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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Line ägyptische Annstgeschichte

Das fünfte Kapitel "Das Kunstgewerbe" giebt eine in dieser Übersichtlich¬
keit und Vollständigkeit einzig dastehende Darstellung der ägyptischen Kleinkünste.
Wie in dem vorigen, giebt Maspero auch in diesem aus seiner reichen Er¬
fahrung heraus dankenswerte Aufschlüsse über Methode und Technik sowie über
mancherlei Praktiken der Künstler und Handwerker. Man braucht seine Auf¬
fassung nicht immer zu teilen und wird dennoch reiche Belehrung und An¬
regung aus seiner Darstellung schöpfen. Höchst merkwürdig ist der fabelhafte
Goldreichtum des ägyptischen Kunstgewerbes. Es ist, als habe in ältester
Zeit (der goldnen!) das Gold nur den Wert gehabt, daß es glänzt und nicht
rostet, womit die Thatsache stimmt, daß es nicht gemünzt wurde, wie denn
überhaupt, soweit bekannt, die Ägypter weder Geld noch Medaillen prägten.
Die Verwendung des Goldes war großartig, sogar die Mauersockel der Tempel
und ganze Obelisken waren mit Goldplatten überzogen, Götterstatuen bis zu
drei Ellen Höhe in einem Stück aus Gold gegossen, und Tempel- und Haus¬
geräte in kunstvoller, formenschöner Arbeit aus Gold getrieben. Wem fiele
hier nicht der Vergleich mit dem Lande der Inkas ein! Auch das Schicksal
dieses Reichtums war dasselbe. Die Scheidung von Tempel- und Hausgerät
ist vielleicht nicht scharf genug, vor allem vermissen wir auch hier Vergleichung
mit dem ausländischen Kunstgewerbe, wozu kurze Hinweise genügt hätten. Es
giebt nicht nur im babylonisch-assyrischen, sondern auch im etruskischen Kunst¬
gewerbe sowie unter den Funden von Mykenä, Tiryns und Hissarlik sehr
wichtige Seitenstücke zu ägyptischen Formen, Ornamenten und Sinnbildern,
sowie zur ägyptischen Technik.

Maspero beklagt am Schlüsse dieses Kapitels die Lücken seiner Darstellung,
die aus der Beschränkung naturgemäß hätten hervorgehen müssen, und wünscht
ein methodisches Studium der unendlich mannichfaltigen kleinen Denkmäler des
ägyptischen Kunstgewerbes, das dem, der sich dieser Arbeit unterziehen werde,
noch manche Überraschung verheiße. Mag dem so sein, wir schulden dem
Verfasser lebhaften Dank schon für das, was er uns geboten hat. Das Buch
ist eine wertvolle Bereicherung der Litteratur über ägyptische Kunst.


Lrnst Boetticher


Line ägyptische Annstgeschichte

Das fünfte Kapitel „Das Kunstgewerbe" giebt eine in dieser Übersichtlich¬
keit und Vollständigkeit einzig dastehende Darstellung der ägyptischen Kleinkünste.
Wie in dem vorigen, giebt Maspero auch in diesem aus seiner reichen Er¬
fahrung heraus dankenswerte Aufschlüsse über Methode und Technik sowie über
mancherlei Praktiken der Künstler und Handwerker. Man braucht seine Auf¬
fassung nicht immer zu teilen und wird dennoch reiche Belehrung und An¬
regung aus seiner Darstellung schöpfen. Höchst merkwürdig ist der fabelhafte
Goldreichtum des ägyptischen Kunstgewerbes. Es ist, als habe in ältester
Zeit (der goldnen!) das Gold nur den Wert gehabt, daß es glänzt und nicht
rostet, womit die Thatsache stimmt, daß es nicht gemünzt wurde, wie denn
überhaupt, soweit bekannt, die Ägypter weder Geld noch Medaillen prägten.
Die Verwendung des Goldes war großartig, sogar die Mauersockel der Tempel
und ganze Obelisken waren mit Goldplatten überzogen, Götterstatuen bis zu
drei Ellen Höhe in einem Stück aus Gold gegossen, und Tempel- und Haus¬
geräte in kunstvoller, formenschöner Arbeit aus Gold getrieben. Wem fiele
hier nicht der Vergleich mit dem Lande der Inkas ein! Auch das Schicksal
dieses Reichtums war dasselbe. Die Scheidung von Tempel- und Hausgerät
ist vielleicht nicht scharf genug, vor allem vermissen wir auch hier Vergleichung
mit dem ausländischen Kunstgewerbe, wozu kurze Hinweise genügt hätten. Es
giebt nicht nur im babylonisch-assyrischen, sondern auch im etruskischen Kunst¬
gewerbe sowie unter den Funden von Mykenä, Tiryns und Hissarlik sehr
wichtige Seitenstücke zu ägyptischen Formen, Ornamenten und Sinnbildern,
sowie zur ägyptischen Technik.

Maspero beklagt am Schlüsse dieses Kapitels die Lücken seiner Darstellung,
die aus der Beschränkung naturgemäß hätten hervorgehen müssen, und wünscht
ein methodisches Studium der unendlich mannichfaltigen kleinen Denkmäler des
ägyptischen Kunstgewerbes, das dem, der sich dieser Arbeit unterziehen werde,
noch manche Überraschung verheiße. Mag dem so sein, wir schulden dem
Verfasser lebhaften Dank schon für das, was er uns geboten hat. Das Buch
ist eine wertvolle Bereicherung der Litteratur über ägyptische Kunst.


Lrnst Boetticher


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[0622] Line ägyptische Annstgeschichte Das fünfte Kapitel „Das Kunstgewerbe" giebt eine in dieser Übersichtlich¬ keit und Vollständigkeit einzig dastehende Darstellung der ägyptischen Kleinkünste. Wie in dem vorigen, giebt Maspero auch in diesem aus seiner reichen Er¬ fahrung heraus dankenswerte Aufschlüsse über Methode und Technik sowie über mancherlei Praktiken der Künstler und Handwerker. Man braucht seine Auf¬ fassung nicht immer zu teilen und wird dennoch reiche Belehrung und An¬ regung aus seiner Darstellung schöpfen. Höchst merkwürdig ist der fabelhafte Goldreichtum des ägyptischen Kunstgewerbes. Es ist, als habe in ältester Zeit (der goldnen!) das Gold nur den Wert gehabt, daß es glänzt und nicht rostet, womit die Thatsache stimmt, daß es nicht gemünzt wurde, wie denn überhaupt, soweit bekannt, die Ägypter weder Geld noch Medaillen prägten. Die Verwendung des Goldes war großartig, sogar die Mauersockel der Tempel und ganze Obelisken waren mit Goldplatten überzogen, Götterstatuen bis zu drei Ellen Höhe in einem Stück aus Gold gegossen, und Tempel- und Haus¬ geräte in kunstvoller, formenschöner Arbeit aus Gold getrieben. Wem fiele hier nicht der Vergleich mit dem Lande der Inkas ein! Auch das Schicksal dieses Reichtums war dasselbe. Die Scheidung von Tempel- und Hausgerät ist vielleicht nicht scharf genug, vor allem vermissen wir auch hier Vergleichung mit dem ausländischen Kunstgewerbe, wozu kurze Hinweise genügt hätten. Es giebt nicht nur im babylonisch-assyrischen, sondern auch im etruskischen Kunst¬ gewerbe sowie unter den Funden von Mykenä, Tiryns und Hissarlik sehr wichtige Seitenstücke zu ägyptischen Formen, Ornamenten und Sinnbildern, sowie zur ägyptischen Technik. Maspero beklagt am Schlüsse dieses Kapitels die Lücken seiner Darstellung, die aus der Beschränkung naturgemäß hätten hervorgehen müssen, und wünscht ein methodisches Studium der unendlich mannichfaltigen kleinen Denkmäler des ägyptischen Kunstgewerbes, das dem, der sich dieser Arbeit unterziehen werde, noch manche Überraschung verheiße. Mag dem so sein, wir schulden dem Verfasser lebhaften Dank schon für das, was er uns geboten hat. Das Buch ist eine wertvolle Bereicherung der Litteratur über ägyptische Kunst. Lrnst Boetticher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/622>, abgerufen am 05.02.2025.