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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Adel sich regte, der französischen Revolution zu gute kam. Und wie viel dies
war, ist bekannt genng. Wenn auch nur in einzelnen Landstrichen Deutschlands
der Unmut des Bauern in förmliche Gewaltsamkeiten allsbrach, so lauschte er
doch überall der deutlicheren oder undeutlicheren Kunde, daß der französische
Landmann mit einemmale frei geworden sei von einer Menge von Lasten, die
ihm mit dem deutscheu gemein gewesen waren, und von denen mau gefunden
hatte, daß sie gegen die Menschenrechte seien; und wo es wirklich zu Bauern-
uuruhen kam, da wnreu sie -- mindestens in größern weltlichen Gebieten
"Kursachsen 1790) -- regelmäßig nicht gegen die Landesregierung gerichtet,
sondern suchten bei ihr Hilfe gegen den Druck der -- meist adlichen Guts¬
herren und ihrer Beamten. Für die Erörterungen in der Presse war von noch
größerem Gewichte die schon lange bestehende Gereiztheit des Bürgerstandes
gegen den Adel. Daß von Haus aus die französische Revolution, anders als
vor Zeiten die englische, so vorzugsweise als ein Streit zwischen Adel und
drittein Stande aufgetreten war, verlor nie seine Wirkung. Bon den bedeu¬
tenderen Schriftstellern zollten zwar nur wenige der Abschaffung des franzö¬
sischen Adels ihren Beifall; Campe und andre Männer des Braunschweigischen
Journals sowie Herrings, der nachmalige Herausgeber des Genius der Zeit
und der Annalen der leidenden Menschheit, hatten bei ihrer gänzlichen Ver¬
werfung alles Adelswesens in der politischen Litteratur sehr ansehnliche Stimme"
gegen sich. Aber auch solche, die für das Weiterbestehn eines Adels eintraten
- Schlözer, Wieland --, lassen doch wenig erkennen, was sie ihm denn
an Vorzügen und Auszeichnungen lassen möchten; lind leicht bemerkt man,
daß auch sie mit vollerer Seele dabei sind, wen" sie die Aumnßuugeu des
Adels, als wenn sie die Angriffe auf sein Bestehen abweisen. Sie entsprachen
damit ganz der unter deu Bürgerlichen verbreiteten Stimmung. Jfflnnd und
Kotzebue, die wir ihre dramatische Muse scharf gegen die französische Revo¬
lution ins Gefecht bringen sahen -- wie hatten doch gerade sie in ihren Rühr-
nnd Lustspielen das Ihrige gethan, das Selbstgefühl des redlichen Bürgers
zu heben und thörichten Adels- oder Bcamtenhvchmnt in einem empörenden
oder lächerlichen Gegensatze zu ihm darzustellen. Und wie nehmen bei
Voß, diesem echten Typus eiuer derben, aus niedern Verhältnissen empor¬
gekommenen Gelehrtennatur, die rasch gewonnenen Sympathien für die
französische Bewegung alsbald vor allem eine Richtung gegen die unverdienten
Bevorzugungen eines nichtsthuerischeu Adels, der "deu Schnitt fordere"; wie
freut er sich, in seinem "Junker Korb," der Karikatur eines laudjuukerlichen
Lotterlebens, eine Idylle geliefert zu haben, die "den Junkern wie englischer
Senf in der Nase kribbeln werde"; und wie ist in seiner deutschen Marseillaise
der breiteste Raum und der stärkste Nachdruck einem scharfen Ausfalle gegen
Stellung und Treiben des Land- und Hofadels gewidmet! Wenn jetzt, unter
dem Einflüsse der französischen Ereignisse, öfter als sonst an dem Berufe des


Zur Erklärung deutscher Revoluticmssympatchien ^7^>O—l?92

Adel sich regte, der französischen Revolution zu gute kam. Und wie viel dies
war, ist bekannt genng. Wenn auch nur in einzelnen Landstrichen Deutschlands
der Unmut des Bauern in förmliche Gewaltsamkeiten allsbrach, so lauschte er
doch überall der deutlicheren oder undeutlicheren Kunde, daß der französische
Landmann mit einemmale frei geworden sei von einer Menge von Lasten, die
ihm mit dem deutscheu gemein gewesen waren, und von denen mau gefunden
hatte, daß sie gegen die Menschenrechte seien; und wo es wirklich zu Bauern-
uuruhen kam, da wnreu sie — mindestens in größern weltlichen Gebieten
«Kursachsen 1790) — regelmäßig nicht gegen die Landesregierung gerichtet,
sondern suchten bei ihr Hilfe gegen den Druck der — meist adlichen Guts¬
herren und ihrer Beamten. Für die Erörterungen in der Presse war von noch
größerem Gewichte die schon lange bestehende Gereiztheit des Bürgerstandes
gegen den Adel. Daß von Haus aus die französische Revolution, anders als
vor Zeiten die englische, so vorzugsweise als ein Streit zwischen Adel und
drittein Stande aufgetreten war, verlor nie seine Wirkung. Bon den bedeu¬
tenderen Schriftstellern zollten zwar nur wenige der Abschaffung des franzö¬
sischen Adels ihren Beifall; Campe und andre Männer des Braunschweigischen
Journals sowie Herrings, der nachmalige Herausgeber des Genius der Zeit
und der Annalen der leidenden Menschheit, hatten bei ihrer gänzlichen Ver¬
werfung alles Adelswesens in der politischen Litteratur sehr ansehnliche Stimme»
gegen sich. Aber auch solche, die für das Weiterbestehn eines Adels eintraten
- Schlözer, Wieland —, lassen doch wenig erkennen, was sie ihm denn
an Vorzügen und Auszeichnungen lassen möchten; lind leicht bemerkt man,
daß auch sie mit vollerer Seele dabei sind, wen» sie die Aumnßuugeu des
Adels, als wenn sie die Angriffe auf sein Bestehen abweisen. Sie entsprachen
damit ganz der unter deu Bürgerlichen verbreiteten Stimmung. Jfflnnd und
Kotzebue, die wir ihre dramatische Muse scharf gegen die französische Revo¬
lution ins Gefecht bringen sahen — wie hatten doch gerade sie in ihren Rühr-
nnd Lustspielen das Ihrige gethan, das Selbstgefühl des redlichen Bürgers
zu heben und thörichten Adels- oder Bcamtenhvchmnt in einem empörenden
oder lächerlichen Gegensatze zu ihm darzustellen. Und wie nehmen bei
Voß, diesem echten Typus eiuer derben, aus niedern Verhältnissen empor¬
gekommenen Gelehrtennatur, die rasch gewonnenen Sympathien für die
französische Bewegung alsbald vor allem eine Richtung gegen die unverdienten
Bevorzugungen eines nichtsthuerischeu Adels, der „deu Schnitt fordere"; wie
freut er sich, in seinem „Junker Korb," der Karikatur eines laudjuukerlichen
Lotterlebens, eine Idylle geliefert zu haben, die „den Junkern wie englischer
Senf in der Nase kribbeln werde"; und wie ist in seiner deutschen Marseillaise
der breiteste Raum und der stärkste Nachdruck einem scharfen Ausfalle gegen
Stellung und Treiben des Land- und Hofadels gewidmet! Wenn jetzt, unter
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[0066] Zur Erklärung deutscher Revoluticmssympatchien ^7^>O—l?92 Adel sich regte, der französischen Revolution zu gute kam. Und wie viel dies war, ist bekannt genng. Wenn auch nur in einzelnen Landstrichen Deutschlands der Unmut des Bauern in förmliche Gewaltsamkeiten allsbrach, so lauschte er doch überall der deutlicheren oder undeutlicheren Kunde, daß der französische Landmann mit einemmale frei geworden sei von einer Menge von Lasten, die ihm mit dem deutscheu gemein gewesen waren, und von denen mau gefunden hatte, daß sie gegen die Menschenrechte seien; und wo es wirklich zu Bauern- uuruhen kam, da wnreu sie — mindestens in größern weltlichen Gebieten «Kursachsen 1790) — regelmäßig nicht gegen die Landesregierung gerichtet, sondern suchten bei ihr Hilfe gegen den Druck der — meist adlichen Guts¬ herren und ihrer Beamten. Für die Erörterungen in der Presse war von noch größerem Gewichte die schon lange bestehende Gereiztheit des Bürgerstandes gegen den Adel. Daß von Haus aus die französische Revolution, anders als vor Zeiten die englische, so vorzugsweise als ein Streit zwischen Adel und drittein Stande aufgetreten war, verlor nie seine Wirkung. Bon den bedeu¬ tenderen Schriftstellern zollten zwar nur wenige der Abschaffung des franzö¬ sischen Adels ihren Beifall; Campe und andre Männer des Braunschweigischen Journals sowie Herrings, der nachmalige Herausgeber des Genius der Zeit und der Annalen der leidenden Menschheit, hatten bei ihrer gänzlichen Ver¬ werfung alles Adelswesens in der politischen Litteratur sehr ansehnliche Stimme» gegen sich. Aber auch solche, die für das Weiterbestehn eines Adels eintraten - Schlözer, Wieland —, lassen doch wenig erkennen, was sie ihm denn an Vorzügen und Auszeichnungen lassen möchten; lind leicht bemerkt man, daß auch sie mit vollerer Seele dabei sind, wen» sie die Aumnßuugeu des Adels, als wenn sie die Angriffe auf sein Bestehen abweisen. Sie entsprachen damit ganz der unter deu Bürgerlichen verbreiteten Stimmung. Jfflnnd und Kotzebue, die wir ihre dramatische Muse scharf gegen die französische Revo¬ lution ins Gefecht bringen sahen — wie hatten doch gerade sie in ihren Rühr- nnd Lustspielen das Ihrige gethan, das Selbstgefühl des redlichen Bürgers zu heben und thörichten Adels- oder Bcamtenhvchmnt in einem empörenden oder lächerlichen Gegensatze zu ihm darzustellen. Und wie nehmen bei Voß, diesem echten Typus eiuer derben, aus niedern Verhältnissen empor¬ gekommenen Gelehrtennatur, die rasch gewonnenen Sympathien für die französische Bewegung alsbald vor allem eine Richtung gegen die unverdienten Bevorzugungen eines nichtsthuerischeu Adels, der „deu Schnitt fordere"; wie freut er sich, in seinem „Junker Korb," der Karikatur eines laudjuukerlichen Lotterlebens, eine Idylle geliefert zu haben, die „den Junkern wie englischer Senf in der Nase kribbeln werde"; und wie ist in seiner deutschen Marseillaise der breiteste Raum und der stärkste Nachdruck einem scharfen Ausfalle gegen Stellung und Treiben des Land- und Hofadels gewidmet! Wenn jetzt, unter dem Einflüsse der französischen Ereignisse, öfter als sonst an dem Berufe des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/66>, abgerufen am 05.02.2025.