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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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er schiebt die Schuld auf die scholastische" Formeln derselben, die auch jetzt
uoch nicht ganz überwunden sind. Aber er vergißt es Bonitz und Grysar
nicht, daß sie ihn auf die schlichte Größe der altklassischer Schriftsteller auf¬
merksam gemacht haben; für Herodot schwärmte er um dieselbe Zeit, wo er
Sinn für das deutsche Volkslied gewann.

Durch Zufall geriet Hamerling in die pädagogische Laufbahn. Am
Theresianum (der eidlichen Schule in Wien) war die Stelle eines "Prüfekten"
frei, Bonitz schlug ihn dafür vor, der arme Hamerling nahm dankbar an.
Daun kam er als "Supplent" ans akademische Gymnasium in Wien, dann
1853 nach Graz, dann im April 1855 -- wieder rein zufällig -- ans Gymnasium
in Triest. Mit einiger Absicht betont Hamerling das Zufällige an diesen
Verschiebungen. Den Zufall aber, der ihn nach Triest führte, preist er be¬
sonders, denn der zehnjährige Aufenthalt unter den Italienern im Süden und
in der Nähe des ihm vertraut gewordnen Venedigs wurden für seine geistige
Arbeit sehr einflußreich. Er machte sich tief vertraut mit der italienischen
Litteratur, und umgekehrt haben die Italiener fast alle seine Werke in ihre
Sprache übersetzt. Gleichzeitig mit seinem Lehrarmt versah Hamerling in Triest
auch die Stelle eines Theater- und Kunstreferenten um der deutschen Triester
Zeitung. Das Theater in Triest blühte zu jener Zeit, obgleich nur Wander¬
truppen dort spielten; Ernestv Rossi, Tomaso Salvini hat Hamerling in ihrer
besten Zeit gesehen, und die Fülle der Erscheinungen in der an schönen Frauen
und verschiednen Menschentypen reichen Hafenstadt war für den nach Eindrücken
und Erfahrungen begierigen Dichter von großem Werte. Immer wanderte er
aufmerksam beobachtend umher; scherzhaft nannte ihn der Herausgeber des Blattes
den 08"örviZ,t>0rö 'I'riches. Anderseits betont aber Hamerling, daß seine Dichtung
fast ausschließlich aus seinem innern Leben stamme, daß er nur sehr bedingt
äußere Erfahrungen poetisch verwertet habe. Nur in sehr bescheidnen Maße
also wären Beziehungen seiner Poesie zu der Welt, in der er lebte, festzustellen,
die "Motivenjagd" wäre bei seinen Dichtungen unergiebig. Wir glauben das
vollständig; aber es ist ein Beweis mehr dafür, auf welch unnaivem Boden
seine Kunst erwachsen ist.

Nach einer im ganzen gesunde" Jugend begann Hamerling früh zu kränkeln
und war häufig gezwungen, Urlaub vom Schuldirektor zu erbitten. Als er
nun nach und nach mit seinen Dichtungen Erfolge errang, den größten mit
seinen, 1864 erschienenen Epos "Ahasver in Rom," das ihm von einer kunst¬
sinnigen reichen Wienerin (Frau Miller von Milborn) ein Geschenk von sechs¬
tausend Gulden einbrachte, zog er sich ganz vom Lehramte zurück, um aus¬
schließlich den Musen leben zu können. Ein gnädiger Erlaß seines Kaisers
erhöhte ihm die Pension auf sechshundert Gulden, sodaß es dem Dichter bei
seinen bescheidnen Jnnggesellennnsprüchen möglich wurde, in einem eignen
Häuschen in Graz sorgenfrei zu leben. An Graz knüpften ihn freundschaftliche


Grenzboten II 1689 77

er schiebt die Schuld auf die scholastische» Formeln derselben, die auch jetzt
uoch nicht ganz überwunden sind. Aber er vergißt es Bonitz und Grysar
nicht, daß sie ihn auf die schlichte Größe der altklassischer Schriftsteller auf¬
merksam gemacht haben; für Herodot schwärmte er um dieselbe Zeit, wo er
Sinn für das deutsche Volkslied gewann.

Durch Zufall geriet Hamerling in die pädagogische Laufbahn. Am
Theresianum (der eidlichen Schule in Wien) war die Stelle eines „Prüfekten"
frei, Bonitz schlug ihn dafür vor, der arme Hamerling nahm dankbar an.
Daun kam er als „Supplent" ans akademische Gymnasium in Wien, dann
1853 nach Graz, dann im April 1855 — wieder rein zufällig — ans Gymnasium
in Triest. Mit einiger Absicht betont Hamerling das Zufällige an diesen
Verschiebungen. Den Zufall aber, der ihn nach Triest führte, preist er be¬
sonders, denn der zehnjährige Aufenthalt unter den Italienern im Süden und
in der Nähe des ihm vertraut gewordnen Venedigs wurden für seine geistige
Arbeit sehr einflußreich. Er machte sich tief vertraut mit der italienischen
Litteratur, und umgekehrt haben die Italiener fast alle seine Werke in ihre
Sprache übersetzt. Gleichzeitig mit seinem Lehrarmt versah Hamerling in Triest
auch die Stelle eines Theater- und Kunstreferenten um der deutschen Triester
Zeitung. Das Theater in Triest blühte zu jener Zeit, obgleich nur Wander¬
truppen dort spielten; Ernestv Rossi, Tomaso Salvini hat Hamerling in ihrer
besten Zeit gesehen, und die Fülle der Erscheinungen in der an schönen Frauen
und verschiednen Menschentypen reichen Hafenstadt war für den nach Eindrücken
und Erfahrungen begierigen Dichter von großem Werte. Immer wanderte er
aufmerksam beobachtend umher; scherzhaft nannte ihn der Herausgeber des Blattes
den 08«örviZ,t>0rö 'I'riches. Anderseits betont aber Hamerling, daß seine Dichtung
fast ausschließlich aus seinem innern Leben stamme, daß er nur sehr bedingt
äußere Erfahrungen poetisch verwertet habe. Nur in sehr bescheidnen Maße
also wären Beziehungen seiner Poesie zu der Welt, in der er lebte, festzustellen,
die „Motivenjagd" wäre bei seinen Dichtungen unergiebig. Wir glauben das
vollständig; aber es ist ein Beweis mehr dafür, auf welch unnaivem Boden
seine Kunst erwachsen ist.

Nach einer im ganzen gesunde« Jugend begann Hamerling früh zu kränkeln
und war häufig gezwungen, Urlaub vom Schuldirektor zu erbitten. Als er
nun nach und nach mit seinen Dichtungen Erfolge errang, den größten mit
seinen, 1864 erschienenen Epos „Ahasver in Rom," das ihm von einer kunst¬
sinnigen reichen Wienerin (Frau Miller von Milborn) ein Geschenk von sechs¬
tausend Gulden einbrachte, zog er sich ganz vom Lehramte zurück, um aus¬
schließlich den Musen leben zu können. Ein gnädiger Erlaß seines Kaisers
erhöhte ihm die Pension auf sechshundert Gulden, sodaß es dem Dichter bei
seinen bescheidnen Jnnggesellennnsprüchen möglich wurde, in einem eignen
Häuschen in Graz sorgenfrei zu leben. An Graz knüpften ihn freundschaftliche


Grenzboten II 1689 77
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[0617] er schiebt die Schuld auf die scholastische» Formeln derselben, die auch jetzt uoch nicht ganz überwunden sind. Aber er vergißt es Bonitz und Grysar nicht, daß sie ihn auf die schlichte Größe der altklassischer Schriftsteller auf¬ merksam gemacht haben; für Herodot schwärmte er um dieselbe Zeit, wo er Sinn für das deutsche Volkslied gewann. Durch Zufall geriet Hamerling in die pädagogische Laufbahn. Am Theresianum (der eidlichen Schule in Wien) war die Stelle eines „Prüfekten" frei, Bonitz schlug ihn dafür vor, der arme Hamerling nahm dankbar an. Daun kam er als „Supplent" ans akademische Gymnasium in Wien, dann 1853 nach Graz, dann im April 1855 — wieder rein zufällig — ans Gymnasium in Triest. Mit einiger Absicht betont Hamerling das Zufällige an diesen Verschiebungen. Den Zufall aber, der ihn nach Triest führte, preist er be¬ sonders, denn der zehnjährige Aufenthalt unter den Italienern im Süden und in der Nähe des ihm vertraut gewordnen Venedigs wurden für seine geistige Arbeit sehr einflußreich. Er machte sich tief vertraut mit der italienischen Litteratur, und umgekehrt haben die Italiener fast alle seine Werke in ihre Sprache übersetzt. Gleichzeitig mit seinem Lehrarmt versah Hamerling in Triest auch die Stelle eines Theater- und Kunstreferenten um der deutschen Triester Zeitung. Das Theater in Triest blühte zu jener Zeit, obgleich nur Wander¬ truppen dort spielten; Ernestv Rossi, Tomaso Salvini hat Hamerling in ihrer besten Zeit gesehen, und die Fülle der Erscheinungen in der an schönen Frauen und verschiednen Menschentypen reichen Hafenstadt war für den nach Eindrücken und Erfahrungen begierigen Dichter von großem Werte. Immer wanderte er aufmerksam beobachtend umher; scherzhaft nannte ihn der Herausgeber des Blattes den 08«örviZ,t>0rö 'I'riches. Anderseits betont aber Hamerling, daß seine Dichtung fast ausschließlich aus seinem innern Leben stamme, daß er nur sehr bedingt äußere Erfahrungen poetisch verwertet habe. Nur in sehr bescheidnen Maße also wären Beziehungen seiner Poesie zu der Welt, in der er lebte, festzustellen, die „Motivenjagd" wäre bei seinen Dichtungen unergiebig. Wir glauben das vollständig; aber es ist ein Beweis mehr dafür, auf welch unnaivem Boden seine Kunst erwachsen ist. Nach einer im ganzen gesunde« Jugend begann Hamerling früh zu kränkeln und war häufig gezwungen, Urlaub vom Schuldirektor zu erbitten. Als er nun nach und nach mit seinen Dichtungen Erfolge errang, den größten mit seinen, 1864 erschienenen Epos „Ahasver in Rom," das ihm von einer kunst¬ sinnigen reichen Wienerin (Frau Miller von Milborn) ein Geschenk von sechs¬ tausend Gulden einbrachte, zog er sich ganz vom Lehramte zurück, um aus¬ schließlich den Musen leben zu können. Ein gnädiger Erlaß seines Kaisers erhöhte ihm die Pension auf sechshundert Gulden, sodaß es dem Dichter bei seinen bescheidnen Jnnggesellennnsprüchen möglich wurde, in einem eignen Häuschen in Graz sorgenfrei zu leben. An Graz knüpften ihn freundschaftliche Grenzboten II 1689 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/617>, abgerufen am 05.02.2025.