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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Robert Hamerlings Selbstbiographie

Ebers geschrieben worden, ohne daß sein Erfolg, nachdem er einmal entschieden
war, dadurch verhindert worden wäre! Für den künstlerischen Wert eines
Kunstwerkes ist sein Erfolg beim großen Publikum doch wohl nicht der einzige
Maßstab. Der Erfolg einer Dichtung ist eine kulturhistorisch jedenfalls merk-
uud denkwürdige Erscheinung für sich selbst. Zu welcher Bedeutung müßten
Modcpveten steigen, zu welchem Grade von Verbrechen müßte eine solchen
Erscheinungen entgegentretende Kritik gestempelt werden, wenn einzig der Erfolg
von Dichtungen bestimmend sür ihren Wert wäre! Darum ist der persönliche
Kampf zwischen dem von der Gunst des Publikums getragenen Dichter und
der Kritik immer ein ungleicher Kampf. Der eine beruft sich auf das Urteil
der Menge, der andre setzt nur seine Persönlichkeit ein; sie polemisiren von
ganz verschiednen Standpunkten, und Recht behält immer der Schaffende, so
lange er den Geschmack seiner Leser befriedigt, weil er der Stärkere ist. Es
ist im künstlerischen Leben nicht anders als im politischen: die Macht
reißt hin.

Aber es wird endlich die höchste Zeit, nachdem wir so nnsführlich eine
Begründung unsers Urteils über Hamcrlings Selbstbiographie versucht haben,
ewiges thatsächliche daraus mitzuteilen. Wir wollen die wichtigsten Lehms¬
taken kurz zusammenfassen.

Hnmerling wurde am 24. März 1830 zu Kirchberg am Walde in Niedcr-
ösierreich, an der Grenze Böhmens und Mährens geboren. Seine Eltern
waren sehr arm, der Vater Diener in einem üblichen Hause; übrigens ein
"Tausendkünstler," wie der Sohn versichert, der es auch im Rechnen weit ge¬
bracht hatte, während der Sohn sein Leben lang mit der Mathematik auf ge¬
spanntem Fuße stand, bezeichnend für den Phantasicmenschen mit musikalischen
Neigungen. Von seiner Mutter erzählt Hnmerling nur, daß sie mit grenzen¬
loser und wohl auch eifersüchtiger Liebe an ihm hing. In den sechziger Jahren,
als es ihm gelang, sich ganz auf eigne Füße zu stellen, zog der Dichter
seine betagten Eltern zu sich nach Graz, wo sie zusammen im eignen Heim
lebten.

Schon als Kind zeigte Hamerliug Begabung. Er selbst weiß sich aus
dieser Zeit seiner regen Phantasie zu erinnern, die zuweilen zu visionärer Stärke
gedieh. Auch noch in andern Formen äußerten sich die reichen Anlagen des Kindes.
Es hatte seine Freude darau, sich in seiner Ofenecke einen Hochaltar einzu¬
richten und davor die in der Kirche beobachteten Handlungen und Bewegungen
des Pfarrers nachzuahmen. In der That verbreitete sich in früher Zeit das
Gerücht, der Knabe Robert könne predigen, und mitten in der Wirtsstube
mußte der Kleine einmal auf einen Sessel steigen und predigen, was gar nicht
so komisch ausgefallen sein soll, trotz der schwer überwundenen Schüchternheit.
Etwas älter, widmete sich Robert mit Stolz dein Ministrautendienste vor dem
wirklichen Hochaltar. Ein eigner Ernst muß jedenfalls dem Knaben inne-


Robert Hamerlings Selbstbiographie

Ebers geschrieben worden, ohne daß sein Erfolg, nachdem er einmal entschieden
war, dadurch verhindert worden wäre! Für den künstlerischen Wert eines
Kunstwerkes ist sein Erfolg beim großen Publikum doch wohl nicht der einzige
Maßstab. Der Erfolg einer Dichtung ist eine kulturhistorisch jedenfalls merk-
uud denkwürdige Erscheinung für sich selbst. Zu welcher Bedeutung müßten
Modcpveten steigen, zu welchem Grade von Verbrechen müßte eine solchen
Erscheinungen entgegentretende Kritik gestempelt werden, wenn einzig der Erfolg
von Dichtungen bestimmend sür ihren Wert wäre! Darum ist der persönliche
Kampf zwischen dem von der Gunst des Publikums getragenen Dichter und
der Kritik immer ein ungleicher Kampf. Der eine beruft sich auf das Urteil
der Menge, der andre setzt nur seine Persönlichkeit ein; sie polemisiren von
ganz verschiednen Standpunkten, und Recht behält immer der Schaffende, so
lange er den Geschmack seiner Leser befriedigt, weil er der Stärkere ist. Es
ist im künstlerischen Leben nicht anders als im politischen: die Macht
reißt hin.

Aber es wird endlich die höchste Zeit, nachdem wir so nnsführlich eine
Begründung unsers Urteils über Hamcrlings Selbstbiographie versucht haben,
ewiges thatsächliche daraus mitzuteilen. Wir wollen die wichtigsten Lehms¬
taken kurz zusammenfassen.

Hnmerling wurde am 24. März 1830 zu Kirchberg am Walde in Niedcr-
ösierreich, an der Grenze Böhmens und Mährens geboren. Seine Eltern
waren sehr arm, der Vater Diener in einem üblichen Hause; übrigens ein
„Tausendkünstler," wie der Sohn versichert, der es auch im Rechnen weit ge¬
bracht hatte, während der Sohn sein Leben lang mit der Mathematik auf ge¬
spanntem Fuße stand, bezeichnend für den Phantasicmenschen mit musikalischen
Neigungen. Von seiner Mutter erzählt Hnmerling nur, daß sie mit grenzen¬
loser und wohl auch eifersüchtiger Liebe an ihm hing. In den sechziger Jahren,
als es ihm gelang, sich ganz auf eigne Füße zu stellen, zog der Dichter
seine betagten Eltern zu sich nach Graz, wo sie zusammen im eignen Heim
lebten.

Schon als Kind zeigte Hamerliug Begabung. Er selbst weiß sich aus
dieser Zeit seiner regen Phantasie zu erinnern, die zuweilen zu visionärer Stärke
gedieh. Auch noch in andern Formen äußerten sich die reichen Anlagen des Kindes.
Es hatte seine Freude darau, sich in seiner Ofenecke einen Hochaltar einzu¬
richten und davor die in der Kirche beobachteten Handlungen und Bewegungen
des Pfarrers nachzuahmen. In der That verbreitete sich in früher Zeit das
Gerücht, der Knabe Robert könne predigen, und mitten in der Wirtsstube
mußte der Kleine einmal auf einen Sessel steigen und predigen, was gar nicht
so komisch ausgefallen sein soll, trotz der schwer überwundenen Schüchternheit.
Etwas älter, widmete sich Robert mit Stolz dein Ministrautendienste vor dem
wirklichen Hochaltar. Ein eigner Ernst muß jedenfalls dem Knaben inne-


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[0613] Robert Hamerlings Selbstbiographie Ebers geschrieben worden, ohne daß sein Erfolg, nachdem er einmal entschieden war, dadurch verhindert worden wäre! Für den künstlerischen Wert eines Kunstwerkes ist sein Erfolg beim großen Publikum doch wohl nicht der einzige Maßstab. Der Erfolg einer Dichtung ist eine kulturhistorisch jedenfalls merk- uud denkwürdige Erscheinung für sich selbst. Zu welcher Bedeutung müßten Modcpveten steigen, zu welchem Grade von Verbrechen müßte eine solchen Erscheinungen entgegentretende Kritik gestempelt werden, wenn einzig der Erfolg von Dichtungen bestimmend sür ihren Wert wäre! Darum ist der persönliche Kampf zwischen dem von der Gunst des Publikums getragenen Dichter und der Kritik immer ein ungleicher Kampf. Der eine beruft sich auf das Urteil der Menge, der andre setzt nur seine Persönlichkeit ein; sie polemisiren von ganz verschiednen Standpunkten, und Recht behält immer der Schaffende, so lange er den Geschmack seiner Leser befriedigt, weil er der Stärkere ist. Es ist im künstlerischen Leben nicht anders als im politischen: die Macht reißt hin. Aber es wird endlich die höchste Zeit, nachdem wir so nnsführlich eine Begründung unsers Urteils über Hamcrlings Selbstbiographie versucht haben, ewiges thatsächliche daraus mitzuteilen. Wir wollen die wichtigsten Lehms¬ taken kurz zusammenfassen. Hnmerling wurde am 24. März 1830 zu Kirchberg am Walde in Niedcr- ösierreich, an der Grenze Böhmens und Mährens geboren. Seine Eltern waren sehr arm, der Vater Diener in einem üblichen Hause; übrigens ein „Tausendkünstler," wie der Sohn versichert, der es auch im Rechnen weit ge¬ bracht hatte, während der Sohn sein Leben lang mit der Mathematik auf ge¬ spanntem Fuße stand, bezeichnend für den Phantasicmenschen mit musikalischen Neigungen. Von seiner Mutter erzählt Hnmerling nur, daß sie mit grenzen¬ loser und wohl auch eifersüchtiger Liebe an ihm hing. In den sechziger Jahren, als es ihm gelang, sich ganz auf eigne Füße zu stellen, zog der Dichter seine betagten Eltern zu sich nach Graz, wo sie zusammen im eignen Heim lebten. Schon als Kind zeigte Hamerliug Begabung. Er selbst weiß sich aus dieser Zeit seiner regen Phantasie zu erinnern, die zuweilen zu visionärer Stärke gedieh. Auch noch in andern Formen äußerten sich die reichen Anlagen des Kindes. Es hatte seine Freude darau, sich in seiner Ofenecke einen Hochaltar einzu¬ richten und davor die in der Kirche beobachteten Handlungen und Bewegungen des Pfarrers nachzuahmen. In der That verbreitete sich in früher Zeit das Gerücht, der Knabe Robert könne predigen, und mitten in der Wirtsstube mußte der Kleine einmal auf einen Sessel steigen und predigen, was gar nicht so komisch ausgefallen sein soll, trotz der schwer überwundenen Schüchternheit. Etwas älter, widmete sich Robert mit Stolz dein Ministrautendienste vor dem wirklichen Hochaltar. Ein eigner Ernst muß jedenfalls dem Knaben inne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/613>, abgerufen am 05.02.2025.