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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Manzoni und Goethe

Diözese verlauten ließ, es möge über diesen Glaubenssatz auf den Kanzeln nicht
gepredigt werden, wenn er selbst wie Schulte uns mitteilt -- die Priester,
die dagegen schrieben, nicht behelligte, obwohl er ihre Namen kannte,") so
entsprang dies, unsrer Meinung nach, nicht der Überzeugung von der Unhnlt-
barkeit des Satzes, sondern der Einsicht, daß man über die Sache so wenig
Aufhebens als möglich machen müsse, um nicht den Gegnern des katholischen
Kirchentnms neue Waffen zu liefern und insbesondere um dem Altkntholizismus
nicht zu einer größern Verbreitung zu verhelfen.

Dem neuen deutschen Reiche brachte Rauscher keine Sympathie entgegen:
einmal, weil er als Altösterreicher sich mit dem Gedanken, daß Österreich in
Deutschland nichts mehr bedeuten sollte, nicht versöhnen konnte, dann aber
wegen des "Kulturkampfes." Wäre es ihm vergönnt gewesen, dessen Ende
zu erleben, vielleicht hätte er sich doch noch -- wie so viele andre Männer
des älteren Geschlechts -- umzudenken vermocht, seinem politischen Scharfblick
wäre es kaum entgangen, daß das deutsch-österreichische Bündnis nicht nur
die europäische Stellung des Donaustaates weit mehr befestigt, als dessen
äußerliche Vorherrschaft in dein alten deutscheu Bund es vermochte, sondern
daß es auch ein Hort des Konservatismus inmitten der radikalen und chauvi¬
nistischen Strömungen unsrer Tage ist.




Manzoni und Goethe
von Veto Speyer

eit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts war die
schöne Litteratur Italiens von Stufe zu Stufe gesunken. Nicht
mehr aus der Tiefe der Empfindung, nicht mehr aus der Be¬
geisterung für ein hohes Ideal ihren Inhalt schöpfend, war sie
zu einen: bloßen Mittel der Ergötzung und Unterhaltung oder
schlimmer: der Schmeichelei entartet. Hatten schon die Dichter des sechzehnten
Jahrhunderts ihre Stoffe nur selten aus der Tiefe der Volksseele und dem
innersten Leben der Nation geschöpft, so wurde auch die Volks- und Dialekt-
Poesie, die in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts einen gewissen



*) Am merkwürdigsten ist wohl, daß im April 1875 das bischöfliche Ordinariat von
Wien einem Priester, der um seine Entlassung gebeten hatte, da er eine altkatholischc Seel-
sorgerstclle anzunehmen gedenke, "Segen für seine künftige Wirksamkeit" wünschen durste.
Manzoni und Goethe

Diözese verlauten ließ, es möge über diesen Glaubenssatz auf den Kanzeln nicht
gepredigt werden, wenn er selbst wie Schulte uns mitteilt — die Priester,
die dagegen schrieben, nicht behelligte, obwohl er ihre Namen kannte,") so
entsprang dies, unsrer Meinung nach, nicht der Überzeugung von der Unhnlt-
barkeit des Satzes, sondern der Einsicht, daß man über die Sache so wenig
Aufhebens als möglich machen müsse, um nicht den Gegnern des katholischen
Kirchentnms neue Waffen zu liefern und insbesondere um dem Altkntholizismus
nicht zu einer größern Verbreitung zu verhelfen.

Dem neuen deutschen Reiche brachte Rauscher keine Sympathie entgegen:
einmal, weil er als Altösterreicher sich mit dem Gedanken, daß Österreich in
Deutschland nichts mehr bedeuten sollte, nicht versöhnen konnte, dann aber
wegen des „Kulturkampfes." Wäre es ihm vergönnt gewesen, dessen Ende
zu erleben, vielleicht hätte er sich doch noch — wie so viele andre Männer
des älteren Geschlechts — umzudenken vermocht, seinem politischen Scharfblick
wäre es kaum entgangen, daß das deutsch-österreichische Bündnis nicht nur
die europäische Stellung des Donaustaates weit mehr befestigt, als dessen
äußerliche Vorherrschaft in dein alten deutscheu Bund es vermochte, sondern
daß es auch ein Hort des Konservatismus inmitten der radikalen und chauvi¬
nistischen Strömungen unsrer Tage ist.




Manzoni und Goethe
von Veto Speyer

eit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts war die
schöne Litteratur Italiens von Stufe zu Stufe gesunken. Nicht
mehr aus der Tiefe der Empfindung, nicht mehr aus der Be¬
geisterung für ein hohes Ideal ihren Inhalt schöpfend, war sie
zu einen: bloßen Mittel der Ergötzung und Unterhaltung oder
schlimmer: der Schmeichelei entartet. Hatten schon die Dichter des sechzehnten
Jahrhunderts ihre Stoffe nur selten aus der Tiefe der Volksseele und dem
innersten Leben der Nation geschöpft, so wurde auch die Volks- und Dialekt-
Poesie, die in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts einen gewissen



*) Am merkwürdigsten ist wohl, daß im April 1875 das bischöfliche Ordinariat von
Wien einem Priester, der um seine Entlassung gebeten hatte, da er eine altkatholischc Seel-
sorgerstclle anzunehmen gedenke, „Segen für seine künftige Wirksamkeit" wünschen durste.
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[0079] Manzoni und Goethe Diözese verlauten ließ, es möge über diesen Glaubenssatz auf den Kanzeln nicht gepredigt werden, wenn er selbst wie Schulte uns mitteilt — die Priester, die dagegen schrieben, nicht behelligte, obwohl er ihre Namen kannte,") so entsprang dies, unsrer Meinung nach, nicht der Überzeugung von der Unhnlt- barkeit des Satzes, sondern der Einsicht, daß man über die Sache so wenig Aufhebens als möglich machen müsse, um nicht den Gegnern des katholischen Kirchentnms neue Waffen zu liefern und insbesondere um dem Altkntholizismus nicht zu einer größern Verbreitung zu verhelfen. Dem neuen deutschen Reiche brachte Rauscher keine Sympathie entgegen: einmal, weil er als Altösterreicher sich mit dem Gedanken, daß Österreich in Deutschland nichts mehr bedeuten sollte, nicht versöhnen konnte, dann aber wegen des „Kulturkampfes." Wäre es ihm vergönnt gewesen, dessen Ende zu erleben, vielleicht hätte er sich doch noch — wie so viele andre Männer des älteren Geschlechts — umzudenken vermocht, seinem politischen Scharfblick wäre es kaum entgangen, daß das deutsch-österreichische Bündnis nicht nur die europäische Stellung des Donaustaates weit mehr befestigt, als dessen äußerliche Vorherrschaft in dein alten deutscheu Bund es vermochte, sondern daß es auch ein Hort des Konservatismus inmitten der radikalen und chauvi¬ nistischen Strömungen unsrer Tage ist. Manzoni und Goethe von Veto Speyer eit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts war die schöne Litteratur Italiens von Stufe zu Stufe gesunken. Nicht mehr aus der Tiefe der Empfindung, nicht mehr aus der Be¬ geisterung für ein hohes Ideal ihren Inhalt schöpfend, war sie zu einen: bloßen Mittel der Ergötzung und Unterhaltung oder schlimmer: der Schmeichelei entartet. Hatten schon die Dichter des sechzehnten Jahrhunderts ihre Stoffe nur selten aus der Tiefe der Volksseele und dem innersten Leben der Nation geschöpft, so wurde auch die Volks- und Dialekt- Poesie, die in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts einen gewissen *) Am merkwürdigsten ist wohl, daß im April 1875 das bischöfliche Ordinariat von Wien einem Priester, der um seine Entlassung gebeten hatte, da er eine altkatholischc Seel- sorgerstclle anzunehmen gedenke, „Segen für seine künftige Wirksamkeit" wünschen durste.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/79>, abgerufen am 05.02.2025.