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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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da^ Gardekorps und 5 andre Armeekorps zu ihnen gestoßen sein. Ein nud
ein halbes Korps würden dann zu den für Rumänien und die Balkaustaaten
bestimmten beiden Armeen entsendet werden können, aber wenn dies auch
geschähe, so würde Rußland vier Wochen nach der Kriegserklärung den Öster¬
reichern mit 8 Kavalleriedivisionen und 10'/z Armeekorps seiner Feldtruppen
die Spitze bieten, und.duzn wurden später noch die (i Divisionen der Reserve
kommen. Zieht man den Umstand in Rechnung, daß jeder der beiden Gegner,
sobald er über die Grenze in das Gebiet des andern einrückt, starke Truppen-
nbteilnngen von seinem Hauptheere abzweigen muß Rußland zur Belagerung
von Przemysl und zur Beobachtung von Krakau, Österreich zur Belagerung
von Kamenee-Podvlsk und zur Beobachtung von Lnzk, Dubno und Saslnw ^
so werden die für Feldvperativnen verfügbaren Streitkräfte auf beiden Seiten
ungefähr von derselben Stärke sein. Doch ist als sehr wahrscheinlich zu
erwarten, daß dann der österreichische Angriff bereits gewirkt hat, d. h. daß
die Truppen des Kaisers Franz Josef, vor Beendigung der Mobilmachung
und des Aufmarsches der Russen diesen an Zahl überlegen, strategische Vorteile
errungen haben, die das nunmehr etwa zu ihren Ungunsten gestörte Gleich¬
gewicht beider Feldarmeen wieder herzustellen geeignet sind. Schon die Besetzung
eines Teiles Podoliens und Vvlhyniens, dieser sehr fruchtbaren und wohl¬
habenden, auch, was das erstere betrifft, verhältnismüßig dicht bevölkerten
Landstriche, wäre ein bedentender Gewinn für die Österreicher und ein empfind¬
licher Verlust für die Russen. Träte nach den ersten Erfolgen jenes Angriffs
Rumänien uns die Seite der Österreicher, so würde das einerseits ihnen einen
beachtenswerten Zuwachs an Kraft verschaffen, andrerseits die Verlegung der
österreichischen Operationsbasis tiefer nach Süden erfordern. Der Einbruch
in das südwestliche Rußland würde unter bessern Vorbedingungen unter¬
nommen werden.

Überblicken wir unsere Auszüge, so haben die Militärschriststeller, deren
Arbeiten wir gefolgt siud, namentlich aber der Verfasser der Schrift "Das
Kriegsthenter an der Weichsel" mit Scharfsinn und guter Kenntnis der ein¬
schlagenden Verhältnisse folgende Punkte bewiesen: 1) Rußland kann infolge
des Bündnisses von 1879 weder einen Angriffskrieg gegen Österreich-Ungarn
noch gegen das deutsche Reich mit Aussicht auf Erfolg führe", wenn es nicht
ebenfalls einen starken Bundesgenossen hat. 2) Hütte es einen Verbündeten in
Frankreich, so würden ihm daraus noch keinerlei sichere Hoffnungen auf Er¬
reichung seines Kriegszwecks erwachsen, da Frankreich einen sehr bedeutenden
Teil seiner Streitkräfte durch Italiens Beitritt zu dem Bündnisse der Zentral¬
mächte an seine südöstliche Grenze gebunden sieht, also Deutschland nicht mit
feiner gesamten Kriegsmacht gegenübertreten kann, ihm somit gestatten muß,
seine Ostgrenze besetzt zu halten und die Russen von hier aus zu bedrohen
nud zu hindern, sich mit ihrer ganzen militärischen Stärke auf die österreichische


da^ Gardekorps und 5 andre Armeekorps zu ihnen gestoßen sein. Ein nud
ein halbes Korps würden dann zu den für Rumänien und die Balkaustaaten
bestimmten beiden Armeen entsendet werden können, aber wenn dies auch
geschähe, so würde Rußland vier Wochen nach der Kriegserklärung den Öster¬
reichern mit 8 Kavalleriedivisionen und 10'/z Armeekorps seiner Feldtruppen
die Spitze bieten, und.duzn wurden später noch die (i Divisionen der Reserve
kommen. Zieht man den Umstand in Rechnung, daß jeder der beiden Gegner,
sobald er über die Grenze in das Gebiet des andern einrückt, starke Truppen-
nbteilnngen von seinem Hauptheere abzweigen muß Rußland zur Belagerung
von Przemysl und zur Beobachtung von Krakau, Österreich zur Belagerung
von Kamenee-Podvlsk und zur Beobachtung von Lnzk, Dubno und Saslnw ^
so werden die für Feldvperativnen verfügbaren Streitkräfte auf beiden Seiten
ungefähr von derselben Stärke sein. Doch ist als sehr wahrscheinlich zu
erwarten, daß dann der österreichische Angriff bereits gewirkt hat, d. h. daß
die Truppen des Kaisers Franz Josef, vor Beendigung der Mobilmachung
und des Aufmarsches der Russen diesen an Zahl überlegen, strategische Vorteile
errungen haben, die das nunmehr etwa zu ihren Ungunsten gestörte Gleich¬
gewicht beider Feldarmeen wieder herzustellen geeignet sind. Schon die Besetzung
eines Teiles Podoliens und Vvlhyniens, dieser sehr fruchtbaren und wohl¬
habenden, auch, was das erstere betrifft, verhältnismüßig dicht bevölkerten
Landstriche, wäre ein bedentender Gewinn für die Österreicher und ein empfind¬
licher Verlust für die Russen. Träte nach den ersten Erfolgen jenes Angriffs
Rumänien uns die Seite der Österreicher, so würde das einerseits ihnen einen
beachtenswerten Zuwachs an Kraft verschaffen, andrerseits die Verlegung der
österreichischen Operationsbasis tiefer nach Süden erfordern. Der Einbruch
in das südwestliche Rußland würde unter bessern Vorbedingungen unter¬
nommen werden.

Überblicken wir unsere Auszüge, so haben die Militärschriststeller, deren
Arbeiten wir gefolgt siud, namentlich aber der Verfasser der Schrift „Das
Kriegsthenter an der Weichsel" mit Scharfsinn und guter Kenntnis der ein¬
schlagenden Verhältnisse folgende Punkte bewiesen: 1) Rußland kann infolge
des Bündnisses von 1879 weder einen Angriffskrieg gegen Österreich-Ungarn
noch gegen das deutsche Reich mit Aussicht auf Erfolg führe», wenn es nicht
ebenfalls einen starken Bundesgenossen hat. 2) Hütte es einen Verbündeten in
Frankreich, so würden ihm daraus noch keinerlei sichere Hoffnungen auf Er¬
reichung seines Kriegszwecks erwachsen, da Frankreich einen sehr bedeutenden
Teil seiner Streitkräfte durch Italiens Beitritt zu dem Bündnisse der Zentral¬
mächte an seine südöstliche Grenze gebunden sieht, also Deutschland nicht mit
feiner gesamten Kriegsmacht gegenübertreten kann, ihm somit gestatten muß,
seine Ostgrenze besetzt zu halten und die Russen von hier aus zu bedrohen
nud zu hindern, sich mit ihrer ganzen militärischen Stärke auf die österreichische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/63>, abgerufen am 05.02.2025.