lehnen vermeinte oder doch vorgab, ihnen doch nicht einmal in der Form, geschweige denn dem Inhalte nach gerecht zu werden vermochte. In der Lyrik kam man nicht über eine geistlose Nachahmung horazischer Oden oder petrarkischer Sonette und Cnnzonen hinaus; im Epos bemühte man sich vergeblich, auf Ariosts Spuren zu wandeln. Nur im Opern- librctto und im Melodram leisteten Zeno und Metastasio verhältnismäßig bedeutendes; und wenn es uns lächerlich erscheint, daß seine Landsleute Goldoni den italienischen Molivre nannten, so finden wir bei ihm doch wenigstens das Talent, durch eine gewisse Menschenkenntnis, durch derben Witz und die bühnen¬ gewandte Darstellung alltäglicher Situationen und Konflikte sein Publikum z» unterhalten, wie wir Gozzi dasselbe dnrch seine phantastischen dramntisirten Märchen erreichen sehen. Hohe, allgemein menschliche oder vaterländische Stoffe zu behandeln, besaßen die kleinen Dichter dieser kleinen Zeit weder Mut noch Verständnis; ja sie verwarfen und verhöhnten jeden derartigen Versuch als Geschmacklosigkeit oder lächerliche Überhebung. So sank die Dichtkunst, wie ihre Jünger, auch in der Achtung der Nation tiefer und tiefer; jn die Fürsten selbst, die man nicht müde wurde anzuräuchern und zu vergöttern, waren sehr geneigt, den Dichter mit dem Hofnarren zu verwechseln oder beide in einer Person zu vereinigen. Überblicken wir die Flut von Dramen. Epen, lyrischen und den in solch armer Zeit ja immer besonders beliebten didaktischen Produkten jener Zeit, so erstaunen wir ebenso über die klägliche Gedankenarmut wie über die widerwärtige Unnatur, die darin herrschen. Nirgends wirkliche Menschen von Fleisch und Blut, vom Kampfe der Leidenschaften oder von hohen Ideen be¬ wegt, nur Engel und Teufel in den grellsten, übertriebensten Farben gemalt, oder hölzerne Gliederpuppen, die der Dichter zu ihren seltsamen Verrenkungen am Faden zieht und Grimassen schneiden läßt. Und wie der Inhalt, so die Form. Einen Gegenstand oder eine Handlung bei ihrem wahren Namen zu nennen, galt als unpoetisch oder bäurisch; die gesuchtesten und geschnörkelsten oonostti erschienen als die Quintessenz des feinen Geschmackes. Das Korn war kein Korn mehr, sondern it In'onäo ouor <1an carvi, der Bart it t'olle. vnor äst mento. Es kam so weit, daß nicht mehr Geist und Empfindung, fondern das Ohr über deu Wert der Dichtung entschied; die Poesie löste sich gleichsam in Klang und Ton auf und wurde zur Dienerin der Musik. Wenn Alfieri in seinen Dramen gegen diese Richtung nach allen Seiten hin Front machte und dadurch ungeheure Erfolge errang, so begeht doch dieser freiheitglühende Stockaristvkrat, wie ihn Goethe nennt, kaum geringere Sünden gegen den echten Geist der Dichtkunst. Das Verständnis für die wahre Poesie fehlt ihm fo gut wie seinen Gegnern; auch seine Personen sind keine lebendigen Menschen; seinen Stücken mangelt alle natürliche, ans innerer Notwendigkeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/80
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/80>, abgerufen am 05.02.2025.